Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.drum darauf, den Verfall der wahren Liebe zu beklagen, in einer Sirventes "Hunger, Sterblichkeit und Krieg bringen nicht so viel Unheil in die Wenn wir nun zum Schlüsse einen Blick auf den zurückgelegten Weg Aber dieser Vorwurf trifft vor Allem das Zeitalter, weniger die Dichter, Um nach so mannichfach dissonirenden Weisen mit einem vollktingenden drum darauf, den Verfall der wahren Liebe zu beklagen, in einer Sirventes „Hunger, Sterblichkeit und Krieg bringen nicht so viel Unheil in die Wenn wir nun zum Schlüsse einen Blick auf den zurückgelegten Weg Aber dieser Vorwurf trifft vor Allem das Zeitalter, weniger die Dichter, Um nach so mannichfach dissonirenden Weisen mit einem vollktingenden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0062" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120749"/> <p xml:id="ID_147" prev="#ID_146"> drum darauf, den Verfall der wahren Liebe zu beklagen, in einer Sirventes<lb/> aber setzt er alle Rücksicht bei Seite und gibt der Liebe selbst Schuld an<lb/> allem Unheil.</p><lb/> <p xml:id="ID_148"> „Hunger, Sterblichkeit und Krieg bringen nicht so viel Unheil in die<lb/> Welt wie die Liebe, die mit List die Herzen umschlingt. Wenn sie Jemanden<lb/> bis aus die Bahre gebracht hat, so wird ihr Auge nicht naß." „Früher war<lb/> die Liebe gerade, aber jetzt ist sie schief und lahm, und ist so rauh geworden,<lb/> daß sie unsanfter leckt, wie eine Katze." — „Wer sich mit der Liebe in einen<lb/> Handel einläßt, der verschreibt sich dem Teufel. Ihr Stich ist zwar milder<lb/> wie der einer Mücke, aber dafür um so schwerer zu heilen. Sie ist wie ein<lb/> Funken unter der Asche, und wer von ihrem Feuer verletzt wird, der weiß<lb/> nicht mehr, wohin er fliehen soll". — Ein solch prinzipielles Auftreten gegen<lb/> die Liebe mag unter den Trobadors einzig dastehen und mußte deshalb<lb/> bittere Entrüstung und lebhaften Widerspruch hervorrufen. Zwar waren<lb/> unglückliche Ehen, geprellte Gatten und ähnliche Dinge ein mir Vorliebe be-<lb/> handelter Gegenstand, auch hatte Folquet von Marseille, als er von der<lb/> treu geliebten Aoalasia sich trennte, die Liebe ein Licht genannt, welches<lb/> den armen Schmetterling anfasse, um ihn zu versengen, aber das konnte man<lb/> der Verzweiflung des Leidenschaftlichen verzeihen. Bei Marcabrun dagegen<lb/> mußte der kaltblütige Hohn doppelt verletzen. Unter den Trobadors, welche<lb/> für den Werth der hohen Minne in die Schranken ireten. nennen wir Peire<lb/> von Auvergne, den Dichter der erwähnten Sirventes gegen seine Dichter-<lb/> genossen. „Wer die Freuden der Welt zerstört — singt er — setzt seinen<lb/> eigenen, Werth herab. Marcabrun ist der Sohn eines niedrigen Geschöpfs<lb/> und hat sich selbst niedrig erwiesen. Wer seine Natur nicht kennte und nicht<lb/> wüßte, wer ihn geboren, müßte ihn für toll halten". Ein anderer Trobador<lb/> vertheidigt die Minne mit dem schlagenden Grunde, daß ohne ihre holde<lb/> Macht die Welt aussterben müßte. —-</p><lb/> <p xml:id="ID_149"> Wenn wir nun zum Schlüsse einen Blick auf den zurückgelegten Weg<lb/> werfen, so mag der Gesammteindruck nicht durchweg erfreulich erscheinen.<lb/> Der rein poetische Gehalt ist in den meisten Liedern, wie das allerdings<lb/> durch die Natur der Aufgabe fast bedingt wurde, nicht sehr ergiebig; sachliche<lb/> Gründe werden bei der gereizten Stimmung der Dichter kaum vorgebracht.<lb/> Alles läuft auf persönliche Beleidigungen des Gegners hinaus und in dieser<lb/> Beziehung tragen besonders die literarischen Kämpfe deutlich den Stempel<lb/> des poetischen Faustrechts.</p><lb/> <p xml:id="ID_150"> Aber dieser Vorwurf trifft vor Allem das Zeitalter, weniger die Dichter,<lb/> welche gerade durch die Schärfe ihres Witzes zur Anbahnung glücklicherer<lb/> Zustände den Weg frei zu machen suchten.</p><lb/> <p xml:id="ID_151" next="#ID_152"> Um nach so mannichfach dissonirenden Weisen mit einem vollktingenden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0062]
drum darauf, den Verfall der wahren Liebe zu beklagen, in einer Sirventes
aber setzt er alle Rücksicht bei Seite und gibt der Liebe selbst Schuld an
allem Unheil.
„Hunger, Sterblichkeit und Krieg bringen nicht so viel Unheil in die
Welt wie die Liebe, die mit List die Herzen umschlingt. Wenn sie Jemanden
bis aus die Bahre gebracht hat, so wird ihr Auge nicht naß." „Früher war
die Liebe gerade, aber jetzt ist sie schief und lahm, und ist so rauh geworden,
daß sie unsanfter leckt, wie eine Katze." — „Wer sich mit der Liebe in einen
Handel einläßt, der verschreibt sich dem Teufel. Ihr Stich ist zwar milder
wie der einer Mücke, aber dafür um so schwerer zu heilen. Sie ist wie ein
Funken unter der Asche, und wer von ihrem Feuer verletzt wird, der weiß
nicht mehr, wohin er fliehen soll". — Ein solch prinzipielles Auftreten gegen
die Liebe mag unter den Trobadors einzig dastehen und mußte deshalb
bittere Entrüstung und lebhaften Widerspruch hervorrufen. Zwar waren
unglückliche Ehen, geprellte Gatten und ähnliche Dinge ein mir Vorliebe be-
handelter Gegenstand, auch hatte Folquet von Marseille, als er von der
treu geliebten Aoalasia sich trennte, die Liebe ein Licht genannt, welches
den armen Schmetterling anfasse, um ihn zu versengen, aber das konnte man
der Verzweiflung des Leidenschaftlichen verzeihen. Bei Marcabrun dagegen
mußte der kaltblütige Hohn doppelt verletzen. Unter den Trobadors, welche
für den Werth der hohen Minne in die Schranken ireten. nennen wir Peire
von Auvergne, den Dichter der erwähnten Sirventes gegen seine Dichter-
genossen. „Wer die Freuden der Welt zerstört — singt er — setzt seinen
eigenen, Werth herab. Marcabrun ist der Sohn eines niedrigen Geschöpfs
und hat sich selbst niedrig erwiesen. Wer seine Natur nicht kennte und nicht
wüßte, wer ihn geboren, müßte ihn für toll halten". Ein anderer Trobador
vertheidigt die Minne mit dem schlagenden Grunde, daß ohne ihre holde
Macht die Welt aussterben müßte. —-
Wenn wir nun zum Schlüsse einen Blick auf den zurückgelegten Weg
werfen, so mag der Gesammteindruck nicht durchweg erfreulich erscheinen.
Der rein poetische Gehalt ist in den meisten Liedern, wie das allerdings
durch die Natur der Aufgabe fast bedingt wurde, nicht sehr ergiebig; sachliche
Gründe werden bei der gereizten Stimmung der Dichter kaum vorgebracht.
Alles läuft auf persönliche Beleidigungen des Gegners hinaus und in dieser
Beziehung tragen besonders die literarischen Kämpfe deutlich den Stempel
des poetischen Faustrechts.
Aber dieser Vorwurf trifft vor Allem das Zeitalter, weniger die Dichter,
welche gerade durch die Schärfe ihres Witzes zur Anbahnung glücklicherer
Zustände den Weg frei zu machen suchten.
Um nach so mannichfach dissonirenden Weisen mit einem vollktingenden
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