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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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aus Rücksichten der Religion und Sittlichkeit nothwendig erscheint. Mit
anderen Worten, die Bischöfe sollen über die Volks- und Mittelschulen nach
dem Wortlaute und Sinne des Concordats unbedingt verfügen dürfen.

Wer eine andere Einrichtung der Schule beabsichtigt, gehört, wie sich
der Innsbruck" Professor Moriggl auf der Versammlung des katholischen
Vereins zu Jnzing am 16 August v. I. vernehmen ließ, den "verständigen
Lumpen" an, "bei denen das Wissen von der Religion himmelweit getrennt
ist." In diesem Geiste wurde auf allen Zusammenkünften der katholischen
Filialvereine gepredigt, zu diesem Zwecke umschlang man im vorigen
Herbste ganz Deutschtirol mit einer Propaganda, welche die Bevölkerung
in eine Armee zur Bekämpfung des Schul- und Ehegesetzes verwandeln
sollte. Als zur Ausführung des Reichsgesetzes vom 25. Mai v. I. gegen¬
über dem Sträuben des tiroler und anderer Provinzicillandtage jene provi¬
sorische Verordnung des Ministers für Cultus und Unterricht vom 10. Febr.
d. I. erlassen wurde, welche die bisher von den kirchlichen Oberbehörden und
geistlichen Schuldistrictsaussehern geübte Competenz den politischen Behörden
übertrug und die Landeschefs ermächtigte, zur berathenden Theilnahme an
allen wichtigeren Verhandlungen in Schulangelegenheiten, Mitglieder des
Landesausschusses und Geistliche zu berufen, entbrannte der Kampf von
neuem. Zunächst interpellirten die clericalen Tiroler im Vereine mit den
polnischen und krainischen Separatisten den Unterrichtsminister am 19. Febr.
im Abgeordnetenhause über diese "verfassungswidrige" Verletzung der Landes¬
gesetze; der Abgeordnete Giovanelli verstieg sich sogar zu der kecken Be¬
hauptung, der tiroler Landtag habe dem Reichsgesetze vom 25. Mai v. I.
Mit Rücksicht auf die Verhältnisse des Landes nur die richtige Auslegung
gegeben. Wolle man sie nicht gelten lassen, so möge man doch den Landtag
auflösen; gegen den Willen der Landtage die ministerielle Meinung zur
Geltung bringen, heiße gegen den Geist der Verfassung verstoßen. Und doch
lag die Sache gerade umgekehrt: der Fehler bestand -- was auch der Unter¬
richtsminister Ritter von Hafner theilweise selbst eingestand, -- in dem langen
Zaudern mit der Ausführung des Reichsgesetzes, dessen man sich schuldig
gemacht. Sobald die Landtage dem Gesetz offen sich widersetzten, hätte ein
Provisorium Platz greifen sollen. Jndirect ist diese Nothwendigkeit durch die
Anordnungen der Landesbischöfe bewiesen worden. Der Seelenhirt von Brixen
ging am 22. Februar mit einem Erlasse voran, in welchem vorgeschrieben
wurde, daß es "keinem Geistlichen seiner Diöcese" erlaubt sei, bei den neu
zu organisirenden Aufsichtsbehörden über die Volksschulen eine Stelle anzu¬
nehmen. Zugleich verordnete er, daß die geistlichen Schulinspectoren den
amtlichen Geschäftsgang in Schulangelegenheiten wie bisher fortführen sollten.
Der Bischof von Trient verbot seinem Clerus die Aushändigung der Acten


aus Rücksichten der Religion und Sittlichkeit nothwendig erscheint. Mit
anderen Worten, die Bischöfe sollen über die Volks- und Mittelschulen nach
dem Wortlaute und Sinne des Concordats unbedingt verfügen dürfen.

Wer eine andere Einrichtung der Schule beabsichtigt, gehört, wie sich
der Innsbruck» Professor Moriggl auf der Versammlung des katholischen
Vereins zu Jnzing am 16 August v. I. vernehmen ließ, den „verständigen
Lumpen" an, „bei denen das Wissen von der Religion himmelweit getrennt
ist." In diesem Geiste wurde auf allen Zusammenkünften der katholischen
Filialvereine gepredigt, zu diesem Zwecke umschlang man im vorigen
Herbste ganz Deutschtirol mit einer Propaganda, welche die Bevölkerung
in eine Armee zur Bekämpfung des Schul- und Ehegesetzes verwandeln
sollte. Als zur Ausführung des Reichsgesetzes vom 25. Mai v. I. gegen¬
über dem Sträuben des tiroler und anderer Provinzicillandtage jene provi¬
sorische Verordnung des Ministers für Cultus und Unterricht vom 10. Febr.
d. I. erlassen wurde, welche die bisher von den kirchlichen Oberbehörden und
geistlichen Schuldistrictsaussehern geübte Competenz den politischen Behörden
übertrug und die Landeschefs ermächtigte, zur berathenden Theilnahme an
allen wichtigeren Verhandlungen in Schulangelegenheiten, Mitglieder des
Landesausschusses und Geistliche zu berufen, entbrannte der Kampf von
neuem. Zunächst interpellirten die clericalen Tiroler im Vereine mit den
polnischen und krainischen Separatisten den Unterrichtsminister am 19. Febr.
im Abgeordnetenhause über diese „verfassungswidrige" Verletzung der Landes¬
gesetze; der Abgeordnete Giovanelli verstieg sich sogar zu der kecken Be¬
hauptung, der tiroler Landtag habe dem Reichsgesetze vom 25. Mai v. I.
Mit Rücksicht auf die Verhältnisse des Landes nur die richtige Auslegung
gegeben. Wolle man sie nicht gelten lassen, so möge man doch den Landtag
auflösen; gegen den Willen der Landtage die ministerielle Meinung zur
Geltung bringen, heiße gegen den Geist der Verfassung verstoßen. Und doch
lag die Sache gerade umgekehrt: der Fehler bestand — was auch der Unter¬
richtsminister Ritter von Hafner theilweise selbst eingestand, — in dem langen
Zaudern mit der Ausführung des Reichsgesetzes, dessen man sich schuldig
gemacht. Sobald die Landtage dem Gesetz offen sich widersetzten, hätte ein
Provisorium Platz greifen sollen. Jndirect ist diese Nothwendigkeit durch die
Anordnungen der Landesbischöfe bewiesen worden. Der Seelenhirt von Brixen
ging am 22. Februar mit einem Erlasse voran, in welchem vorgeschrieben
wurde, daß es „keinem Geistlichen seiner Diöcese" erlaubt sei, bei den neu
zu organisirenden Aufsichtsbehörden über die Volksschulen eine Stelle anzu¬
nehmen. Zugleich verordnete er, daß die geistlichen Schulinspectoren den
amtlichen Geschäftsgang in Schulangelegenheiten wie bisher fortführen sollten.
Der Bischof von Trient verbot seinem Clerus die Aushändigung der Acten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/76>, abgerufen am 02.07.2024.