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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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könnte. Noch ist ein solcher Abfall bei dem gesunden Sinn des Volkes
nicht zu befürchten, und Graf Usedom mag die Zuversicht ins Privat¬
leben hinübernehmen, daß das Werk, für welches er mit Hingebung und
Erfolg gearbeitet hat, in sich selbst Widerstandskraft genug gegen Versucher
und Feinde besitzt.




Wie Schulfrage in Tirol.

Die Frage nach ver Leitung der Schulen bildet hier noch immer den
Zankapfel zwischen der Regierung und den Bischöfen des Landes. Letztere
behaupten, es sei durch die im Reichsgesetze vom 25. Mai 1868 ausge¬
sprochene Übertragung der obersten Leitung und Aufsicht über das gesammte
Unterrichts- und Erziehungswesen an den Staat die Volksschule grundsätzlich
eine confessionslose geworden; der Staat -- so sagen sie weiter, habe sich
durch die Jedermann gewährte volle Glaubens- und Gewissensfreiheit von
jeder festen religiösen Ueberzeugung losgesagt und sei darum unfähig ge¬
worden, den Unterricht, der auf der Grundlage eines bestimmten Bekennt¬
nisses ruhe, zu überwachen. Confessionell bleibt den Bischöfen die Schule nur
dann, wenn ihnen deren volle Leitung und Aufsicht eingeräumt wird; andern
Falls kann ihrer Meinung nach die Kirche nicht einmal wünschen, daß einzelne
Geistliche an den Orts-, Bezirks- oder Landesschulräthen theilnehmen. Die
Kirche sei vielmehr genöthigt, den vom Staate unterhaltenen Schulen mög¬
lichst viele konfessionelle Unterrichtsanstalten entgegenzustellen. So ungefähr
sprach sich der Bischof von Brixen auf dem letzten tiroler Landtage aus. Diesem
Kirchenfürsten und seinen von ihm beeinflußten Collegen von Trient und
Salzburg genügt es nicht, daß die Besorgung. Leitung und unmittelbare
Beaufsichtigung des Religionsunterrichtes und der Religionsübungen in ihre
Hand gegeben ist, daß die im Lande herrschende katholische Religion, gesetz¬
lich durch Geistliche im Landes- und folgerecht auch im Bezirks- und Orts¬
schulrathe vertreten ist, und daß diese Geistlichen auch zu Bezirks- und Orts¬
schulaufsehern ernannt werden können; die Landesbischöfe verlangen die Lehr¬
pläne. Bücher und Mittel für die Volks- und Mittelschulen zu bestimmen,
die Directoren und Lehrer ein- und absetzen zu können, über Beschwerden
entscheiden und ein unbedingtes Veto einlegen zu dürfen, sobald ihnen dasselbe


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könnte. Noch ist ein solcher Abfall bei dem gesunden Sinn des Volkes
nicht zu befürchten, und Graf Usedom mag die Zuversicht ins Privat¬
leben hinübernehmen, daß das Werk, für welches er mit Hingebung und
Erfolg gearbeitet hat, in sich selbst Widerstandskraft genug gegen Versucher
und Feinde besitzt.




Wie Schulfrage in Tirol.

Die Frage nach ver Leitung der Schulen bildet hier noch immer den
Zankapfel zwischen der Regierung und den Bischöfen des Landes. Letztere
behaupten, es sei durch die im Reichsgesetze vom 25. Mai 1868 ausge¬
sprochene Übertragung der obersten Leitung und Aufsicht über das gesammte
Unterrichts- und Erziehungswesen an den Staat die Volksschule grundsätzlich
eine confessionslose geworden; der Staat — so sagen sie weiter, habe sich
durch die Jedermann gewährte volle Glaubens- und Gewissensfreiheit von
jeder festen religiösen Ueberzeugung losgesagt und sei darum unfähig ge¬
worden, den Unterricht, der auf der Grundlage eines bestimmten Bekennt¬
nisses ruhe, zu überwachen. Confessionell bleibt den Bischöfen die Schule nur
dann, wenn ihnen deren volle Leitung und Aufsicht eingeräumt wird; andern
Falls kann ihrer Meinung nach die Kirche nicht einmal wünschen, daß einzelne
Geistliche an den Orts-, Bezirks- oder Landesschulräthen theilnehmen. Die
Kirche sei vielmehr genöthigt, den vom Staate unterhaltenen Schulen mög¬
lichst viele konfessionelle Unterrichtsanstalten entgegenzustellen. So ungefähr
sprach sich der Bischof von Brixen auf dem letzten tiroler Landtage aus. Diesem
Kirchenfürsten und seinen von ihm beeinflußten Collegen von Trient und
Salzburg genügt es nicht, daß die Besorgung. Leitung und unmittelbare
Beaufsichtigung des Religionsunterrichtes und der Religionsübungen in ihre
Hand gegeben ist, daß die im Lande herrschende katholische Religion, gesetz¬
lich durch Geistliche im Landes- und folgerecht auch im Bezirks- und Orts¬
schulrathe vertreten ist, und daß diese Geistlichen auch zu Bezirks- und Orts¬
schulaufsehern ernannt werden können; die Landesbischöfe verlangen die Lehr¬
pläne. Bücher und Mittel für die Volks- und Mittelschulen zu bestimmen,
die Directoren und Lehrer ein- und absetzen zu können, über Beschwerden
entscheiden und ein unbedingtes Veto einlegen zu dürfen, sobald ihnen dasselbe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/75>, abgerufen am 30.06.2024.