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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Unterhaltung der Plantagen auch noch weiter verpflichtet seien. Zugleich
wurde den Ausländern verboten. Magazine zu errichten, d. h. den Einge-
bornen jede Gelegenheit zum Verkauf ihrer Producte genommen. Allerdings
machte die Regierung bekannt, zu welchem Preise sie die Producte kaufen
würde und berechnete danach die Landrente; kamen aber die Producenten
mit ihren Erzeugnissen , so weigerte sie unter irgend einem Vorwand die An¬
nahme, um sich ihrer auf andere Weise zu einem Spottpreise bemächtigen zu
können; häufig genug reichte der Ertrag nicht hin. die Landrente zu decken.
Zwang und Erpressung waren wieder die Losung geworden. und diese sollten
um so mitleidloser geübt werden, als die Geldverlegenheit des Mutterlandes
beständig stieg. Zu dem Aufstande des Diepo Negoro in Java (1825--1830)
gesellten sich die belgischen Unruhen, und als im Jahre 1830 die Revolution
ausbrach, sandte Wilhelm I. den Grafen van der Bosch mit der ausgedehn¬
testen Vollmacht als Generalgouvemeur nach Indien. Bosch ist der Schöpfer
des "Cnltursystems". Der Erfolg desselben hat seine Erwartung sowohl wie
die seiner Gegner übertroffen. Wohl erhoben sich einige Stimmen gegen
das neue System, aber im Drange der Zeiten wurden sie überhört. Auch
die Eingebornen Javas, die so lange geduldig ausgehalten hatten, wider¬
sehten sich hin und wieder; aber die Widerspenstigen wurden ins Gefängniß
geworfen oder mit Ruthen (Rötting) geschlagen. Noch im Jahre 1864
sind eine halbe Million Ruthenschlage an die Javanen ertheilt worden.
Dafür hat uns Java seit der Einführung des Cultursystems mehr als 500
Millionen eingebracht, womit wir Schulden tilgen. Eisenbahnen bauen, unsere
Landesvertheidigung bezahlen und -- die Sclaven in Westindien freilaufen
konnten.

Bei diesen glänzenden finanziellen Erfolgen und bei dem Dunkel, in
welches die Regierung ihre Colonialpolitik zu hüllen wußte, war natürlich,
daß das "Cultursystem" zum goldenen Kalbe der Holländer wurde -- bis mit
der Constitutton vom Jahre 1848 auch die Regierung der Colonien unter
nähere Aufsicht der Kammern kam. Zunächst erhob der Abgeordnete Baron
van den Hoevell. früher Prediger zu Batavia, öffentlich seine Stimme gegen
das "Cultursystem". Aber er fand so wenig Gehör, daß das "Cultursystem"
noch im Jahre 1854 neu bestätigt wurde. Vult den Hoevell selbst wurde
natürlich mit allen nur möglichen Lästerungen und Verleumdungen über¬
häuft. Aber dennoch brach die Wahrheit sich allmälig Bahn -- Kammer
und Regierung sahen sich bald veranlaßt, auf Verbesserungen zu denken. Der
vor einigen Jahren entbrannte Streit über die Colonialfrage hat uns seit
dem Jahre 1862 selbst sieben verschiedene Minister für die Colonien gebracht,
aber zu einem durchgreifenden Resultat ist er noch nicht gekommen. Das
Haupthinderniß einer Reform ist und bleibt unsere Finanznoth.


Grenzboten III. 18K9. 14

Unterhaltung der Plantagen auch noch weiter verpflichtet seien. Zugleich
wurde den Ausländern verboten. Magazine zu errichten, d. h. den Einge-
bornen jede Gelegenheit zum Verkauf ihrer Producte genommen. Allerdings
machte die Regierung bekannt, zu welchem Preise sie die Producte kaufen
würde und berechnete danach die Landrente; kamen aber die Producenten
mit ihren Erzeugnissen , so weigerte sie unter irgend einem Vorwand die An¬
nahme, um sich ihrer auf andere Weise zu einem Spottpreise bemächtigen zu
können; häufig genug reichte der Ertrag nicht hin. die Landrente zu decken.
Zwang und Erpressung waren wieder die Losung geworden. und diese sollten
um so mitleidloser geübt werden, als die Geldverlegenheit des Mutterlandes
beständig stieg. Zu dem Aufstande des Diepo Negoro in Java (1825—1830)
gesellten sich die belgischen Unruhen, und als im Jahre 1830 die Revolution
ausbrach, sandte Wilhelm I. den Grafen van der Bosch mit der ausgedehn¬
testen Vollmacht als Generalgouvemeur nach Indien. Bosch ist der Schöpfer
des „Cnltursystems". Der Erfolg desselben hat seine Erwartung sowohl wie
die seiner Gegner übertroffen. Wohl erhoben sich einige Stimmen gegen
das neue System, aber im Drange der Zeiten wurden sie überhört. Auch
die Eingebornen Javas, die so lange geduldig ausgehalten hatten, wider¬
sehten sich hin und wieder; aber die Widerspenstigen wurden ins Gefängniß
geworfen oder mit Ruthen (Rötting) geschlagen. Noch im Jahre 1864
sind eine halbe Million Ruthenschlage an die Javanen ertheilt worden.
Dafür hat uns Java seit der Einführung des Cultursystems mehr als 500
Millionen eingebracht, womit wir Schulden tilgen. Eisenbahnen bauen, unsere
Landesvertheidigung bezahlen und — die Sclaven in Westindien freilaufen
konnten.

Bei diesen glänzenden finanziellen Erfolgen und bei dem Dunkel, in
welches die Regierung ihre Colonialpolitik zu hüllen wußte, war natürlich,
daß das „Cultursystem" zum goldenen Kalbe der Holländer wurde — bis mit
der Constitutton vom Jahre 1848 auch die Regierung der Colonien unter
nähere Aufsicht der Kammern kam. Zunächst erhob der Abgeordnete Baron
van den Hoevell. früher Prediger zu Batavia, öffentlich seine Stimme gegen
das „Cultursystem". Aber er fand so wenig Gehör, daß das „Cultursystem"
noch im Jahre 1854 neu bestätigt wurde. Vult den Hoevell selbst wurde
natürlich mit allen nur möglichen Lästerungen und Verleumdungen über¬
häuft. Aber dennoch brach die Wahrheit sich allmälig Bahn — Kammer
und Regierung sahen sich bald veranlaßt, auf Verbesserungen zu denken. Der
vor einigen Jahren entbrannte Streit über die Colonialfrage hat uns seit
dem Jahre 1862 selbst sieben verschiedene Minister für die Colonien gebracht,
aber zu einem durchgreifenden Resultat ist er noch nicht gekommen. Das
Haupthinderniß einer Reform ist und bleibt unsere Finanznoth.


Grenzboten III. 18K9. 14
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/113>, abgerufen am 25.08.2024.