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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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"Wir haben beschlossen , an nichts Hand anzulegen", wiederholte Basarow
verdrossen.

"Und blos zu tadeln?"

"Und blos zu tadeln!"

"Und dies ist also Nihilismus?"
, ..Und das ist Nihilismus!" wiederholte Basarow.

"Wie? Und Sie denken im Ernst es mit dieser Lehre gegen das gan^e
Volk aufzunehmen?"

"An einem Kerzenlichte, wie Sie wissen, entzündete sich einst ganz
Moskau!" antwortete Basarow.

"Jawohl, jawohl! Anfangs satanischer Stolz, darauf Spott! davon läßt
sich die Jugend hinreißen und das erfüllt die Herzen der unerfahrenen Knaben!
und diese Krankheit hat sich bereits weit verbreitet, selbst unsere Künstler in
Rom besuchen nicht mehr den Vatican und halten Raphael sür einen Narren,
um nur keine Autorität gelten zu lassen; aber selbst sind sie erbärmlich und
gänzlich unproductiv, ihre ganze Phantasie reicht nicht weiter als höchstens
bis zum "Mädchen am Springbrunnen" und dabei ist das Mädchen noch ganz
abscheulich gemalt; nach Ihrer Meinung sind es tüchtige Leute, nicht wahr?"

"Meiner Meinung nach", entgegnete Basarow, "taugt Raphael keinen
Heller und die jungen Künstler sind um nichts besser."

"Bravo, bravo! so also haben sich die jetzigen jungen Leute auszudrücken;
früher mußten sie sich, wenn auch gezwungen, Mühe geben, nicht für Igno¬
ranten zu gelten, jetzt aber brauchen sie nur zu sagen: alles auf der Welt
ist Thorheit, und damit ist die Sache abgemacht! Die jungen Leute müssen
dessen in der That froh sein. Früher waren es einfach Lümmel, jetzt aber
heißen sie Nihilisten."

"Unser Streit ist zu weit gegangen und es ist besser ihn abzubrechen",
sagte Basarow, "ich werde nur dann mit Ihnen einverstanden sein, wenn
Sie mir auch nur eine Institution in unserem gegenwärtigen gesellschaftlichen
oder staatlichen Leben nennen können, die nicht eine völlige und schonungs¬
lose Verneinung forderte."

Diese Probe wird genügen, um den Standpunct des jungen Ge-
schlechts vollständig zu bezeichnen. Der Conflict zwischen dem Romantiker
und seinem cynischen jungen Gegner steigert sich im weiteren Verlauf.
Paul, der Basarow im Verdacht hat. der Maitresse seines Bruders nach¬
zustellen, fordert diesen zum Zweikampf heraus. Der Nihilist, der sich
noch eben über die Widersinnigkeit des Duells ausgesprochen hat, kann nicht
umhin die Forderung anzunehmen und verwundet seinen Gegner. Dann
verläßt Basarow das Kirscmow'sche Haus und kehrt zu seinen Aeltern zurück,
die ihn mit liebender Ungeduld erwartet haben. In den folgenden Capiteln,


„Wir haben beschlossen , an nichts Hand anzulegen", wiederholte Basarow
verdrossen.

„Und blos zu tadeln?"

„Und blos zu tadeln!"

„Und dies ist also Nihilismus?"
, ..Und das ist Nihilismus!" wiederholte Basarow.

„Wie? Und Sie denken im Ernst es mit dieser Lehre gegen das gan^e
Volk aufzunehmen?"

„An einem Kerzenlichte, wie Sie wissen, entzündete sich einst ganz
Moskau!" antwortete Basarow.

„Jawohl, jawohl! Anfangs satanischer Stolz, darauf Spott! davon läßt
sich die Jugend hinreißen und das erfüllt die Herzen der unerfahrenen Knaben!
und diese Krankheit hat sich bereits weit verbreitet, selbst unsere Künstler in
Rom besuchen nicht mehr den Vatican und halten Raphael sür einen Narren,
um nur keine Autorität gelten zu lassen; aber selbst sind sie erbärmlich und
gänzlich unproductiv, ihre ganze Phantasie reicht nicht weiter als höchstens
bis zum „Mädchen am Springbrunnen" und dabei ist das Mädchen noch ganz
abscheulich gemalt; nach Ihrer Meinung sind es tüchtige Leute, nicht wahr?"

„Meiner Meinung nach", entgegnete Basarow, „taugt Raphael keinen
Heller und die jungen Künstler sind um nichts besser."

„Bravo, bravo! so also haben sich die jetzigen jungen Leute auszudrücken;
früher mußten sie sich, wenn auch gezwungen, Mühe geben, nicht für Igno¬
ranten zu gelten, jetzt aber brauchen sie nur zu sagen: alles auf der Welt
ist Thorheit, und damit ist die Sache abgemacht! Die jungen Leute müssen
dessen in der That froh sein. Früher waren es einfach Lümmel, jetzt aber
heißen sie Nihilisten."

„Unser Streit ist zu weit gegangen und es ist besser ihn abzubrechen",
sagte Basarow, „ich werde nur dann mit Ihnen einverstanden sein, wenn
Sie mir auch nur eine Institution in unserem gegenwärtigen gesellschaftlichen
oder staatlichen Leben nennen können, die nicht eine völlige und schonungs¬
lose Verneinung forderte."

Diese Probe wird genügen, um den Standpunct des jungen Ge-
schlechts vollständig zu bezeichnen. Der Conflict zwischen dem Romantiker
und seinem cynischen jungen Gegner steigert sich im weiteren Verlauf.
Paul, der Basarow im Verdacht hat. der Maitresse seines Bruders nach¬
zustellen, fordert diesen zum Zweikampf heraus. Der Nihilist, der sich
noch eben über die Widersinnigkeit des Duells ausgesprochen hat, kann nicht
umhin die Forderung anzunehmen und verwundet seinen Gegner. Dann
verläßt Basarow das Kirscmow'sche Haus und kehrt zu seinen Aeltern zurück,
die ihn mit liebender Ungeduld erwartet haben. In den folgenden Capiteln,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/14>, abgerufen am 25.08.2024.