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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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binden, entfernt die preußische Regierung, gegen die zunächst jene Versuche
gerichtet sind, von Florenz gerade den Vertreter, dessen Stimme warnend
und rathend hier von Gewicht gewesen wäre, jedenfalls hätte gehört werden
müssen. Kein Wunder, daß Preußens Gegner frohlocken und die Freunde
zweifelnd oder mißtrauisch den Kopf schütteln und daß Gerüchte, wie die oben
erwähnten, Credit finden. Wie will man von unseren nationalen verlangen,
daß sie sich bei den "persönlichen und privaten Motiven" beruhigen? Die
Leute erinnern sich jetzt, daß La Marmora und seine Kämpen wiederholt in
Paris die Nothwendigkeit von Usedoms Abberufung betont haben, um dem
französischen Element wieder Raum zu schaffen. "Die preußische Regierung",
so raisonniren sie, "erzeugt sich dem Kaiser Napoleon gefällig und überläßt
ihm das Terrain; sie opfert mit dem Gesandten auch ihre Freunde und An¬
hänger in Italien, und gegen den französischen Druck wird kein Schutz mehr
von ihr zu erwarten sein".

Dieser Zweifel greift seit den letzten Wochen unleugbar um sich; auch
von entschiedenen Franzosenfeinden wie von Männern und Organen der ge¬
mäßigten Partei kann man jetzt öfter hören, daß Italien, zwischen Frank¬
reich und Oestreich eingekeilt und von Preußen nicht gehalten, am Ende keine
andere Wahl haben werde, als mit jenen Mächten seinen Bund zu machen.

Es ist möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß solche Stimmungen vorüber¬
gehend sind. Jene sogenannten Tripelallianzverhandlungen sind über das
Stadium des Cajolirens noch nicht herausgekommen; die wahren Interessen
Italiens stehen in zu offenem Widerstreit mit den Projecten, besonders mit
Oestreichs Tendenzen nach Osten, als daß an einem Erfolg zu glauben wäre.
Andererseits kann und wird Preußen Italien gegenüber nur eine Politik
haben: ?ein Gesandter wird die Linie verlassen dürfen, die Usedom inne¬
gehalten hat. Die preußische Regierung hat dem italienischen Cabinet wieder¬
holt ihren Schutz gegen unberechtigte Eingriffe Frankreichs zugesagt und
wird diese Zusage nicht brechen. Dennoch bleibt wahr, daß die Abberufung
des Grafen Usedom in diesem Zeitpunkte ein schwerer politischer Fehler ge¬
wesen, die Lücke des Gesandtenpostens eine Gefahr ist. Kostbare Zeit ist verloren
gegangen; der Nachfolger Usedoms, Graf Brassier, wird eine veränderte Si¬
tuation vorfinden, und das gestörte Vertrauen läßt sich so schnell nicht zurück¬
rufen. Was Preußen bisher von seinem Einfluß erwarten konnte, wird es
dann vielleicht nur der factischen Ohnmacht des Landes zu danken haben,
dessen wenig tröstliche innere Zustände allerdings jeden Antheil an kriegeri¬
schen Combinationen völlig zu verbieten scheinen. Für Preußen würde frei¬
lich die Gegnerschaft Italiens materiell keine sonderliche Gefahr bedeuten;
schwerer würde das junge Königreich sich selbst verwunden, wenn es seiner
Tradition, dem Ringen nach innerer und äußerer Einheit untreu werden


binden, entfernt die preußische Regierung, gegen die zunächst jene Versuche
gerichtet sind, von Florenz gerade den Vertreter, dessen Stimme warnend
und rathend hier von Gewicht gewesen wäre, jedenfalls hätte gehört werden
müssen. Kein Wunder, daß Preußens Gegner frohlocken und die Freunde
zweifelnd oder mißtrauisch den Kopf schütteln und daß Gerüchte, wie die oben
erwähnten, Credit finden. Wie will man von unseren nationalen verlangen,
daß sie sich bei den „persönlichen und privaten Motiven" beruhigen? Die
Leute erinnern sich jetzt, daß La Marmora und seine Kämpen wiederholt in
Paris die Nothwendigkeit von Usedoms Abberufung betont haben, um dem
französischen Element wieder Raum zu schaffen. „Die preußische Regierung",
so raisonniren sie, „erzeugt sich dem Kaiser Napoleon gefällig und überläßt
ihm das Terrain; sie opfert mit dem Gesandten auch ihre Freunde und An¬
hänger in Italien, und gegen den französischen Druck wird kein Schutz mehr
von ihr zu erwarten sein".

Dieser Zweifel greift seit den letzten Wochen unleugbar um sich; auch
von entschiedenen Franzosenfeinden wie von Männern und Organen der ge¬
mäßigten Partei kann man jetzt öfter hören, daß Italien, zwischen Frank¬
reich und Oestreich eingekeilt und von Preußen nicht gehalten, am Ende keine
andere Wahl haben werde, als mit jenen Mächten seinen Bund zu machen.

Es ist möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß solche Stimmungen vorüber¬
gehend sind. Jene sogenannten Tripelallianzverhandlungen sind über das
Stadium des Cajolirens noch nicht herausgekommen; die wahren Interessen
Italiens stehen in zu offenem Widerstreit mit den Projecten, besonders mit
Oestreichs Tendenzen nach Osten, als daß an einem Erfolg zu glauben wäre.
Andererseits kann und wird Preußen Italien gegenüber nur eine Politik
haben: ?ein Gesandter wird die Linie verlassen dürfen, die Usedom inne¬
gehalten hat. Die preußische Regierung hat dem italienischen Cabinet wieder¬
holt ihren Schutz gegen unberechtigte Eingriffe Frankreichs zugesagt und
wird diese Zusage nicht brechen. Dennoch bleibt wahr, daß die Abberufung
des Grafen Usedom in diesem Zeitpunkte ein schwerer politischer Fehler ge¬
wesen, die Lücke des Gesandtenpostens eine Gefahr ist. Kostbare Zeit ist verloren
gegangen; der Nachfolger Usedoms, Graf Brassier, wird eine veränderte Si¬
tuation vorfinden, und das gestörte Vertrauen läßt sich so schnell nicht zurück¬
rufen. Was Preußen bisher von seinem Einfluß erwarten konnte, wird es
dann vielleicht nur der factischen Ohnmacht des Landes zu danken haben,
dessen wenig tröstliche innere Zustände allerdings jeden Antheil an kriegeri¬
schen Combinationen völlig zu verbieten scheinen. Für Preußen würde frei¬
lich die Gegnerschaft Italiens materiell keine sonderliche Gefahr bedeuten;
schwerer würde das junge Königreich sich selbst verwunden, wenn es seiner
Tradition, dem Ringen nach innerer und äußerer Einheit untreu werden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/74>, abgerufen am 27.06.2024.