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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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jedes politische System an der Uebertreibung seines eigenen Princips zu
Grunde geht.

Die Einführung des Referendums in einer Mehrheit von Cantonen
hätte ohne Zweifel, wie dies jetzt schon vielfach und laut verlangt wird, die
Aufnahme desselben auch in die Bundesverfassung zur Folge. Nun
aber hat unser Bundesrecht eine zwiefache Basis: die selbständigen Cantone
und die Gesammtnation. Jeder dieser Factoren ist in einer eigenen Kammer
vertreten. Um das Referendum in diesen Organismus einzuführen, müßten
sowohl die Cantone als das ganze Volk befragt werden. Wenn nun aber
diese beiden verschieden poliren? Offenbar würde das Volk den Sieg davon
tragen. Dann würde aber auch das Zweikammersystem fallen und man
wäre bei dem Einheitsstaat angelangt. Die Schweiz besteht aber aus drei
Nationalitäten, deren eine die beiden anderen so sehr an Zahl überwiegt,
daß ihr eine stete Mehrheit bei den Volksabstimmungen gesichert bliebe. Die
stets in der Minderheit bleibenden beiden anderen würden sich bald von ihren
sprach- und stammverwandten Nachbarnationen angezogen, vom Schweizer¬
bunde abgestoßen fühlen. Denn niemals würde sich eine Minderheit von
Cantonen durch, eine an Sprache, Abstammung und Sitten verschiedene
Mehrheit beherrschen lassen.

Die Gründe, die Herr T. im Obigen gegen das Referendum geltend
macht, sind zum Theil schon von Herrn Dubs aufgeführt worden. Nament¬
lich schließt sich Jener in Bezug auf die Einführung desselben in den Bund
ganz der Meinung Dubs' an. Wie das Referendum, so wird von diesem
auch das Veto bekämpft. Hierin tritt ihm ferner Herr Hilty zur Seite, der
jedoch dafür die von Herrn Dubs empfohlene Initiative verwirft und ein
Bundesreferendum wenigstens für die Verfassung, die organischen Ge¬
setze und die Verträge mit dem Auslande eingeführt haben möchte.

Wir können es uns um so eher versagen, unsern Kritiker auch über die
beiden anderen dem Referendum analogen Institutionen, des Veto und die
Volksinitiative, zu hören, da dieselben vor dem nämlichen Princip wie
das Referendum fallen. Hingegen ist eine Zusammenstellung der von ande¬
ren Seiten gemachten Vorschläge lehrreich.

Um den Uebelständen der periodischen Wahlen zu begegnen, wollte Dubs
dem Volke das Recht einräumen, seine Vertreter zu jeder beliebigen Zeit ab¬
zuberufen und dafür eine längere. 7--8-, statt wie bisher nur 3--4tägige Amts¬
dauer einführen. Ein viel größeres Interesse des Volks sowohl an der Wahl sei¬
ner Vertreter als am Gange der Politik müßte die Folge dieser Neuerung
sein. Dubs schlägt serner directe Wahl der Regierung durch das Volk vor,
wodurch zwei Behörden geschaffen würden, die von einander unabhängig und
doch gemeinsamen Ursprungs wären. Die Allmacht der Großen Räthe würde


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jedes politische System an der Uebertreibung seines eigenen Princips zu
Grunde geht.

Die Einführung des Referendums in einer Mehrheit von Cantonen
hätte ohne Zweifel, wie dies jetzt schon vielfach und laut verlangt wird, die
Aufnahme desselben auch in die Bundesverfassung zur Folge. Nun
aber hat unser Bundesrecht eine zwiefache Basis: die selbständigen Cantone
und die Gesammtnation. Jeder dieser Factoren ist in einer eigenen Kammer
vertreten. Um das Referendum in diesen Organismus einzuführen, müßten
sowohl die Cantone als das ganze Volk befragt werden. Wenn nun aber
diese beiden verschieden poliren? Offenbar würde das Volk den Sieg davon
tragen. Dann würde aber auch das Zweikammersystem fallen und man
wäre bei dem Einheitsstaat angelangt. Die Schweiz besteht aber aus drei
Nationalitäten, deren eine die beiden anderen so sehr an Zahl überwiegt,
daß ihr eine stete Mehrheit bei den Volksabstimmungen gesichert bliebe. Die
stets in der Minderheit bleibenden beiden anderen würden sich bald von ihren
sprach- und stammverwandten Nachbarnationen angezogen, vom Schweizer¬
bunde abgestoßen fühlen. Denn niemals würde sich eine Minderheit von
Cantonen durch, eine an Sprache, Abstammung und Sitten verschiedene
Mehrheit beherrschen lassen.

Die Gründe, die Herr T. im Obigen gegen das Referendum geltend
macht, sind zum Theil schon von Herrn Dubs aufgeführt worden. Nament¬
lich schließt sich Jener in Bezug auf die Einführung desselben in den Bund
ganz der Meinung Dubs' an. Wie das Referendum, so wird von diesem
auch das Veto bekämpft. Hierin tritt ihm ferner Herr Hilty zur Seite, der
jedoch dafür die von Herrn Dubs empfohlene Initiative verwirft und ein
Bundesreferendum wenigstens für die Verfassung, die organischen Ge¬
setze und die Verträge mit dem Auslande eingeführt haben möchte.

Wir können es uns um so eher versagen, unsern Kritiker auch über die
beiden anderen dem Referendum analogen Institutionen, des Veto und die
Volksinitiative, zu hören, da dieselben vor dem nämlichen Princip wie
das Referendum fallen. Hingegen ist eine Zusammenstellung der von ande¬
ren Seiten gemachten Vorschläge lehrreich.

Um den Uebelständen der periodischen Wahlen zu begegnen, wollte Dubs
dem Volke das Recht einräumen, seine Vertreter zu jeder beliebigen Zeit ab¬
zuberufen und dafür eine längere. 7—8-, statt wie bisher nur 3—4tägige Amts¬
dauer einführen. Ein viel größeres Interesse des Volks sowohl an der Wahl sei¬
ner Vertreter als am Gange der Politik müßte die Folge dieser Neuerung
sein. Dubs schlägt serner directe Wahl der Regierung durch das Volk vor,
wodurch zwei Behörden geschaffen würden, die von einander unabhängig und
doch gemeinsamen Ursprungs wären. Die Allmacht der Großen Räthe würde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/139>, abgerufen am 25.08.2024.