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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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in dem schönen Lande zwischen Jura und Alpen ein Asyl gewannen, wo sie
für ihre in den Hörsälen der Universitäten und in der heimischen Literatur
gewonnenen theoretischen Anschauungen einen fruchtbaren und oft nur zu
dankbaren Boden für praktische Verwerthung vorfanden. So fand in den
Alpenthälern damals eine große Ablagerung politischer Ideen statt, welche in
den Nachbarstaaten einstweilen zur praktischen Unfruchtbarkeit verdammt waren,
sich aber hier auf republicanischen Boden schnell zu thatsächlichen Gestaltungen
entwickelten und in dieser Form dann auf die Importländer zurückwirkten.

Aehnliche Wechselwirkung fand dann wieder 1847--1848 statt, wo der
Sonderbundskrieg, der Vorläufer der französischen und der deutschen Revo¬
lution, der Schweiz ihre neue Bundesverfassung bewirkte, durch welche sie
zu einem selbständigeren nationalen Leben als sie jemals vorher besessen, er¬
hoben wurde. Eine Menge deutscher und französischer Flüchtlinge kehrten,
nachdem bei ihnen zu Hause die Revolution triumphirt, aus der Schweiz in
ihr Vaterland zurück, um für die aus hier gemachten Erfahrungen gewonne¬
nen Ideen Anhänger zu werben und deren Verwirklichung zu betreiben. Bald
darauf sandte die inzwischen auf beiden Seiten des Rheins eintretende Reac¬
tion wieder freiwillige Exulanten in der Schweiz, wo sie die Folgen der
unterdessen glücklich durchgeführten neuen Staatsorganisation mit jenen der
verunglückten französischen und deutschen Bewegung zu vergleichen Gelegen¬
heit fanden.

Trotz dieses innigen Wechselverhältnisses ist schon öfter geklagt worden,
daß den schweizerischen Zuständen und politischen Bewegungen von deutscher
Seite -- von französischer gar nicht zu reden -- zu wenig Beachtung ge¬
schenkt werde und daß namentlich in der periodischen Presse das was in der
Schweiz vorgeht, im Allgemeinen nicht so dargestellt zu werden pflegt, wie
es für beide Länder, für die Schweiz um der Ehre der Wahrheit, für Deutsch¬
land um des praktischen und theoretischen Nutzens willen, vielleicht wünschens.
werth wäre. Es mag dies allerdings mehr zufällige Folge davon sein, daß es
meist politische Flüchtlinge waren, welche die Correspondenz mit ihrem Vater¬
lande vermittelten und daher mit ihrem einseitigen Maaßstabe maaßen, was
nur mit seinem eigenen gemessen werden sollte. Viel Unwesentliches wurde
so zu ungebührlicher Bedeutung aufgeblasen, manches Wesentliche zu wenig
beachtet und so die Verhältnisse aus ihrer richtigen Perspective verrückt. Diese
Erscheinung dauert noch heute, wenn auch in geringerem Maaße, fort oder
es ist an deren Stelle das leere Nichts getreten, seit die große Mehrzahl der
Flüchtlinge wieder in die Heimath zurückkehrte und gleichzeitig das Ringen
für den Ausbau der deutschen Einheit und Freiheit das Interesse für die
Nachbarrepublik in den Hintergrund geschoben hat.

Wir hoffen mit diesen einleitenden Worten genug zu unserer Entschuld!-


in dem schönen Lande zwischen Jura und Alpen ein Asyl gewannen, wo sie
für ihre in den Hörsälen der Universitäten und in der heimischen Literatur
gewonnenen theoretischen Anschauungen einen fruchtbaren und oft nur zu
dankbaren Boden für praktische Verwerthung vorfanden. So fand in den
Alpenthälern damals eine große Ablagerung politischer Ideen statt, welche in
den Nachbarstaaten einstweilen zur praktischen Unfruchtbarkeit verdammt waren,
sich aber hier auf republicanischen Boden schnell zu thatsächlichen Gestaltungen
entwickelten und in dieser Form dann auf die Importländer zurückwirkten.

Aehnliche Wechselwirkung fand dann wieder 1847—1848 statt, wo der
Sonderbundskrieg, der Vorläufer der französischen und der deutschen Revo¬
lution, der Schweiz ihre neue Bundesverfassung bewirkte, durch welche sie
zu einem selbständigeren nationalen Leben als sie jemals vorher besessen, er¬
hoben wurde. Eine Menge deutscher und französischer Flüchtlinge kehrten,
nachdem bei ihnen zu Hause die Revolution triumphirt, aus der Schweiz in
ihr Vaterland zurück, um für die aus hier gemachten Erfahrungen gewonne¬
nen Ideen Anhänger zu werben und deren Verwirklichung zu betreiben. Bald
darauf sandte die inzwischen auf beiden Seiten des Rheins eintretende Reac¬
tion wieder freiwillige Exulanten in der Schweiz, wo sie die Folgen der
unterdessen glücklich durchgeführten neuen Staatsorganisation mit jenen der
verunglückten französischen und deutschen Bewegung zu vergleichen Gelegen¬
heit fanden.

Trotz dieses innigen Wechselverhältnisses ist schon öfter geklagt worden,
daß den schweizerischen Zuständen und politischen Bewegungen von deutscher
Seite — von französischer gar nicht zu reden — zu wenig Beachtung ge¬
schenkt werde und daß namentlich in der periodischen Presse das was in der
Schweiz vorgeht, im Allgemeinen nicht so dargestellt zu werden pflegt, wie
es für beide Länder, für die Schweiz um der Ehre der Wahrheit, für Deutsch¬
land um des praktischen und theoretischen Nutzens willen, vielleicht wünschens.
werth wäre. Es mag dies allerdings mehr zufällige Folge davon sein, daß es
meist politische Flüchtlinge waren, welche die Correspondenz mit ihrem Vater¬
lande vermittelten und daher mit ihrem einseitigen Maaßstabe maaßen, was
nur mit seinem eigenen gemessen werden sollte. Viel Unwesentliches wurde
so zu ungebührlicher Bedeutung aufgeblasen, manches Wesentliche zu wenig
beachtet und so die Verhältnisse aus ihrer richtigen Perspective verrückt. Diese
Erscheinung dauert noch heute, wenn auch in geringerem Maaße, fort oder
es ist an deren Stelle das leere Nichts getreten, seit die große Mehrzahl der
Flüchtlinge wieder in die Heimath zurückkehrte und gleichzeitig das Ringen
für den Ausbau der deutschen Einheit und Freiheit das Interesse für die
Nachbarrepublik in den Hintergrund geschoben hat.

Wir hoffen mit diesen einleitenden Worten genug zu unserer Entschuld!-


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[0130] in dem schönen Lande zwischen Jura und Alpen ein Asyl gewannen, wo sie für ihre in den Hörsälen der Universitäten und in der heimischen Literatur gewonnenen theoretischen Anschauungen einen fruchtbaren und oft nur zu dankbaren Boden für praktische Verwerthung vorfanden. So fand in den Alpenthälern damals eine große Ablagerung politischer Ideen statt, welche in den Nachbarstaaten einstweilen zur praktischen Unfruchtbarkeit verdammt waren, sich aber hier auf republicanischen Boden schnell zu thatsächlichen Gestaltungen entwickelten und in dieser Form dann auf die Importländer zurückwirkten. Aehnliche Wechselwirkung fand dann wieder 1847—1848 statt, wo der Sonderbundskrieg, der Vorläufer der französischen und der deutschen Revo¬ lution, der Schweiz ihre neue Bundesverfassung bewirkte, durch welche sie zu einem selbständigeren nationalen Leben als sie jemals vorher besessen, er¬ hoben wurde. Eine Menge deutscher und französischer Flüchtlinge kehrten, nachdem bei ihnen zu Hause die Revolution triumphirt, aus der Schweiz in ihr Vaterland zurück, um für die aus hier gemachten Erfahrungen gewonne¬ nen Ideen Anhänger zu werben und deren Verwirklichung zu betreiben. Bald darauf sandte die inzwischen auf beiden Seiten des Rheins eintretende Reac¬ tion wieder freiwillige Exulanten in der Schweiz, wo sie die Folgen der unterdessen glücklich durchgeführten neuen Staatsorganisation mit jenen der verunglückten französischen und deutschen Bewegung zu vergleichen Gelegen¬ heit fanden. Trotz dieses innigen Wechselverhältnisses ist schon öfter geklagt worden, daß den schweizerischen Zuständen und politischen Bewegungen von deutscher Seite — von französischer gar nicht zu reden — zu wenig Beachtung ge¬ schenkt werde und daß namentlich in der periodischen Presse das was in der Schweiz vorgeht, im Allgemeinen nicht so dargestellt zu werden pflegt, wie es für beide Länder, für die Schweiz um der Ehre der Wahrheit, für Deutsch¬ land um des praktischen und theoretischen Nutzens willen, vielleicht wünschens. werth wäre. Es mag dies allerdings mehr zufällige Folge davon sein, daß es meist politische Flüchtlinge waren, welche die Correspondenz mit ihrem Vater¬ lande vermittelten und daher mit ihrem einseitigen Maaßstabe maaßen, was nur mit seinem eigenen gemessen werden sollte. Viel Unwesentliches wurde so zu ungebührlicher Bedeutung aufgeblasen, manches Wesentliche zu wenig beachtet und so die Verhältnisse aus ihrer richtigen Perspective verrückt. Diese Erscheinung dauert noch heute, wenn auch in geringerem Maaße, fort oder es ist an deren Stelle das leere Nichts getreten, seit die große Mehrzahl der Flüchtlinge wieder in die Heimath zurückkehrte und gleichzeitig das Ringen für den Ausbau der deutschen Einheit und Freiheit das Interesse für die Nachbarrepublik in den Hintergrund geschoben hat. Wir hoffen mit diesen einleitenden Worten genug zu unserer Entschuld!-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/130>, abgerufen am 22.07.2024.