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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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"O Schöne -- sprach ich -- Such versehrt
"Das Weinen Farb und Angesicht,
"Auch sei das Klagen Euch verwehrt.
"Er, der dem Bäumen Grün bescheert
"Kann schenken Euch genug der Lust."
"Herr -- sagte sie -- wohl glaub ich Euch
"Daß Gott so vielen Sündern gleich
"Auch mir im schönen Himmelreich
"Der Gnade Heil versaget nicht.
"Nur raubt' er, was im Erdbereich
"Mich freute.. Alles gilt mir gleich,
"Da er sich schied von meiner Brust."

Wie man sieht, hat der Dichter seine eigene Stellung zu der behandelten
Frage geschickt verdeckt. Fromme Gemüther mochten sich immerhin an seine
salbungsvollen Trostesworte halten und dem Schmerze eines liebenden Mäd¬
chens mußte auch der ärgste Eiferer seine Klagen verzeihen. Eine Analogie
zu diesem Gedichte möchte man in einem Liede des wackern nordfranzösischen
Trouveres Ruteboeuf erblicken. Auch er schildert einen Disput zwischen einem
Gegner und einem begeisterten Anhänger der Kreuzfahrten. Der böse Zweifler
erklärt sich zwar am Schlüsse für bekehrt, aber der Dichter läßt gerade ihn
mit schlagenden Gründen, den Frommen dagegen mit ziemlich leeren Redens¬
arten ins Gefecht gehen. Bei Marcabrun gingen übrigens die Bedenken
gegen die Fahrten ins gelobte Land keineswegs aus unkriegerischer oder un¬
christlicher Gesinnung hervor. Als die maurische Dynastie der Almoraviden
in Spanien die christliche Cultur des südlichen Europa mit Gefahr bedrohte,
da forderte Marcabrun selbst in feurigem Gesänge zum Kampfe gegen die Un¬
gläubigen auf. -- Wenn, wie wir gesehen. auch der kühnste Satiriker im
Kampfe gegen religiösen Uebereifer nur sehr bedächtig vorgehen durfte, so
war dagegen die Verehrung der Frauen im Mittelalter zwar ein ebenso zarter
aber doch nicht so gefährlich zu berührender Punkt. Gegen diese richtet denn
auch Marcabrun die ganze Schärfe seiner Strophen. Um so zügelloser konnte
er in seinem Zorne vorgehen, da ihm selbst, wie er sich dessen ausdrücklich
rühmt, die holde Göttin der Minne nie das Herz gerührt hatte. "Marca-
*drum", sagt er -- der Sohn der Bruna. war unter solchem Gestirne ge¬
boren, daß er wußte wie die Liebe zerstört. Er selbst liebte nie und wurde
nie geliebt." Einige Gedichte, welche sich auf ein sinnliches Verhältniß zu
einer Frau von sehr zweifelhafter Tugend beziehen, widerlegen diesen Aus.
Spruch in keiner Weise. Liebe war den Trobadors nur jenes schwärmerische
Gefühl zu einer edlen Frau, wie sie es in süßen Canzonen und ritterlichen
Thaten zu beweisen trachteten. In mehreren Liedern beschränkt sich Marca-


„O Schöne — sprach ich — Such versehrt
„Das Weinen Farb und Angesicht,
„Auch sei das Klagen Euch verwehrt.
„Er, der dem Bäumen Grün bescheert
„Kann schenken Euch genug der Lust."
„Herr — sagte sie — wohl glaub ich Euch
„Daß Gott so vielen Sündern gleich
„Auch mir im schönen Himmelreich
„Der Gnade Heil versaget nicht.
„Nur raubt' er, was im Erdbereich
„Mich freute.. Alles gilt mir gleich,
„Da er sich schied von meiner Brust."

Wie man sieht, hat der Dichter seine eigene Stellung zu der behandelten
Frage geschickt verdeckt. Fromme Gemüther mochten sich immerhin an seine
salbungsvollen Trostesworte halten und dem Schmerze eines liebenden Mäd¬
chens mußte auch der ärgste Eiferer seine Klagen verzeihen. Eine Analogie
zu diesem Gedichte möchte man in einem Liede des wackern nordfranzösischen
Trouveres Ruteboeuf erblicken. Auch er schildert einen Disput zwischen einem
Gegner und einem begeisterten Anhänger der Kreuzfahrten. Der böse Zweifler
erklärt sich zwar am Schlüsse für bekehrt, aber der Dichter läßt gerade ihn
mit schlagenden Gründen, den Frommen dagegen mit ziemlich leeren Redens¬
arten ins Gefecht gehen. Bei Marcabrun gingen übrigens die Bedenken
gegen die Fahrten ins gelobte Land keineswegs aus unkriegerischer oder un¬
christlicher Gesinnung hervor. Als die maurische Dynastie der Almoraviden
in Spanien die christliche Cultur des südlichen Europa mit Gefahr bedrohte,
da forderte Marcabrun selbst in feurigem Gesänge zum Kampfe gegen die Un¬
gläubigen auf. — Wenn, wie wir gesehen. auch der kühnste Satiriker im
Kampfe gegen religiösen Uebereifer nur sehr bedächtig vorgehen durfte, so
war dagegen die Verehrung der Frauen im Mittelalter zwar ein ebenso zarter
aber doch nicht so gefährlich zu berührender Punkt. Gegen diese richtet denn
auch Marcabrun die ganze Schärfe seiner Strophen. Um so zügelloser konnte
er in seinem Zorne vorgehen, da ihm selbst, wie er sich dessen ausdrücklich
rühmt, die holde Göttin der Minne nie das Herz gerührt hatte. „Marca-
*drum", sagt er — der Sohn der Bruna. war unter solchem Gestirne ge¬
boren, daß er wußte wie die Liebe zerstört. Er selbst liebte nie und wurde
nie geliebt." Einige Gedichte, welche sich auf ein sinnliches Verhältniß zu
einer Frau von sehr zweifelhafter Tugend beziehen, widerlegen diesen Aus.
Spruch in keiner Weise. Liebe war den Trobadors nur jenes schwärmerische
Gefühl zu einer edlen Frau, wie sie es in süßen Canzonen und ritterlichen
Thaten zu beweisen trachteten. In mehreren Liedern beschränkt sich Marca-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/61>, abgerufen am 24.07.2024.