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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Barricaden errichtet seien. Wer die Nachricht verbreitete, war natürlich der
Maire und sein rechter Arm, der Flurschütz!

Ganz anderer Art waren die Ereignisse nach den engeren Wahlen; hier
war beabsichtigter und planmäßiger Aufruhr. Am Montag begann schon die
Währung, die Menschenmasse auf dem Boulevard Montmartre -- historischen
Angedenkens -- war kolossal; ein Zusammenstoß mit der Polizei war unver¬
meidlich. Am Dienstag wuchs die Bewegung. Am Mittwoch durchzogen schon
am hellen Tage Banden von zerlumpten Kerls mit verdächtigen Gesichtern,
wie sie nur an solchen Tagen aus den Steinbrüchen und Kalköfen der
Umgegend herauskommen, die Arbeiterviertel von Charonne und Belleville,
zerschlugen die Gaslaternen, und. was das Merkwürdigste bleibt, vergriffen sich
sofort an Privatbesitz. Ein Theil dieser Schaaren war Abends auf den Bou¬
levards und riß die ungeheure Zahl der anwesenden Neugierigen mit sich;
die berittene Municipalgarde räumte, die Straße. Alles wurde weggefegt,
nicht ohne daß es einige Verwundungen beiderseits abgab, alle Zugänge
wurden abgesperrt. Es gelang mir indeß, durch das Militair hindurch
wieder auf den Boulevard zu gelangen, -- es war ein unheimlicher Anblick;
wo sonst so reges Leben herrscht, Todtenstille; alle Häuser geschlossen, die
Lichter erloschen, nicht ein Mensch weit und breit zu sehen, nur die Ausgänge
der Nebenstraßen durch die Garde besetzt, deren Helme und Gewehre in der
Dunkelheit allein schimmerten. Nur von Zeit zu Zeit hörte man dumpfes,
verworrenes Geschrei oder laute Commandorufe. Ich war froh, als ich mich
wieder im Menschengedränge befand!

Der schlimmste Tag war der Donnerstag: man hatte Nachricht von den
Unruhen in Bordeaux, Nantes und Se. Etienne erhalten, die Bewegung ver¬
breitete sich immer weiter. Schon am Morgen waren in den aufgeregten
Stadttheilen die Läden geschlossen; immer wieder dieselben Banden versetzten
durch ihre Zerstörungen die ganze nordöstliche Seite der Hauptstadt
in Schrecken; durch einige Bayonnetangriffe der Infanterie zerstreut,
fanden sie sich doch wieder zusammen; eine Weinhandlung und ein öffentliches
Haus werden geplündert, an einer Markthalle die Eisenstäbe zerschlagen, und
nun zog es nach dem Boulevard. Die Zahl der Neugierigen war wie immer
ungeheuer, von Polizei nichts zu sehen; die Aufrührer zerstören die Kiosques.
zerschlagen die Gaslaternen, Scheiben, Bänke auf den Trottoirs, von Polizei
nichts zu sehen. Eine Schaar von 20--30 Gamins zieht brüllend an einer
ganzen Compagnie von Polizisten in einer Nebenstraße vorbei, bewaffnet sich
mit Brettern und Stangen aus einem der vielen demolirten Häuser und
fängt an, auf dem Boulevard einen ganz kleinen, unbedeutenden Anfang zu
einer Barricade zu versuchen. Da erst griff das Militair von allen Seiten
ein, die Mehrzahl der Zerstörer und Schreier wurde gefangen und abgeführt.


Barricaden errichtet seien. Wer die Nachricht verbreitete, war natürlich der
Maire und sein rechter Arm, der Flurschütz!

Ganz anderer Art waren die Ereignisse nach den engeren Wahlen; hier
war beabsichtigter und planmäßiger Aufruhr. Am Montag begann schon die
Währung, die Menschenmasse auf dem Boulevard Montmartre — historischen
Angedenkens — war kolossal; ein Zusammenstoß mit der Polizei war unver¬
meidlich. Am Dienstag wuchs die Bewegung. Am Mittwoch durchzogen schon
am hellen Tage Banden von zerlumpten Kerls mit verdächtigen Gesichtern,
wie sie nur an solchen Tagen aus den Steinbrüchen und Kalköfen der
Umgegend herauskommen, die Arbeiterviertel von Charonne und Belleville,
zerschlugen die Gaslaternen, und. was das Merkwürdigste bleibt, vergriffen sich
sofort an Privatbesitz. Ein Theil dieser Schaaren war Abends auf den Bou¬
levards und riß die ungeheure Zahl der anwesenden Neugierigen mit sich;
die berittene Municipalgarde räumte, die Straße. Alles wurde weggefegt,
nicht ohne daß es einige Verwundungen beiderseits abgab, alle Zugänge
wurden abgesperrt. Es gelang mir indeß, durch das Militair hindurch
wieder auf den Boulevard zu gelangen, — es war ein unheimlicher Anblick;
wo sonst so reges Leben herrscht, Todtenstille; alle Häuser geschlossen, die
Lichter erloschen, nicht ein Mensch weit und breit zu sehen, nur die Ausgänge
der Nebenstraßen durch die Garde besetzt, deren Helme und Gewehre in der
Dunkelheit allein schimmerten. Nur von Zeit zu Zeit hörte man dumpfes,
verworrenes Geschrei oder laute Commandorufe. Ich war froh, als ich mich
wieder im Menschengedränge befand!

Der schlimmste Tag war der Donnerstag: man hatte Nachricht von den
Unruhen in Bordeaux, Nantes und Se. Etienne erhalten, die Bewegung ver¬
breitete sich immer weiter. Schon am Morgen waren in den aufgeregten
Stadttheilen die Läden geschlossen; immer wieder dieselben Banden versetzten
durch ihre Zerstörungen die ganze nordöstliche Seite der Hauptstadt
in Schrecken; durch einige Bayonnetangriffe der Infanterie zerstreut,
fanden sie sich doch wieder zusammen; eine Weinhandlung und ein öffentliches
Haus werden geplündert, an einer Markthalle die Eisenstäbe zerschlagen, und
nun zog es nach dem Boulevard. Die Zahl der Neugierigen war wie immer
ungeheuer, von Polizei nichts zu sehen; die Aufrührer zerstören die Kiosques.
zerschlagen die Gaslaternen, Scheiben, Bänke auf den Trottoirs, von Polizei
nichts zu sehen. Eine Schaar von 20—30 Gamins zieht brüllend an einer
ganzen Compagnie von Polizisten in einer Nebenstraße vorbei, bewaffnet sich
mit Brettern und Stangen aus einem der vielen demolirten Häuser und
fängt an, auf dem Boulevard einen ganz kleinen, unbedeutenden Anfang zu
einer Barricade zu versuchen. Da erst griff das Militair von allen Seiten
ein, die Mehrzahl der Zerstörer und Schreier wurde gefangen und abgeführt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/512>, abgerufen am 24.07.2024.