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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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sittliche Erwägungen hinzutraten. Nach Allem, was ich davon gehört und
gelesen hatte -- die Berichte fanden den Weg sogar bis in das südlichste
Italien -- dachte ich mir den Künstler als ein Talent ersten Ranges, nur
wenige Schritte von vollendeter Meisterschaft entfernt, dessen Farbentechnik
schon jetzt keine Vergleichung zu scheuen hat. welcher dem Cultus des Schö¬
nen mit voller Seele zugethan moralische Bedenken übersah und den Tadel,
den man gegen die Wahl des Gegenstandes etwa erhob, rechtfertigen oder
wenigstens entschuldigen konnte mit dem Hinweise auf die Fülle der Schön¬
heiten, die er demselben entlockt; das Werk selbst erwartete ich sinnberauschend
zu finden, voll magischer Kraft und üppig wuchernden Lebens. Es mag bei
strengen Sittenrichtern Anstoß erregen, aber nicht absprechen ließe sich ihm
ein energisches Leben, eine gewaltige Kraft, eine üppige Schönheit.

Ich muß offen gestehen, daß mich der Anblick des Gemäldes, das be¬
kanntlich aus drei selbständigen Tafeln besteht, in den meisten Beziehungen
enttäuscht hat. Die Sinne berauschend oder was noch viel schlimmer, wirk¬
lich unkünstlerisch wäre, sie kitzelnd wirkt das Bild nicht. Von Correggio's
mythologischen Gemälden gar nicht zu reden, wie ganz anders packt die
Roxane Sodoma's in der Farnesina die Sinne und weckt süßes Sehnen und
entzündet das Feuer der Empfindung. Aber, um nicht durch das Anlegen
eines zu hohen Maaßstabes dem Künstler ungerecht zu werden, wie geschickt
haben nicht moderne französische Maler sinnliche Reize wiederzugeben ver¬
standen. Bei Makart kommen wollüstige Stellungen und unzüchtige Be¬
wegungen auch in Hülle und Fülle vor, aber schon dadurch, daß sie sich bis
zum Eintöniger wiederholen, durch die übertriebene Häufung wird jeder tie¬
fere Eindruck gelähmt, bleibt nur eine stumpfe Empfindung übrig. Legt es
der Künstler auf die höchste Steigerung des Affectes an. so muß er mit der
einmaligen Schilderung desselben sich begnügen, er muß uns wie zu einem
Gipfel emporführen und diesen allein für sich stehend vor unser Auge stellen.
Häuft er solche Gipfel nebeneinander, so geht der Eindruck der Höhe ver¬
loren. Man denke sich ein Musikstück vom Anfang bis zum Ende im stärksten
Fortissimo vorgetragen. Betäubender Lärm würde dadurch erzeugt werden,
aber die wahre Wirkung der Kraft gewiß verloren gehen. Dazu kommt
noch bei Makart die arge Vernachlässigung der Zeichnung, die nebelhafte
Unbestimmtheit der Formen. Wenn man sich zehn bis zwölf Schritte von
dem Bilde entfernt, so daß die einzelnen Figuren unkenntlich werden, alle
Deutlichkeit und Klarheit, was eigentlich hier vorgehe, aufhört, gewinnt man
einen angenehmen Farbeneffect. Der Künstler versteht sich vortrefflich auf
die Behandlung der Halbtöne, auf wirksame Farbencontraste, er hält Licht
und Schatten in großen Massen zusammen, dämpft die ersteren und weiß den
letzteren noch einen farbigen Schimmer zu verleihen. Der harmonische Ein-


sittliche Erwägungen hinzutraten. Nach Allem, was ich davon gehört und
gelesen hatte — die Berichte fanden den Weg sogar bis in das südlichste
Italien — dachte ich mir den Künstler als ein Talent ersten Ranges, nur
wenige Schritte von vollendeter Meisterschaft entfernt, dessen Farbentechnik
schon jetzt keine Vergleichung zu scheuen hat. welcher dem Cultus des Schö¬
nen mit voller Seele zugethan moralische Bedenken übersah und den Tadel,
den man gegen die Wahl des Gegenstandes etwa erhob, rechtfertigen oder
wenigstens entschuldigen konnte mit dem Hinweise auf die Fülle der Schön¬
heiten, die er demselben entlockt; das Werk selbst erwartete ich sinnberauschend
zu finden, voll magischer Kraft und üppig wuchernden Lebens. Es mag bei
strengen Sittenrichtern Anstoß erregen, aber nicht absprechen ließe sich ihm
ein energisches Leben, eine gewaltige Kraft, eine üppige Schönheit.

Ich muß offen gestehen, daß mich der Anblick des Gemäldes, das be¬
kanntlich aus drei selbständigen Tafeln besteht, in den meisten Beziehungen
enttäuscht hat. Die Sinne berauschend oder was noch viel schlimmer, wirk¬
lich unkünstlerisch wäre, sie kitzelnd wirkt das Bild nicht. Von Correggio's
mythologischen Gemälden gar nicht zu reden, wie ganz anders packt die
Roxane Sodoma's in der Farnesina die Sinne und weckt süßes Sehnen und
entzündet das Feuer der Empfindung. Aber, um nicht durch das Anlegen
eines zu hohen Maaßstabes dem Künstler ungerecht zu werden, wie geschickt
haben nicht moderne französische Maler sinnliche Reize wiederzugeben ver¬
standen. Bei Makart kommen wollüstige Stellungen und unzüchtige Be¬
wegungen auch in Hülle und Fülle vor, aber schon dadurch, daß sie sich bis
zum Eintöniger wiederholen, durch die übertriebene Häufung wird jeder tie¬
fere Eindruck gelähmt, bleibt nur eine stumpfe Empfindung übrig. Legt es
der Künstler auf die höchste Steigerung des Affectes an. so muß er mit der
einmaligen Schilderung desselben sich begnügen, er muß uns wie zu einem
Gipfel emporführen und diesen allein für sich stehend vor unser Auge stellen.
Häuft er solche Gipfel nebeneinander, so geht der Eindruck der Höhe ver¬
loren. Man denke sich ein Musikstück vom Anfang bis zum Ende im stärksten
Fortissimo vorgetragen. Betäubender Lärm würde dadurch erzeugt werden,
aber die wahre Wirkung der Kraft gewiß verloren gehen. Dazu kommt
noch bei Makart die arge Vernachlässigung der Zeichnung, die nebelhafte
Unbestimmtheit der Formen. Wenn man sich zehn bis zwölf Schritte von
dem Bilde entfernt, so daß die einzelnen Figuren unkenntlich werden, alle
Deutlichkeit und Klarheit, was eigentlich hier vorgehe, aufhört, gewinnt man
einen angenehmen Farbeneffect. Der Künstler versteht sich vortrefflich auf
die Behandlung der Halbtöne, auf wirksame Farbencontraste, er hält Licht
und Schatten in großen Massen zusammen, dämpft die ersteren und weiß den
letzteren noch einen farbigen Schimmer zu verleihen. Der harmonische Ein-


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[0119] sittliche Erwägungen hinzutraten. Nach Allem, was ich davon gehört und gelesen hatte — die Berichte fanden den Weg sogar bis in das südlichste Italien — dachte ich mir den Künstler als ein Talent ersten Ranges, nur wenige Schritte von vollendeter Meisterschaft entfernt, dessen Farbentechnik schon jetzt keine Vergleichung zu scheuen hat. welcher dem Cultus des Schö¬ nen mit voller Seele zugethan moralische Bedenken übersah und den Tadel, den man gegen die Wahl des Gegenstandes etwa erhob, rechtfertigen oder wenigstens entschuldigen konnte mit dem Hinweise auf die Fülle der Schön¬ heiten, die er demselben entlockt; das Werk selbst erwartete ich sinnberauschend zu finden, voll magischer Kraft und üppig wuchernden Lebens. Es mag bei strengen Sittenrichtern Anstoß erregen, aber nicht absprechen ließe sich ihm ein energisches Leben, eine gewaltige Kraft, eine üppige Schönheit. Ich muß offen gestehen, daß mich der Anblick des Gemäldes, das be¬ kanntlich aus drei selbständigen Tafeln besteht, in den meisten Beziehungen enttäuscht hat. Die Sinne berauschend oder was noch viel schlimmer, wirk¬ lich unkünstlerisch wäre, sie kitzelnd wirkt das Bild nicht. Von Correggio's mythologischen Gemälden gar nicht zu reden, wie ganz anders packt die Roxane Sodoma's in der Farnesina die Sinne und weckt süßes Sehnen und entzündet das Feuer der Empfindung. Aber, um nicht durch das Anlegen eines zu hohen Maaßstabes dem Künstler ungerecht zu werden, wie geschickt haben nicht moderne französische Maler sinnliche Reize wiederzugeben ver¬ standen. Bei Makart kommen wollüstige Stellungen und unzüchtige Be¬ wegungen auch in Hülle und Fülle vor, aber schon dadurch, daß sie sich bis zum Eintöniger wiederholen, durch die übertriebene Häufung wird jeder tie¬ fere Eindruck gelähmt, bleibt nur eine stumpfe Empfindung übrig. Legt es der Künstler auf die höchste Steigerung des Affectes an. so muß er mit der einmaligen Schilderung desselben sich begnügen, er muß uns wie zu einem Gipfel emporführen und diesen allein für sich stehend vor unser Auge stellen. Häuft er solche Gipfel nebeneinander, so geht der Eindruck der Höhe ver¬ loren. Man denke sich ein Musikstück vom Anfang bis zum Ende im stärksten Fortissimo vorgetragen. Betäubender Lärm würde dadurch erzeugt werden, aber die wahre Wirkung der Kraft gewiß verloren gehen. Dazu kommt noch bei Makart die arge Vernachlässigung der Zeichnung, die nebelhafte Unbestimmtheit der Formen. Wenn man sich zehn bis zwölf Schritte von dem Bilde entfernt, so daß die einzelnen Figuren unkenntlich werden, alle Deutlichkeit und Klarheit, was eigentlich hier vorgehe, aufhört, gewinnt man einen angenehmen Farbeneffect. Der Künstler versteht sich vortrefflich auf die Behandlung der Halbtöne, auf wirksame Farbencontraste, er hält Licht und Schatten in großen Massen zusammen, dämpft die ersteren und weiß den letzteren noch einen farbigen Schimmer zu verleihen. Der harmonische Ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/119>, abgerufen am 22.07.2024.