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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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über die bisher geführte Schulaufsicht und verschob die Religionsprüfungen
für das laufende Schuljahr. Der Salzburger Erzbischof schien anfangs milder
gestimmt zu sein, da sich sein Bruder Wilhelm v. Tarnoczy. Decan in
Se. Johann, am 1. März zur Annahme einer Schulinspectorstelle im untern
Jnnthal selbst erbot; gleich nachher am 3. erfolgte aber eine Vorschrift an
die Diöcesangeistlichen, welche sie anwies, zu solchen Ernennungen die Zustim¬
mung des Erzbischofs einzuholen. Trotz alledem hoffte man im Ministerium
auf einen gütlichen Ausgleich, zumal der Brunner Bischof erklärt hatte, sich
auch nach der neuesten Wendung der Dinge der Schule nicht feindlich er¬
zeigen zu wollen, und der Herr Cardinalbischof Rauscher gleichfalls der
Mäßigung zuneigte. Auf der letzthin zu Wien gehaltenen Bischofsconserenz
aber, zu welcher der eifrige Seelenhirt von Brixen geeilt war, behielten gerade
die verbissensten Römlinge die Oberhand. Aus den von der Regierung beliebten
moclus vivenüi könne (so lautete der Beschluß), nirgend eingegangen werden;
übrigens sei ein gleichmäßiges Verfahren in allen Ländern und Diöcesen
durchaus nicht nothwendig, und dürfe der betreffende Ordinarius den Um¬
ständen gemäß nach seinem Ermessen vorgehen.

In diesen Ton stimmten auch die clerical Gesinnten unter unsern Layen ein.
Der Landesausschuß, an dessen Spitze der geistliche Coadjutor Dr. Haßlwanter
steht, lehnte es gegen das Votum des Grafen Melchiors, seines einzigen
liberalen Mitgliedes, ab. der Einladung des Statthalters Folge zu leisten
und zwei Mitglieder zur Landescvmmission in Schulangelegenheiten abzu¬
ordnen; der ultramontane Bürgermeister von Innsbruck Dr. Rapp erklärte
im Bürgerausschuß, es verstoße gegen seine Ueberzeugung, an der Aus¬
führung der Hafner'schen Schulverordnung mitzuwirken, und trat dann nicht
nur aus dem Amte, sondern auch aus der Gemeindevertretung; der Bürger¬
meister Ostheimer von Brixen, war so gewissenhaft, die ihm angesonnene
Enthebung der bisherigen geistlichen Schuldistrictsaufseher von ihren Functio-
nen zu verweigern und erntete dafür den reichlichen Beifall des zum dritten
Theil aus Geistlichen bestehenden Ausschusses ein; die Gemeindeausschüsse von
Kältern und Terlan eröffneten der Regierung ihr Bedauern darüber, "daß
dieselbe die Trennung der Schule von der Kirche vollziehe, und sich dadurch
in einen schmerzlichen Widerspruch mit der religiösen Ueberzeugung des Landes
setze;" fast gleichzeitig erließen zwölf Gemeindevorsteher im Oberinnthale einen
Collectivprotest gegen das "gesetzwidrige" Vorgehen des Ministeriums. Aehn-
liche Kundgebungen von Gemeindeausschüssen auf dem Lande sind noch im
Zuge. Vielleicht hegt man gerechte Zweifel an der Bereitwilligkeit der großen
Masse noch einmal, wie im vorigen Jahre, Statistendienste zu thun; viel
bequemer ist es, sich der am clericalen Gängelbande gehaltenen Gemeinde¬
vertretungen zu bedienen.


über die bisher geführte Schulaufsicht und verschob die Religionsprüfungen
für das laufende Schuljahr. Der Salzburger Erzbischof schien anfangs milder
gestimmt zu sein, da sich sein Bruder Wilhelm v. Tarnoczy. Decan in
Se. Johann, am 1. März zur Annahme einer Schulinspectorstelle im untern
Jnnthal selbst erbot; gleich nachher am 3. erfolgte aber eine Vorschrift an
die Diöcesangeistlichen, welche sie anwies, zu solchen Ernennungen die Zustim¬
mung des Erzbischofs einzuholen. Trotz alledem hoffte man im Ministerium
auf einen gütlichen Ausgleich, zumal der Brunner Bischof erklärt hatte, sich
auch nach der neuesten Wendung der Dinge der Schule nicht feindlich er¬
zeigen zu wollen, und der Herr Cardinalbischof Rauscher gleichfalls der
Mäßigung zuneigte. Auf der letzthin zu Wien gehaltenen Bischofsconserenz
aber, zu welcher der eifrige Seelenhirt von Brixen geeilt war, behielten gerade
die verbissensten Römlinge die Oberhand. Aus den von der Regierung beliebten
moclus vivenüi könne (so lautete der Beschluß), nirgend eingegangen werden;
übrigens sei ein gleichmäßiges Verfahren in allen Ländern und Diöcesen
durchaus nicht nothwendig, und dürfe der betreffende Ordinarius den Um¬
ständen gemäß nach seinem Ermessen vorgehen.

In diesen Ton stimmten auch die clerical Gesinnten unter unsern Layen ein.
Der Landesausschuß, an dessen Spitze der geistliche Coadjutor Dr. Haßlwanter
steht, lehnte es gegen das Votum des Grafen Melchiors, seines einzigen
liberalen Mitgliedes, ab. der Einladung des Statthalters Folge zu leisten
und zwei Mitglieder zur Landescvmmission in Schulangelegenheiten abzu¬
ordnen; der ultramontane Bürgermeister von Innsbruck Dr. Rapp erklärte
im Bürgerausschuß, es verstoße gegen seine Ueberzeugung, an der Aus¬
führung der Hafner'schen Schulverordnung mitzuwirken, und trat dann nicht
nur aus dem Amte, sondern auch aus der Gemeindevertretung; der Bürger¬
meister Ostheimer von Brixen, war so gewissenhaft, die ihm angesonnene
Enthebung der bisherigen geistlichen Schuldistrictsaufseher von ihren Functio-
nen zu verweigern und erntete dafür den reichlichen Beifall des zum dritten
Theil aus Geistlichen bestehenden Ausschusses ein; die Gemeindeausschüsse von
Kältern und Terlan eröffneten der Regierung ihr Bedauern darüber, „daß
dieselbe die Trennung der Schule von der Kirche vollziehe, und sich dadurch
in einen schmerzlichen Widerspruch mit der religiösen Ueberzeugung des Landes
setze;" fast gleichzeitig erließen zwölf Gemeindevorsteher im Oberinnthale einen
Collectivprotest gegen das „gesetzwidrige" Vorgehen des Ministeriums. Aehn-
liche Kundgebungen von Gemeindeausschüssen auf dem Lande sind noch im
Zuge. Vielleicht hegt man gerechte Zweifel an der Bereitwilligkeit der großen
Masse noch einmal, wie im vorigen Jahre, Statistendienste zu thun; viel
bequemer ist es, sich der am clericalen Gängelbande gehaltenen Gemeinde¬
vertretungen zu bedienen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/77>, abgerufen am 04.07.2024.