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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Production und damit der Wohlstand auf Java so sehr steigen, daß die da¬
durch erhöhte Stcuerfähigkeit den Ausfall, den die höheren Löhne zur Folge
haben müssen, decken würden? Nur in diesen drei Fällen wäre die Erhal¬
tung der Ueberschüsse möglich. Aber die beiden ersten Fragen wird man so¬
fort verneinen müssen, und ebenfalls die dritte, wenn man bedenkt, daß. wie
wir gesehen haben, der Javane bei der gegenwärtigen Production kaum noch
Zeit genug hat, um seine Reisfelder zu bestellen. Mit der Halbheit der Li¬
beralen kommt man darum nicht weiter; entweder muß man das "Cultur¬
system", so wie es ursprünglich organisirt war, fortbestehen lassen, oder man
muß dasselbe mit allen seinen Consequenzen verwerfen. Veränderungen unter¬
graben das System nur, ohne ihm. seine schädlichen Wirkungen zu nehmen.

Will man Indien Recht wiederfahren lassen und Holland von der
Schmach befreien, daß es von dem Schweiß eines unterdrückten Volkes lebt,
so muß zuerst auf die indischen Ueberschüsse verzichtet und dafür gesorgt wer¬
den, daß anderweitige Mittel zur Bestreitung des Staatshaushaltes beschafft
werden. Die Lösung der colontalen Frage muß in Holland, nicht in Indien
beginnen. Solange unser Budget regelmäßig mit einem Deficit von un¬
gefähr 15 Millionen schließt, werden wir nicht zum erwünschten Ziele gelan¬
gen. Die indischen Ueberschüsse haben seu Jahren unser Deficit decken müssen,
sie haben uns verleitet, immer größere Ausgaben zu machen, und das große
Elend unserer Colontalpolitik ist, daß sie uns gänzlich demoralisirt hat. Von
1846 bis 1866, also in über zwanzig Friedensjahren, sind unsere gewöhnlichen
Einnahmen, ohne die indischen Zuschüsse, nur um 10 Procent, dagegen un¬
sere Ausgaben (nach Abzug der Zinsen sür unsere Schulden und der für außer¬
gewöhnliche Zwecke verwandten Summen) um 40 Procent gewachsen. Bei
unserem veralteten Steuersystem und der drückenden Höhe der Abgaben (circa
20 Fi. per Kopf) war die Abschaffung einiger den Arbeiterstand am meisten
drückenden Steuern durchaus zu rechtfertigen. Die Millionen, welche Indien
uns geliefert hat, sind nützlich verwandt, aber der Gedanke, daß der Staat
mit seinem indischen Gelde überall helfen muß, ist so allgemein geworden,
daß aller Unternehmungsgeist aus dem Volke verschwunden ist. Unsere beiden
ersten Eisenbahnen wurden von deutschem und englischem Gelde, die späteren
vom Staat und nur zwei oder drei kleine Bahnen von holländischen Actien-
gesellschaften gebaut. Amsterdam's Hilferuf um eine bessere Verbindung mit
der Nordsee erklang schon seit zwanzig Jahren und ein neuer Canal war zur
Lebensbedingung für die Hauptstadt geworden. Als es aber darauf ankam,
20 Millionen Capital für eine solche Unternehmung auf Actien zu zeichnen,
konnte die nöthige Summe nicht zusammengebracht werden, und das Land,
welches jedem fremden Staate seine Millionen mit vollen Händen leiht, war
zu engherzig, um eine verhältnißmäßig kleine Summe an einen nationalen


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Production und damit der Wohlstand auf Java so sehr steigen, daß die da¬
durch erhöhte Stcuerfähigkeit den Ausfall, den die höheren Löhne zur Folge
haben müssen, decken würden? Nur in diesen drei Fällen wäre die Erhal¬
tung der Ueberschüsse möglich. Aber die beiden ersten Fragen wird man so¬
fort verneinen müssen, und ebenfalls die dritte, wenn man bedenkt, daß. wie
wir gesehen haben, der Javane bei der gegenwärtigen Production kaum noch
Zeit genug hat, um seine Reisfelder zu bestellen. Mit der Halbheit der Li¬
beralen kommt man darum nicht weiter; entweder muß man das „Cultur¬
system", so wie es ursprünglich organisirt war, fortbestehen lassen, oder man
muß dasselbe mit allen seinen Consequenzen verwerfen. Veränderungen unter¬
graben das System nur, ohne ihm. seine schädlichen Wirkungen zu nehmen.

Will man Indien Recht wiederfahren lassen und Holland von der
Schmach befreien, daß es von dem Schweiß eines unterdrückten Volkes lebt,
so muß zuerst auf die indischen Ueberschüsse verzichtet und dafür gesorgt wer¬
den, daß anderweitige Mittel zur Bestreitung des Staatshaushaltes beschafft
werden. Die Lösung der colontalen Frage muß in Holland, nicht in Indien
beginnen. Solange unser Budget regelmäßig mit einem Deficit von un¬
gefähr 15 Millionen schließt, werden wir nicht zum erwünschten Ziele gelan¬
gen. Die indischen Ueberschüsse haben seu Jahren unser Deficit decken müssen,
sie haben uns verleitet, immer größere Ausgaben zu machen, und das große
Elend unserer Colontalpolitik ist, daß sie uns gänzlich demoralisirt hat. Von
1846 bis 1866, also in über zwanzig Friedensjahren, sind unsere gewöhnlichen
Einnahmen, ohne die indischen Zuschüsse, nur um 10 Procent, dagegen un¬
sere Ausgaben (nach Abzug der Zinsen sür unsere Schulden und der für außer¬
gewöhnliche Zwecke verwandten Summen) um 40 Procent gewachsen. Bei
unserem veralteten Steuersystem und der drückenden Höhe der Abgaben (circa
20 Fi. per Kopf) war die Abschaffung einiger den Arbeiterstand am meisten
drückenden Steuern durchaus zu rechtfertigen. Die Millionen, welche Indien
uns geliefert hat, sind nützlich verwandt, aber der Gedanke, daß der Staat
mit seinem indischen Gelde überall helfen muß, ist so allgemein geworden,
daß aller Unternehmungsgeist aus dem Volke verschwunden ist. Unsere beiden
ersten Eisenbahnen wurden von deutschem und englischem Gelde, die späteren
vom Staat und nur zwei oder drei kleine Bahnen von holländischen Actien-
gesellschaften gebaut. Amsterdam's Hilferuf um eine bessere Verbindung mit
der Nordsee erklang schon seit zwanzig Jahren und ein neuer Canal war zur
Lebensbedingung für die Hauptstadt geworden. Als es aber darauf ankam,
20 Millionen Capital für eine solche Unternehmung auf Actien zu zeichnen,
konnte die nöthige Summe nicht zusammengebracht werden, und das Land,
welches jedem fremden Staate seine Millionen mit vollen Händen leiht, war
zu engherzig, um eine verhältnißmäßig kleine Summe an einen nationalen


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[0115] Production und damit der Wohlstand auf Java so sehr steigen, daß die da¬ durch erhöhte Stcuerfähigkeit den Ausfall, den die höheren Löhne zur Folge haben müssen, decken würden? Nur in diesen drei Fällen wäre die Erhal¬ tung der Ueberschüsse möglich. Aber die beiden ersten Fragen wird man so¬ fort verneinen müssen, und ebenfalls die dritte, wenn man bedenkt, daß. wie wir gesehen haben, der Javane bei der gegenwärtigen Production kaum noch Zeit genug hat, um seine Reisfelder zu bestellen. Mit der Halbheit der Li¬ beralen kommt man darum nicht weiter; entweder muß man das „Cultur¬ system", so wie es ursprünglich organisirt war, fortbestehen lassen, oder man muß dasselbe mit allen seinen Consequenzen verwerfen. Veränderungen unter¬ graben das System nur, ohne ihm. seine schädlichen Wirkungen zu nehmen. Will man Indien Recht wiederfahren lassen und Holland von der Schmach befreien, daß es von dem Schweiß eines unterdrückten Volkes lebt, so muß zuerst auf die indischen Ueberschüsse verzichtet und dafür gesorgt wer¬ den, daß anderweitige Mittel zur Bestreitung des Staatshaushaltes beschafft werden. Die Lösung der colontalen Frage muß in Holland, nicht in Indien beginnen. Solange unser Budget regelmäßig mit einem Deficit von un¬ gefähr 15 Millionen schließt, werden wir nicht zum erwünschten Ziele gelan¬ gen. Die indischen Ueberschüsse haben seu Jahren unser Deficit decken müssen, sie haben uns verleitet, immer größere Ausgaben zu machen, und das große Elend unserer Colontalpolitik ist, daß sie uns gänzlich demoralisirt hat. Von 1846 bis 1866, also in über zwanzig Friedensjahren, sind unsere gewöhnlichen Einnahmen, ohne die indischen Zuschüsse, nur um 10 Procent, dagegen un¬ sere Ausgaben (nach Abzug der Zinsen sür unsere Schulden und der für außer¬ gewöhnliche Zwecke verwandten Summen) um 40 Procent gewachsen. Bei unserem veralteten Steuersystem und der drückenden Höhe der Abgaben (circa 20 Fi. per Kopf) war die Abschaffung einiger den Arbeiterstand am meisten drückenden Steuern durchaus zu rechtfertigen. Die Millionen, welche Indien uns geliefert hat, sind nützlich verwandt, aber der Gedanke, daß der Staat mit seinem indischen Gelde überall helfen muß, ist so allgemein geworden, daß aller Unternehmungsgeist aus dem Volke verschwunden ist. Unsere beiden ersten Eisenbahnen wurden von deutschem und englischem Gelde, die späteren vom Staat und nur zwei oder drei kleine Bahnen von holländischen Actien- gesellschaften gebaut. Amsterdam's Hilferuf um eine bessere Verbindung mit der Nordsee erklang schon seit zwanzig Jahren und ein neuer Canal war zur Lebensbedingung für die Hauptstadt geworden. Als es aber darauf ankam, 20 Millionen Capital für eine solche Unternehmung auf Actien zu zeichnen, konnte die nöthige Summe nicht zusammengebracht werden, und das Land, welches jedem fremden Staate seine Millionen mit vollen Händen leiht, war zu engherzig, um eine verhältnißmäßig kleine Summe an einen nationalen 14*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/115>, abgerufen am 24.08.2024.