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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Die konservative Partei will natürlich den bestehenden Zustand erhalten
und höchstens einige Mißbräuche abschaffen, Sie behauptet, der Jndier sei
durch natürliche Anlage und den Einfluß des Climas faul und arbeite nicht
mehr, als er zu seinem bescheidenen Unterhalte nöthig habe; der Arbeits¬
zwang sei für ihn darum eine Wohlthat. Auf die jährlichen Ueberschüsse als
eine Vergütung für die Mühe und Kosten seiner Verwaltung und seines
sittlich hebenden Einflusses habe Holland zweifellosen Anspruch. Das Cultur-
system sei für Java wie für das Mutterland eine Wohlthat gewesen und
müsse darum erhalten werden. Die Kammern thäten am Besten, sich in die
Verwaltung der Colonieen gar nicht zu mischen, der Regierung dürften nicht
durch Gesetze die Hände gebunden werden u. s. w.

Die Liberalen wollen einen lungsamen Uebergang vom Zwang zum
freiwilligen Uebereinkommen. Der Javane soll künftig die Erzeugnisse, die
er jetzt zu liefern gezwungen ist, freiwillig pflanzen, jedoch dürfen die großen
Ueberschüsse der indischen Casse nicht wegfallen, sie müssen dem Mutter¬
lande vielmehr erhalten bleiben. Die ganze Verwaltung soll gesetzlich ge¬
ordnet und besser organisirt werden. -- Auch die Liberalen halten daran fest,
daß das Mutterland Recht auf die Ueberschüsse habe.

Die Radicalen und mit ihnen die "christlich-nationale" Partei des
Herrn Groen van Prinsterer verlangen, daß Indien überhaupt nicht mehr
ausgesogen werde, daß Holland nicht mehr die directen Vortheile in Form
der Ueberschüsse erhalte, daß diese vielmehr zu Gunsten der Javaner, ver¬
wendet werden. Die Abschaffung des Zwangsystems steht bei ihnen so ziem¬
lich in zweiter Reihe, da sie sehr wohl begreifen, daß davon so lange nicht
die Rede sein kann, als noch von Seiten des Mutterlandes Anspruch auf
große Summen erhoben wird. Außerdem wollen sie, daß für die Entwicke¬
lung des Volkes Etwas gethan und daß eine durchgreifende Reorganisation
der Verwaltung vorgenommen werde. Zur Charakteristik des gegenwärtigen
Zustandes sei noch angeführt, daß auf der ganzen Insel höchstens SO Schu¬
len für Eingeborene mit etwa 7000 Schülern bestehen, was bei ca. 12 Mil¬
lionen Einwohnern etwa Eine Schule auf 600,000 Seelen macht. Das sind
die den Javanen aus der holländischen Verwaltung erwachsenen Vortheile. Die
Vortheile, welche die Niederlande aus ihnen gezogen haben, werden wir gleich
kennen lernen.

Die Liberalen haben nicht den Muth,, das Uebel mit der Wurzel aus¬
zurotten, deshalb kommen sie zu der Ungereimtheit, daß sie die Aushunge¬
rungspolitik verlassen und dennoch deren Nutzen behalten wollen. Ist es denn
denkbar, daß der Javane freiwillig für den bisherigen geringen Lohn schwere
Arbeit verrichten werde? Oder Werdensich die Vortheile nicht bei wachsendem
Arbeitslohn nothwendig vermindern müssen? Oder aber, kann die freiwillige


Die konservative Partei will natürlich den bestehenden Zustand erhalten
und höchstens einige Mißbräuche abschaffen, Sie behauptet, der Jndier sei
durch natürliche Anlage und den Einfluß des Climas faul und arbeite nicht
mehr, als er zu seinem bescheidenen Unterhalte nöthig habe; der Arbeits¬
zwang sei für ihn darum eine Wohlthat. Auf die jährlichen Ueberschüsse als
eine Vergütung für die Mühe und Kosten seiner Verwaltung und seines
sittlich hebenden Einflusses habe Holland zweifellosen Anspruch. Das Cultur-
system sei für Java wie für das Mutterland eine Wohlthat gewesen und
müsse darum erhalten werden. Die Kammern thäten am Besten, sich in die
Verwaltung der Colonieen gar nicht zu mischen, der Regierung dürften nicht
durch Gesetze die Hände gebunden werden u. s. w.

Die Liberalen wollen einen lungsamen Uebergang vom Zwang zum
freiwilligen Uebereinkommen. Der Javane soll künftig die Erzeugnisse, die
er jetzt zu liefern gezwungen ist, freiwillig pflanzen, jedoch dürfen die großen
Ueberschüsse der indischen Casse nicht wegfallen, sie müssen dem Mutter¬
lande vielmehr erhalten bleiben. Die ganze Verwaltung soll gesetzlich ge¬
ordnet und besser organisirt werden. — Auch die Liberalen halten daran fest,
daß das Mutterland Recht auf die Ueberschüsse habe.

Die Radicalen und mit ihnen die „christlich-nationale" Partei des
Herrn Groen van Prinsterer verlangen, daß Indien überhaupt nicht mehr
ausgesogen werde, daß Holland nicht mehr die directen Vortheile in Form
der Ueberschüsse erhalte, daß diese vielmehr zu Gunsten der Javaner, ver¬
wendet werden. Die Abschaffung des Zwangsystems steht bei ihnen so ziem¬
lich in zweiter Reihe, da sie sehr wohl begreifen, daß davon so lange nicht
die Rede sein kann, als noch von Seiten des Mutterlandes Anspruch auf
große Summen erhoben wird. Außerdem wollen sie, daß für die Entwicke¬
lung des Volkes Etwas gethan und daß eine durchgreifende Reorganisation
der Verwaltung vorgenommen werde. Zur Charakteristik des gegenwärtigen
Zustandes sei noch angeführt, daß auf der ganzen Insel höchstens SO Schu¬
len für Eingeborene mit etwa 7000 Schülern bestehen, was bei ca. 12 Mil¬
lionen Einwohnern etwa Eine Schule auf 600,000 Seelen macht. Das sind
die den Javanen aus der holländischen Verwaltung erwachsenen Vortheile. Die
Vortheile, welche die Niederlande aus ihnen gezogen haben, werden wir gleich
kennen lernen.

Die Liberalen haben nicht den Muth,, das Uebel mit der Wurzel aus¬
zurotten, deshalb kommen sie zu der Ungereimtheit, daß sie die Aushunge¬
rungspolitik verlassen und dennoch deren Nutzen behalten wollen. Ist es denn
denkbar, daß der Javane freiwillig für den bisherigen geringen Lohn schwere
Arbeit verrichten werde? Oder Werdensich die Vortheile nicht bei wachsendem
Arbeitslohn nothwendig vermindern müssen? Oder aber, kann die freiwillige


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[0114] Die konservative Partei will natürlich den bestehenden Zustand erhalten und höchstens einige Mißbräuche abschaffen, Sie behauptet, der Jndier sei durch natürliche Anlage und den Einfluß des Climas faul und arbeite nicht mehr, als er zu seinem bescheidenen Unterhalte nöthig habe; der Arbeits¬ zwang sei für ihn darum eine Wohlthat. Auf die jährlichen Ueberschüsse als eine Vergütung für die Mühe und Kosten seiner Verwaltung und seines sittlich hebenden Einflusses habe Holland zweifellosen Anspruch. Das Cultur- system sei für Java wie für das Mutterland eine Wohlthat gewesen und müsse darum erhalten werden. Die Kammern thäten am Besten, sich in die Verwaltung der Colonieen gar nicht zu mischen, der Regierung dürften nicht durch Gesetze die Hände gebunden werden u. s. w. Die Liberalen wollen einen lungsamen Uebergang vom Zwang zum freiwilligen Uebereinkommen. Der Javane soll künftig die Erzeugnisse, die er jetzt zu liefern gezwungen ist, freiwillig pflanzen, jedoch dürfen die großen Ueberschüsse der indischen Casse nicht wegfallen, sie müssen dem Mutter¬ lande vielmehr erhalten bleiben. Die ganze Verwaltung soll gesetzlich ge¬ ordnet und besser organisirt werden. — Auch die Liberalen halten daran fest, daß das Mutterland Recht auf die Ueberschüsse habe. Die Radicalen und mit ihnen die „christlich-nationale" Partei des Herrn Groen van Prinsterer verlangen, daß Indien überhaupt nicht mehr ausgesogen werde, daß Holland nicht mehr die directen Vortheile in Form der Ueberschüsse erhalte, daß diese vielmehr zu Gunsten der Javaner, ver¬ wendet werden. Die Abschaffung des Zwangsystems steht bei ihnen so ziem¬ lich in zweiter Reihe, da sie sehr wohl begreifen, daß davon so lange nicht die Rede sein kann, als noch von Seiten des Mutterlandes Anspruch auf große Summen erhoben wird. Außerdem wollen sie, daß für die Entwicke¬ lung des Volkes Etwas gethan und daß eine durchgreifende Reorganisation der Verwaltung vorgenommen werde. Zur Charakteristik des gegenwärtigen Zustandes sei noch angeführt, daß auf der ganzen Insel höchstens SO Schu¬ len für Eingeborene mit etwa 7000 Schülern bestehen, was bei ca. 12 Mil¬ lionen Einwohnern etwa Eine Schule auf 600,000 Seelen macht. Das sind die den Javanen aus der holländischen Verwaltung erwachsenen Vortheile. Die Vortheile, welche die Niederlande aus ihnen gezogen haben, werden wir gleich kennen lernen. Die Liberalen haben nicht den Muth,, das Uebel mit der Wurzel aus¬ zurotten, deshalb kommen sie zu der Ungereimtheit, daß sie die Aushunge¬ rungspolitik verlassen und dennoch deren Nutzen behalten wollen. Ist es denn denkbar, daß der Javane freiwillig für den bisherigen geringen Lohn schwere Arbeit verrichten werde? Oder Werdensich die Vortheile nicht bei wachsendem Arbeitslohn nothwendig vermindern müssen? Oder aber, kann die freiwillige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/114>, abgerufen am 24.08.2024.