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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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dern für eine Zeitlang an die Spitze der altrussischen Adelspartei stellte und
dieser die leitenden Gedanken für ihr Thun und Lassen eingab. -- Hören
wir zunächst was der Pommer Conrad Madebusch, weiland Bürgermeister von
Dorpat und Verfasser einer deutschen Neichsgeschichte, in seiner ungedruckten,
bändereichen livländischen Adelsgeschichte von dieses merkwürdigen Mannes
Politischen Anfängen erzählt: "Herr Heinrich Fick war, wie man mir gesagt
hat, Rathsherr zu Flensburg, ehe er bei der holsteinischen Armee Dienste
that. Es ist eine Verleumdung, wenn man sagt, daß er ein schwedischer
Musterschreiber gewesen, ob ihm gleich solches in einer Schrift bei dem liv-
ländischen Hofgerichte vorgeworfen worden. Er war aber in holsteinischen
Diensten zuerst Commissär. hernach Regimentsquartiermeister, ehe er in des
russischen Monarchen Peters I. Dienste trat. Dieser Fürst brauchte ihn in
sehr geheimen Verrichtungen und schickte ihn nach Schweden. Unter anderen
Aufträgen mußte er von den schwedischen Einrichtungen in Commerz-, Polizei-
und Finanzsachen sich einen Begriff machen und alle dahin einschlagende
Verordnungen sich anschaffen, damit er in Rußland eben diese Einrichtungen
machen möchte, welches er auch that und dafür mit ansehnlichen Gütern in
Livland belohnt ward. Der Kaiser änderte zwar hernach diese Einrichtung
in einigen Stücken, weil er wohl sah, daß sie sich auf Rußland nicht passen
wollte, allein Fick ward Kammerrath und blieb im guten Wohlstande bis
zur Zeit der Regierung der Kaiserin Anna. Im Jahre 1721 und 1722 be-
fand er sich zu Moskow und war bei dem Herzoge Karl Friedrich von Hol¬
stein, der sich daselbst aufhielt, sehr beliebt. Er wohnte nicht weit von dem
fürstlichen Quartiere und war so oft bet Hofe, daß Berkholz ihn unsern
oder des Herzogs ordinairen Gast nennt. Am 13. Januar 1722, so meldet
derselbe Berkholz*), ging der Herzog gegen Abend zum Geheimenrathe Basse-
witz, wo er starcken, Fick und Negelein in aller Andacht bet einem guten
Glase Champagnerwein antraf, wobei sie sich allerhand lustige Histörchen
erzählten. Der Herzog setzte sich an einen besonderen Tisch, verlangte Tinte,
Feder und Papier und sagte, es wäre Schade, daß alle diese artigen und
saftigen Histörchen vergessen werden sollten; er wolle dieselben zum Protocoll
nehmen und bei anderen wichtigen Sachen im Archive wohl verwahren.
Da nun der Herzog anfing, ein ordentliches Protocoll zu halten, jene aber
herzlich vergnügt bei ihrem Wein saßen und einander die lächerlichsten Histör¬
chen erzählten: so ist nicht zu beschreiben, was darin verzeichnet ward. Der
Herzog blieb bis gegen eilf Uhr in dieser Gesellschaft, und als er sich nach
Hause begab, nahm er das schöne Protocoll mit sich, um es am folgenden
Tage ins Reine zu bringen und ein wenig damit die Zeit zu verbringen.



') Verfasser eines bekannten für die russische Geschichte wichtigen "Tagebuchs" aus den
zwanziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts.
Grenzboten II. 1869. 65

dern für eine Zeitlang an die Spitze der altrussischen Adelspartei stellte und
dieser die leitenden Gedanken für ihr Thun und Lassen eingab. — Hören
wir zunächst was der Pommer Conrad Madebusch, weiland Bürgermeister von
Dorpat und Verfasser einer deutschen Neichsgeschichte, in seiner ungedruckten,
bändereichen livländischen Adelsgeschichte von dieses merkwürdigen Mannes
Politischen Anfängen erzählt: „Herr Heinrich Fick war, wie man mir gesagt
hat, Rathsherr zu Flensburg, ehe er bei der holsteinischen Armee Dienste
that. Es ist eine Verleumdung, wenn man sagt, daß er ein schwedischer
Musterschreiber gewesen, ob ihm gleich solches in einer Schrift bei dem liv-
ländischen Hofgerichte vorgeworfen worden. Er war aber in holsteinischen
Diensten zuerst Commissär. hernach Regimentsquartiermeister, ehe er in des
russischen Monarchen Peters I. Dienste trat. Dieser Fürst brauchte ihn in
sehr geheimen Verrichtungen und schickte ihn nach Schweden. Unter anderen
Aufträgen mußte er von den schwedischen Einrichtungen in Commerz-, Polizei-
und Finanzsachen sich einen Begriff machen und alle dahin einschlagende
Verordnungen sich anschaffen, damit er in Rußland eben diese Einrichtungen
machen möchte, welches er auch that und dafür mit ansehnlichen Gütern in
Livland belohnt ward. Der Kaiser änderte zwar hernach diese Einrichtung
in einigen Stücken, weil er wohl sah, daß sie sich auf Rußland nicht passen
wollte, allein Fick ward Kammerrath und blieb im guten Wohlstande bis
zur Zeit der Regierung der Kaiserin Anna. Im Jahre 1721 und 1722 be-
fand er sich zu Moskow und war bei dem Herzoge Karl Friedrich von Hol¬
stein, der sich daselbst aufhielt, sehr beliebt. Er wohnte nicht weit von dem
fürstlichen Quartiere und war so oft bet Hofe, daß Berkholz ihn unsern
oder des Herzogs ordinairen Gast nennt. Am 13. Januar 1722, so meldet
derselbe Berkholz*), ging der Herzog gegen Abend zum Geheimenrathe Basse-
witz, wo er starcken, Fick und Negelein in aller Andacht bet einem guten
Glase Champagnerwein antraf, wobei sie sich allerhand lustige Histörchen
erzählten. Der Herzog setzte sich an einen besonderen Tisch, verlangte Tinte,
Feder und Papier und sagte, es wäre Schade, daß alle diese artigen und
saftigen Histörchen vergessen werden sollten; er wolle dieselben zum Protocoll
nehmen und bei anderen wichtigen Sachen im Archive wohl verwahren.
Da nun der Herzog anfing, ein ordentliches Protocoll zu halten, jene aber
herzlich vergnügt bei ihrem Wein saßen und einander die lächerlichsten Histör¬
chen erzählten: so ist nicht zu beschreiben, was darin verzeichnet ward. Der
Herzog blieb bis gegen eilf Uhr in dieser Gesellschaft, und als er sich nach
Hause begab, nahm er das schöne Protocoll mit sich, um es am folgenden
Tage ins Reine zu bringen und ein wenig damit die Zeit zu verbringen.



') Verfasser eines bekannten für die russische Geschichte wichtigen „Tagebuchs" aus den
zwanziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts.
Grenzboten II. 1869. 65
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/441>, abgerufen am 04.07.2024.