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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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druck, welchen die Farbengebung auf den Fernstehenden macht, verschwindet
aber, sobald man dem Bilde näher rückt. Denn dann wird die schrankenlose
Willkür des Colorits dem Auge offenbar und daß über dem allgemeinen
Farbeneffect Form und Zeichnung völlig vernachlässigt worden, ersichtlich.

Makart gebraucht keine Localfarben. Er kann dafür berühmte Vorbil¬
der anrufen, und selbst wenn dieses nicht der Fall wäre, sein Vorgehen voll¬
kommen rechtfertigen. Farben, die an sich nicht natürlich scheinen, werden
es durch die Nachbarschaft und Gegenstellung anderer. Delacroix behauptet
einmal, wenn Paul Veronese auf seine Palette eine Farbe vom Ton des
Pariser grauen Straßenschmutzes empfangen hätte und damit zugleich den
Auftrag, das Fleisch einer Blondine nur mit dieser grauen Farbe zu malen,
er würde ohne Zögern das Werk begonnen und mit dem größten Erfolge
vollendet haben. Er wollte mit diesem paradoxen Satze nichts weiter sagen
und er hat es an seinen eigenen Werken glänzend durchgeführt, daß Farben
durch die Neben- und Gegenstellung anderer Töne ihren ursprünglichen Cha¬
rakter verändern und der .Gesammteindruck die volle Wahrheit wiedergibt,
welche in der Schilderung des Einzelnen und Besonderen vermißt wird.
Mit dieser Freiheit des Coloristen, mit dem andern Zugeständnisse, daß
dieser durch die Farben zeichnen darf und soll, begnügt sich Makart nicht.
Ihm gilt ausschließlich der abstracte Farberuffect; was diesen nicht fördert
oder wohl gar schwächt, ist für ihn nicht vorhanden,; er steht auf dem Stand¬
punct des Ornamentisten, verflüchtigt dem malerischen Scheine zu Liebe die
menschlichen Gestalten, drückt diese auf den Werth todter Sachen, bloßen
Beiwerkes herab, das sich nach Belieben verschieben und umgestalten läßt.
Findet Makart, aus größerer Ferne sein Bild überblickend, daß da und dort
die Gesammtwirkung noch einen Farbenton erheische, so setzt er ihn auf die
Stelle hin, aber ohne daß er ihm eine bestimmte Form gäbe oder mit einem
Gegenstande, einer Figur in eine klare Beziehung brächte. Es ist der reine
Farbenfleck, den wir erblicken. Braucht er eine größere Farbenfläche, ein
breiteres Lichtfeld, um den Schattenpartien ein kräftigeres Gegengewicht ent¬
gegenzuhalten, so bilden Modellirung und Zeichnung kein Hinderniß, solche
Farbenflächen anzubringen. Das nackte Weib, das sich im Vordergrunde
des Mittelbildes mit ihren Reizen breit macht, ist eine zusammengeballte
weißgelbe Masse mit unklaren verschwommenen Formen und daher ohne
allen Ausdruck; der Mann im Hintergrunde hebt nicht mit dem Arm, son¬
dern mit einem ungestalteten Klumpen Fleisch die goldene Kette empor; auf
dem ersten Bilde geht bei der Frau, welche sich an den Säulensockel anlehnt,
Brust und Rücken so unmittelbar in das grüne Gewand über, daß wieder
nur der verworrenste Eindruck zurückbleibt. Aehnliche Uebertreibungen eines


druck, welchen die Farbengebung auf den Fernstehenden macht, verschwindet
aber, sobald man dem Bilde näher rückt. Denn dann wird die schrankenlose
Willkür des Colorits dem Auge offenbar und daß über dem allgemeinen
Farbeneffect Form und Zeichnung völlig vernachlässigt worden, ersichtlich.

Makart gebraucht keine Localfarben. Er kann dafür berühmte Vorbil¬
der anrufen, und selbst wenn dieses nicht der Fall wäre, sein Vorgehen voll¬
kommen rechtfertigen. Farben, die an sich nicht natürlich scheinen, werden
es durch die Nachbarschaft und Gegenstellung anderer. Delacroix behauptet
einmal, wenn Paul Veronese auf seine Palette eine Farbe vom Ton des
Pariser grauen Straßenschmutzes empfangen hätte und damit zugleich den
Auftrag, das Fleisch einer Blondine nur mit dieser grauen Farbe zu malen,
er würde ohne Zögern das Werk begonnen und mit dem größten Erfolge
vollendet haben. Er wollte mit diesem paradoxen Satze nichts weiter sagen
und er hat es an seinen eigenen Werken glänzend durchgeführt, daß Farben
durch die Neben- und Gegenstellung anderer Töne ihren ursprünglichen Cha¬
rakter verändern und der .Gesammteindruck die volle Wahrheit wiedergibt,
welche in der Schilderung des Einzelnen und Besonderen vermißt wird.
Mit dieser Freiheit des Coloristen, mit dem andern Zugeständnisse, daß
dieser durch die Farben zeichnen darf und soll, begnügt sich Makart nicht.
Ihm gilt ausschließlich der abstracte Farberuffect; was diesen nicht fördert
oder wohl gar schwächt, ist für ihn nicht vorhanden,; er steht auf dem Stand¬
punct des Ornamentisten, verflüchtigt dem malerischen Scheine zu Liebe die
menschlichen Gestalten, drückt diese auf den Werth todter Sachen, bloßen
Beiwerkes herab, das sich nach Belieben verschieben und umgestalten läßt.
Findet Makart, aus größerer Ferne sein Bild überblickend, daß da und dort
die Gesammtwirkung noch einen Farbenton erheische, so setzt er ihn auf die
Stelle hin, aber ohne daß er ihm eine bestimmte Form gäbe oder mit einem
Gegenstande, einer Figur in eine klare Beziehung brächte. Es ist der reine
Farbenfleck, den wir erblicken. Braucht er eine größere Farbenfläche, ein
breiteres Lichtfeld, um den Schattenpartien ein kräftigeres Gegengewicht ent¬
gegenzuhalten, so bilden Modellirung und Zeichnung kein Hinderniß, solche
Farbenflächen anzubringen. Das nackte Weib, das sich im Vordergrunde
des Mittelbildes mit ihren Reizen breit macht, ist eine zusammengeballte
weißgelbe Masse mit unklaren verschwommenen Formen und daher ohne
allen Ausdruck; der Mann im Hintergrunde hebt nicht mit dem Arm, son¬
dern mit einem ungestalteten Klumpen Fleisch die goldene Kette empor; auf
dem ersten Bilde geht bei der Frau, welche sich an den Säulensockel anlehnt,
Brust und Rücken so unmittelbar in das grüne Gewand über, daß wieder
nur der verworrenste Eindruck zurückbleibt. Aehnliche Uebertreibungen eines


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[0120] druck, welchen die Farbengebung auf den Fernstehenden macht, verschwindet aber, sobald man dem Bilde näher rückt. Denn dann wird die schrankenlose Willkür des Colorits dem Auge offenbar und daß über dem allgemeinen Farbeneffect Form und Zeichnung völlig vernachlässigt worden, ersichtlich. Makart gebraucht keine Localfarben. Er kann dafür berühmte Vorbil¬ der anrufen, und selbst wenn dieses nicht der Fall wäre, sein Vorgehen voll¬ kommen rechtfertigen. Farben, die an sich nicht natürlich scheinen, werden es durch die Nachbarschaft und Gegenstellung anderer. Delacroix behauptet einmal, wenn Paul Veronese auf seine Palette eine Farbe vom Ton des Pariser grauen Straßenschmutzes empfangen hätte und damit zugleich den Auftrag, das Fleisch einer Blondine nur mit dieser grauen Farbe zu malen, er würde ohne Zögern das Werk begonnen und mit dem größten Erfolge vollendet haben. Er wollte mit diesem paradoxen Satze nichts weiter sagen und er hat es an seinen eigenen Werken glänzend durchgeführt, daß Farben durch die Neben- und Gegenstellung anderer Töne ihren ursprünglichen Cha¬ rakter verändern und der .Gesammteindruck die volle Wahrheit wiedergibt, welche in der Schilderung des Einzelnen und Besonderen vermißt wird. Mit dieser Freiheit des Coloristen, mit dem andern Zugeständnisse, daß dieser durch die Farben zeichnen darf und soll, begnügt sich Makart nicht. Ihm gilt ausschließlich der abstracte Farberuffect; was diesen nicht fördert oder wohl gar schwächt, ist für ihn nicht vorhanden,; er steht auf dem Stand¬ punct des Ornamentisten, verflüchtigt dem malerischen Scheine zu Liebe die menschlichen Gestalten, drückt diese auf den Werth todter Sachen, bloßen Beiwerkes herab, das sich nach Belieben verschieben und umgestalten läßt. Findet Makart, aus größerer Ferne sein Bild überblickend, daß da und dort die Gesammtwirkung noch einen Farbenton erheische, so setzt er ihn auf die Stelle hin, aber ohne daß er ihm eine bestimmte Form gäbe oder mit einem Gegenstande, einer Figur in eine klare Beziehung brächte. Es ist der reine Farbenfleck, den wir erblicken. Braucht er eine größere Farbenfläche, ein breiteres Lichtfeld, um den Schattenpartien ein kräftigeres Gegengewicht ent¬ gegenzuhalten, so bilden Modellirung und Zeichnung kein Hinderniß, solche Farbenflächen anzubringen. Das nackte Weib, das sich im Vordergrunde des Mittelbildes mit ihren Reizen breit macht, ist eine zusammengeballte weißgelbe Masse mit unklaren verschwommenen Formen und daher ohne allen Ausdruck; der Mann im Hintergrunde hebt nicht mit dem Arm, son¬ dern mit einem ungestalteten Klumpen Fleisch die goldene Kette empor; auf dem ersten Bilde geht bei der Frau, welche sich an den Säulensockel anlehnt, Brust und Rücken so unmittelbar in das grüne Gewand über, daß wieder nur der verworrenste Eindruck zurückbleibt. Aehnliche Uebertreibungen eines

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/120>, abgerufen am 22.07.2024.