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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Bund zu flechten war -- wesentlich jenem loyalen Sinn verdankte, welcher
ihn fernhielt von den kleinen Intriguen und Coups, die noch immer das
Privilegium der heutigen französischen Diplomatie zu sein scheinen und die
für einen momentanen Triumph häusig genug, die Person des Gesandten und
das Interesse des durch ihn vertretenen Staats compromittiren.

Die Ursachen der Abberufung Usedoms sind, wie wir den Berliner Offi¬
ziösen glauben dürfen, lediglich in Differenzen zu suchen, die seit längerer
Zeit zwischen dem Gesandten und Graf Bismarck bestanden; und zwar Diffe¬
renzen von rein persönlichem Charakter. Denn die politischen Ansichten
der beiden Staatsmänner divergirten keineswegs, waren vielmehr durch ihre
gleichen Erfahrungen am Bundestage seit lange auf die gleichen Ziele geführt
worden. Schon 1869 begegneten sich Beide, und damals ziemlich isolirt, in
der Verurtheilung der Rolle, die Preußen im italienischen Kriege zu spielen
begann, anstatt aus demselben zur Eroberung seiner deutschen Stellung Nutzen
zu ziehen; und die Tendenzen, welche Bismarck als Leiter der preußischen
auswärtigen Politik verfolgte, konnten keinen bereiteren und entschiedeneren
Anhänger finden als Usedom.

Ueber die Entstehung und Motive jener persönlichen Spannung wird
sich kaum sobald Genaueres erfahren lassen. Sicher scheint, daß die Gereizt¬
heit in der letzten Zeit mit dem Minister einen Grad erreicht hatte, unter
dem die Geschäfte unausbleiblich leiden mußten. Graf Usedom entsagte einer
Amtsführung, die unter solchen Umständen unmöglich eine gedeihliche geblie¬
ben wäre. Wäre es wahr, was unterrichtete Stimmen behaupten, daß Graf,
Bismarck mit seinem eigenen Abgang gedroht habe, wenn Usedom in seiner
Stellung bliebe, so würde dies bestätigen, daß eben nur durch das äußerste
Mittel der Widerstand des Königs gebrochen werden konnte. Usedom hätte
dann durch seinen freiwilligen Rücktritt, indem er dem Könige einen pein¬
lichen Schritt ersparte, zugleich dem Ansehen der preußischen Krone einen
nicht unwesentlichen Dienst geleistet.

Wir enthalten uns weiterer Bemerkungen über eine Situation, deren
wenig erfreuliche und beruhigende Symptome hier nicht zum ersten Male
vorliegen. Das Schlimmste ist, daß durch diese persönliche Lösung persön¬
licher Mißverhältnisse ein wichtiges Staatsinteresse, wie es der preußische Ein¬
fluß in Italien ist, empfindlich gefährdet wird. In der That, ein ungünsti-
gerer Moment für den Gesandtenwechsel ließ sich nicht denken. Während die
Allianzprojecte Oestreichs und Frankreichs näher rücken und dem Publicum
Stoff zur Unruhe geben, während Diplomaten und Generale reisen, der
König Victor Emanuel mit dem Kaiser Franz Joseph Btlletdoux wechselt,
hinter denen sich weniger harmlose Dinge verbergen, und das Angstmini¬
sterium Menabrea's Miene macht, sich selbst die Hände für die Zukunft zu


Grenzboten II, 18K9. 9

Bund zu flechten war — wesentlich jenem loyalen Sinn verdankte, welcher
ihn fernhielt von den kleinen Intriguen und Coups, die noch immer das
Privilegium der heutigen französischen Diplomatie zu sein scheinen und die
für einen momentanen Triumph häusig genug, die Person des Gesandten und
das Interesse des durch ihn vertretenen Staats compromittiren.

Die Ursachen der Abberufung Usedoms sind, wie wir den Berliner Offi¬
ziösen glauben dürfen, lediglich in Differenzen zu suchen, die seit längerer
Zeit zwischen dem Gesandten und Graf Bismarck bestanden; und zwar Diffe¬
renzen von rein persönlichem Charakter. Denn die politischen Ansichten
der beiden Staatsmänner divergirten keineswegs, waren vielmehr durch ihre
gleichen Erfahrungen am Bundestage seit lange auf die gleichen Ziele geführt
worden. Schon 1869 begegneten sich Beide, und damals ziemlich isolirt, in
der Verurtheilung der Rolle, die Preußen im italienischen Kriege zu spielen
begann, anstatt aus demselben zur Eroberung seiner deutschen Stellung Nutzen
zu ziehen; und die Tendenzen, welche Bismarck als Leiter der preußischen
auswärtigen Politik verfolgte, konnten keinen bereiteren und entschiedeneren
Anhänger finden als Usedom.

Ueber die Entstehung und Motive jener persönlichen Spannung wird
sich kaum sobald Genaueres erfahren lassen. Sicher scheint, daß die Gereizt¬
heit in der letzten Zeit mit dem Minister einen Grad erreicht hatte, unter
dem die Geschäfte unausbleiblich leiden mußten. Graf Usedom entsagte einer
Amtsführung, die unter solchen Umständen unmöglich eine gedeihliche geblie¬
ben wäre. Wäre es wahr, was unterrichtete Stimmen behaupten, daß Graf,
Bismarck mit seinem eigenen Abgang gedroht habe, wenn Usedom in seiner
Stellung bliebe, so würde dies bestätigen, daß eben nur durch das äußerste
Mittel der Widerstand des Königs gebrochen werden konnte. Usedom hätte
dann durch seinen freiwilligen Rücktritt, indem er dem Könige einen pein¬
lichen Schritt ersparte, zugleich dem Ansehen der preußischen Krone einen
nicht unwesentlichen Dienst geleistet.

Wir enthalten uns weiterer Bemerkungen über eine Situation, deren
wenig erfreuliche und beruhigende Symptome hier nicht zum ersten Male
vorliegen. Das Schlimmste ist, daß durch diese persönliche Lösung persön¬
licher Mißverhältnisse ein wichtiges Staatsinteresse, wie es der preußische Ein¬
fluß in Italien ist, empfindlich gefährdet wird. In der That, ein ungünsti-
gerer Moment für den Gesandtenwechsel ließ sich nicht denken. Während die
Allianzprojecte Oestreichs und Frankreichs näher rücken und dem Publicum
Stoff zur Unruhe geben, während Diplomaten und Generale reisen, der
König Victor Emanuel mit dem Kaiser Franz Joseph Btlletdoux wechselt,
hinter denen sich weniger harmlose Dinge verbergen, und das Angstmini¬
sterium Menabrea's Miene macht, sich selbst die Hände für die Zukunft zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/73>, abgerufen am 21.06.2024.