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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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"Wie beweist denn das nichts?" fragte Paul Petrowitsch verwundert
Sie befinden sich folglich im Gegensatz zu Ihrem Volke."

"Und wenn auch! das Volk glaubt, wenn der Donner rollt, daß der
Prophet Elias im Himmel umherfahre; wie? soll ick ihm beistimmen? Außer¬
dem -- es ja das russische Volk und bin ich denn kein Russe?"

"Nein, darnach, was Sie eben behauptet haben, sind Sie kein Russe, ich
kann Sie nicht als einen solchen anerkennen."

"Mein Großvater hat gepflügt", antwortete mir anmaßenden Tone Ba-
sarow, "und fragen Sie den ersten besten Bauer, in wem er eher seinen
Landsmann erkennt; Sie verstehen nicht einmal mit ihm zu sprechen."

"Sie sprechen mit ihm, verachten ihn aber."

"Was ist dabei zu machen, wenn er diese Verachtung verdient! Sie
tadeln meine Ansichten, aber wer sagt ihnen, daß dieselben nur zufällig in
mir entstanden, daß sie nicht durch denselben Volksgeist hervorgerufen sind,
zu Gunsten dessen Sie reden?"

"Glauben Sie vielleicht", fuhr Paul Kirsanow sich zu Basarow wen¬
dend fort, daß dieses eine neue Lehre sei? Der Materialismus, den Sie
predigen, war schon oftmals voZuiz und er hat sich stets als unzureichend
bewiesen."

"Wieder ein Fremdwort!" unterbrach ihn Basarow. "Erstens, wir
predigen gar nicht, das ist nicht unsere Schwachheit."
"Aber was thun Sie denn?"

"Nun. wir thun Folgendes: zuerst -- es ist noch nicht lange her --
behaupteten wir. daß unsere Beamten bestechlich sind, daß wir weder Straßen,
noch Handel, noch regelmäßige Behörden haben" ....

"Ja, angenommen! Sie deckten die Mißbräuche auf, mit so Manchem
davon bin ich einverstanden, aber" ....

"Aber darauf sahen wir ein, daß das bloße Schwatzen über unsere
Schäden zu gar nichts führt und daß auch, unsere Klüglinge, unsere Stimm¬
führer nichts werth seien; wir sahen ein, daß wir uns nur mit Lappalien
abgaben und über Kunst, freies Schaffen, Parlamentarismus. Advocat.ur
und Gott weiß worüber redeten, während es sich um das tägliche Brod
handelt und der gröbste Aberglauben uns zu ersticken droht; alle unsere Actien-
compagnien gehen aus Mangel an ehrlichen Leuten zu Grunde und selbst, die
Freiheit, welche die Regierung den Bauern zu geben bereit ist. wird uns
schwerlich Nutzen bringen, denn der Bauer ist froh sich selbst zu bestehlen.
um dann in der Schenke sich zu betrinken."

"Also", unterbrach ihn Paul Petrowitsch, "Sie haben sich von der Nutz¬
losigkeit dieser Thätigkeit überzeugt und beschlossen, an nichts mehr ernstlich
Hand anzulegen?"


„Wie beweist denn das nichts?" fragte Paul Petrowitsch verwundert
Sie befinden sich folglich im Gegensatz zu Ihrem Volke."

„Und wenn auch! das Volk glaubt, wenn der Donner rollt, daß der
Prophet Elias im Himmel umherfahre; wie? soll ick ihm beistimmen? Außer¬
dem — es ja das russische Volk und bin ich denn kein Russe?"

„Nein, darnach, was Sie eben behauptet haben, sind Sie kein Russe, ich
kann Sie nicht als einen solchen anerkennen."

„Mein Großvater hat gepflügt", antwortete mir anmaßenden Tone Ba-
sarow, „und fragen Sie den ersten besten Bauer, in wem er eher seinen
Landsmann erkennt; Sie verstehen nicht einmal mit ihm zu sprechen."

„Sie sprechen mit ihm, verachten ihn aber."

„Was ist dabei zu machen, wenn er diese Verachtung verdient! Sie
tadeln meine Ansichten, aber wer sagt ihnen, daß dieselben nur zufällig in
mir entstanden, daß sie nicht durch denselben Volksgeist hervorgerufen sind,
zu Gunsten dessen Sie reden?"

„Glauben Sie vielleicht", fuhr Paul Kirsanow sich zu Basarow wen¬
dend fort, daß dieses eine neue Lehre sei? Der Materialismus, den Sie
predigen, war schon oftmals voZuiz und er hat sich stets als unzureichend
bewiesen."

„Wieder ein Fremdwort!" unterbrach ihn Basarow. „Erstens, wir
predigen gar nicht, das ist nicht unsere Schwachheit."
„Aber was thun Sie denn?"

„Nun. wir thun Folgendes: zuerst — es ist noch nicht lange her —
behaupteten wir. daß unsere Beamten bestechlich sind, daß wir weder Straßen,
noch Handel, noch regelmäßige Behörden haben" ....

„Ja, angenommen! Sie deckten die Mißbräuche auf, mit so Manchem
davon bin ich einverstanden, aber" ....

„Aber darauf sahen wir ein, daß das bloße Schwatzen über unsere
Schäden zu gar nichts führt und daß auch, unsere Klüglinge, unsere Stimm¬
führer nichts werth seien; wir sahen ein, daß wir uns nur mit Lappalien
abgaben und über Kunst, freies Schaffen, Parlamentarismus. Advocat.ur
und Gott weiß worüber redeten, während es sich um das tägliche Brod
handelt und der gröbste Aberglauben uns zu ersticken droht; alle unsere Actien-
compagnien gehen aus Mangel an ehrlichen Leuten zu Grunde und selbst, die
Freiheit, welche die Regierung den Bauern zu geben bereit ist. wird uns
schwerlich Nutzen bringen, denn der Bauer ist froh sich selbst zu bestehlen.
um dann in der Schenke sich zu betrinken."

„Also", unterbrach ihn Paul Petrowitsch, „Sie haben sich von der Nutz¬
losigkeit dieser Thätigkeit überzeugt und beschlossen, an nichts mehr ernstlich
Hand anzulegen?"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/13>, abgerufen am 24.08.2024.