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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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ohne daß es zum Schießen kam. Den ganzen Abend hindurch machte die
Polizei nun wahre Razzias auf den Straßen.

Als am Freitag der Kaiser und die Kaiserin durch die Straßen von
Paris fuhren, wurden sie wirklich acclamirt; es war diesmal keine Phrase des
Journal okkeiel. Der Bourgeois hatte Angst gehabt, Alles war gewonnen.
Am Abend standen zwei Kürassierregimenter aus Versailles, die Jäger- und
Husarenregimenter, die Municipalgarde auf dem Platze! Vor solcher Macht¬
entfaltung bebte Jeder zurück; zwar war die Masse der müßigen Zuschauer
und Zuschauerinnen ebenso groß wie zuvor, aber sie war ruhig und ließ sich
Schritt vor Schritt von der Cavallerie zurückdrängen; ein schwacher Wider¬
stand wurde nur gegen die verhaßten Sergants versucht, die mit Brettern
und Stöcken bewaffnet überall wütheten, wo sie sich die Stärkeren fühlten.

Die Zahl der arretirten Personen beträgt nicht weniger als 2000; frei¬
lich wurden viele bald wieder entlassen, aber noch mehr werden in den die
Stadt umgebenden Forts festgehalten.

Was war nun der Zweck dieser Unruhen? Von wem gingen sie aus?
Daß die meisten der Emeutiers bezahlt waren, steht fest. Dies genügt, um
die fabelhaftesten Vermuthungen möglich erscheinen zu lassen. '"Pays" und
"Patrie" freuen sich der willkommenen Bestätigung ihrer Hirngespinnste von
der großen belgisch-republikanischen Invasion, die mit solchem ,,6etat 6ö rirs"
aufgenommen worden war. Die bekannten "gut unterrichteten" Leute
wollen wissen, der Scherz sei von den Orleans ausgegangen und habe sie
20 Millionen gekostet!! "Rappel" und "Reveil" machten sich zum Echo
des allgemein verbreiteten Gerüchts, das die Regierung selbst als Anstifterin
der ganzen Geschichte bezeichnet: es sollte damit ein Vorwand geschaffen wer¬
den, um nachher strammer auftreten zu können. Dafür wurden die genannten
Blätter mit Beschlag belegt, fast die gesammten Redactionen arretirt. Merkwürdig
bleiben mehrere Thatsachen. Was hatte jenes Gesindel vor, als es namentlich
Privatbesitz angriff? Warum ließ man die Tumultuanten so lange gewähren,
da doch die Caserne du Prince Eugene die ganze Gegend strategisch beherrscht,
und die Polizeiagenten auf den Boulevards sonst die waffenlosen Neugierigen
Mit Faust- und Stockschlägen, Fußtritten'und Stößen aller Art freigebig
tractirten? Warum ließ man es am Donnerstag zum Aeußersten kommen,
statt von Anfang an durch imponirende Macht jede Möglichkeit einer ernsten
Collision zu vermeiden? Ein Paar Dutzend Polizisten reizen zum Wider¬
stände, denn die Hoffnung sie durchzuwalken ist für den Pariser zu verlockend,
als daß er sich nicht auch selbst einiger Gefahr aussetzte, um sich dies Ver¬
gnügen zu leisten! Ein Regiment Cavallerie dagegen schreckt auch die.toll¬
sten zurück. Und warum hat man namentlich nicht sofort die Nationalgarde
aufgeboten, wie alle liberalen Zeitungen es verlangten? Vielleicht eben des-


Grenzboten II. 1869. 64

ohne daß es zum Schießen kam. Den ganzen Abend hindurch machte die
Polizei nun wahre Razzias auf den Straßen.

Als am Freitag der Kaiser und die Kaiserin durch die Straßen von
Paris fuhren, wurden sie wirklich acclamirt; es war diesmal keine Phrase des
Journal okkeiel. Der Bourgeois hatte Angst gehabt, Alles war gewonnen.
Am Abend standen zwei Kürassierregimenter aus Versailles, die Jäger- und
Husarenregimenter, die Municipalgarde auf dem Platze! Vor solcher Macht¬
entfaltung bebte Jeder zurück; zwar war die Masse der müßigen Zuschauer
und Zuschauerinnen ebenso groß wie zuvor, aber sie war ruhig und ließ sich
Schritt vor Schritt von der Cavallerie zurückdrängen; ein schwacher Wider¬
stand wurde nur gegen die verhaßten Sergants versucht, die mit Brettern
und Stöcken bewaffnet überall wütheten, wo sie sich die Stärkeren fühlten.

Die Zahl der arretirten Personen beträgt nicht weniger als 2000; frei¬
lich wurden viele bald wieder entlassen, aber noch mehr werden in den die
Stadt umgebenden Forts festgehalten.

Was war nun der Zweck dieser Unruhen? Von wem gingen sie aus?
Daß die meisten der Emeutiers bezahlt waren, steht fest. Dies genügt, um
die fabelhaftesten Vermuthungen möglich erscheinen zu lassen. '„Pays" und
„Patrie" freuen sich der willkommenen Bestätigung ihrer Hirngespinnste von
der großen belgisch-republikanischen Invasion, die mit solchem ,,6etat 6ö rirs"
aufgenommen worden war. Die bekannten „gut unterrichteten" Leute
wollen wissen, der Scherz sei von den Orleans ausgegangen und habe sie
20 Millionen gekostet!! „Rappel" und „Reveil" machten sich zum Echo
des allgemein verbreiteten Gerüchts, das die Regierung selbst als Anstifterin
der ganzen Geschichte bezeichnet: es sollte damit ein Vorwand geschaffen wer¬
den, um nachher strammer auftreten zu können. Dafür wurden die genannten
Blätter mit Beschlag belegt, fast die gesammten Redactionen arretirt. Merkwürdig
bleiben mehrere Thatsachen. Was hatte jenes Gesindel vor, als es namentlich
Privatbesitz angriff? Warum ließ man die Tumultuanten so lange gewähren,
da doch die Caserne du Prince Eugene die ganze Gegend strategisch beherrscht,
und die Polizeiagenten auf den Boulevards sonst die waffenlosen Neugierigen
Mit Faust- und Stockschlägen, Fußtritten'und Stößen aller Art freigebig
tractirten? Warum ließ man es am Donnerstag zum Aeußersten kommen,
statt von Anfang an durch imponirende Macht jede Möglichkeit einer ernsten
Collision zu vermeiden? Ein Paar Dutzend Polizisten reizen zum Wider¬
stände, denn die Hoffnung sie durchzuwalken ist für den Pariser zu verlockend,
als daß er sich nicht auch selbst einiger Gefahr aussetzte, um sich dies Ver¬
gnügen zu leisten! Ein Regiment Cavallerie dagegen schreckt auch die.toll¬
sten zurück. Und warum hat man namentlich nicht sofort die Nationalgarde
aufgeboten, wie alle liberalen Zeitungen es verlangten? Vielleicht eben des-


Grenzboten II. 1869. 64
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/513>, abgerufen am 24.07.2024.