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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Sprache und Religion war nicht die Rede, die Meisten von ihnen verschmähten
es, das Idiom des Volks, das sie beherrschten, auch nur vollständig zu er¬
lernen -- wer mit ihnen verhandeln, ihnen näher treten wollte, mußte ihre
Sprache oder die französische Weltsprache annehmen. Der nationale Hoch¬
muth dieser Machthaber stieg nicht selten in das Maßlose. Mummies durfte
Biron bei offener Tafel fragen, wie er dazu gekommen, einen Soldaten, wie
Wolinski (einen Schwager Peters des Großen) zum Minister des kaiserlichen
Cabinets zu machen und erhielt -- gleichfalls vor versammeltem Hof -- die
Antwort: "Diese Russen sind so unfähig, 5aß wir zufrieden sein müssen, wenn
einer von ihnen überhaupt zu irgend etwas zu brauchen ist." -- In kirch¬
licher Beziehung haben diese norddeutschen Emigranten sich stets als strenge
Lutheraner bewährt. Mummies war der Hauptbegründer der deutschen Petri-
kirche zu Petersburg, Mitglied des Kirchenraths und eifriger Schirmherr der
von ihm ernannten Prediger und Lehrer derselben; setzte dieser wunderbare
Mensch doch seinen Ruhm darin, als "Beter" ebenso stark und unermüdlich
zu sein, wie als Feldherr und Administrator.

Selbst eine Art deutschen Heimaths- und Bürgerrechts wußten diese
Männer, die Catharina II. Väter des russischen Staats genannt hat, sich zu
schaffen. An der Hand jener deutschen Adelsbriefe, die sie mitgebracht oder
durch die Gefälligkeit des Wiener Hoff erworben hatten, bewarben sie sich
um die Aufnahme in die baltischen Ritterschaften, die natürlich gern bereit
waren, so einflußreichen Gönnern ihrer Sache die "Mitbrüderschaft" zu Theil
werden zu lassen und dieselben dadurch in ihr Interesse zu ziehen. Die un¬
geheueren Vermögen, welche sie erworben und erbeutet, wurden dann in lip-,
est- oder auch kurländischen Rittergütern angelegt, für alle Fälle Familien¬
sitze unter Stammes- und Glaubensgenossen, Gräber in protestantischer Erde
erworben. Die Matrikelbücher der baltischen Provinzen Rußlands zählen
manchen deutschen Namen, der auf dem Umwege über Petersburger und
Moskaner Palläste auf diese Weise an der Ostsee heimisch geworden ist.

Eine besonders interessante Figur aus dem Kreise der Männer, die Peter
nach Nußland zog, um mit ihrer Hülfe sein Reich zu civilisiren, wenn auch
im Vergleich zu Mummies und Ostermann bloßer rMsr miliormu Zerlinen, ist
der Flensburger Bürger Heinrich Fick, später wirklicher Etatsrath, Jhro
Majestät und des Reiches Vicepräsident des Commerzcollegii, hoher und höch¬
ster Orden Ritter, dann Jahrelang Staatsverbrecher in Sibirien, schließlich
Erbherr großer Güter in Liv- und Estland und auf Grund römisch-kaiser¬
lichen Adelsbriefs, baltischer Baron. Nicht nur, daß dieser Mann auf die
Finanz- und Steuereinrichtungen seines neuen Vaterlandes nachhaltigsten
Einfluß übte -- er bildet eine Ausnahme von der Regel, indem er sich nicht
der den zaarischen Absolutismus vertretenden deutschen Partei anschloß, son-


Sprache und Religion war nicht die Rede, die Meisten von ihnen verschmähten
es, das Idiom des Volks, das sie beherrschten, auch nur vollständig zu er¬
lernen — wer mit ihnen verhandeln, ihnen näher treten wollte, mußte ihre
Sprache oder die französische Weltsprache annehmen. Der nationale Hoch¬
muth dieser Machthaber stieg nicht selten in das Maßlose. Mummies durfte
Biron bei offener Tafel fragen, wie er dazu gekommen, einen Soldaten, wie
Wolinski (einen Schwager Peters des Großen) zum Minister des kaiserlichen
Cabinets zu machen und erhielt — gleichfalls vor versammeltem Hof — die
Antwort: „Diese Russen sind so unfähig, 5aß wir zufrieden sein müssen, wenn
einer von ihnen überhaupt zu irgend etwas zu brauchen ist." — In kirch¬
licher Beziehung haben diese norddeutschen Emigranten sich stets als strenge
Lutheraner bewährt. Mummies war der Hauptbegründer der deutschen Petri-
kirche zu Petersburg, Mitglied des Kirchenraths und eifriger Schirmherr der
von ihm ernannten Prediger und Lehrer derselben; setzte dieser wunderbare
Mensch doch seinen Ruhm darin, als „Beter" ebenso stark und unermüdlich
zu sein, wie als Feldherr und Administrator.

Selbst eine Art deutschen Heimaths- und Bürgerrechts wußten diese
Männer, die Catharina II. Väter des russischen Staats genannt hat, sich zu
schaffen. An der Hand jener deutschen Adelsbriefe, die sie mitgebracht oder
durch die Gefälligkeit des Wiener Hoff erworben hatten, bewarben sie sich
um die Aufnahme in die baltischen Ritterschaften, die natürlich gern bereit
waren, so einflußreichen Gönnern ihrer Sache die „Mitbrüderschaft" zu Theil
werden zu lassen und dieselben dadurch in ihr Interesse zu ziehen. Die un¬
geheueren Vermögen, welche sie erworben und erbeutet, wurden dann in lip-,
est- oder auch kurländischen Rittergütern angelegt, für alle Fälle Familien¬
sitze unter Stammes- und Glaubensgenossen, Gräber in protestantischer Erde
erworben. Die Matrikelbücher der baltischen Provinzen Rußlands zählen
manchen deutschen Namen, der auf dem Umwege über Petersburger und
Moskaner Palläste auf diese Weise an der Ostsee heimisch geworden ist.

Eine besonders interessante Figur aus dem Kreise der Männer, die Peter
nach Nußland zog, um mit ihrer Hülfe sein Reich zu civilisiren, wenn auch
im Vergleich zu Mummies und Ostermann bloßer rMsr miliormu Zerlinen, ist
der Flensburger Bürger Heinrich Fick, später wirklicher Etatsrath, Jhro
Majestät und des Reiches Vicepräsident des Commerzcollegii, hoher und höch¬
ster Orden Ritter, dann Jahrelang Staatsverbrecher in Sibirien, schließlich
Erbherr großer Güter in Liv- und Estland und auf Grund römisch-kaiser¬
lichen Adelsbriefs, baltischer Baron. Nicht nur, daß dieser Mann auf die
Finanz- und Steuereinrichtungen seines neuen Vaterlandes nachhaltigsten
Einfluß übte — er bildet eine Ausnahme von der Regel, indem er sich nicht
der den zaarischen Absolutismus vertretenden deutschen Partei anschloß, son-


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[0440] Sprache und Religion war nicht die Rede, die Meisten von ihnen verschmähten es, das Idiom des Volks, das sie beherrschten, auch nur vollständig zu er¬ lernen — wer mit ihnen verhandeln, ihnen näher treten wollte, mußte ihre Sprache oder die französische Weltsprache annehmen. Der nationale Hoch¬ muth dieser Machthaber stieg nicht selten in das Maßlose. Mummies durfte Biron bei offener Tafel fragen, wie er dazu gekommen, einen Soldaten, wie Wolinski (einen Schwager Peters des Großen) zum Minister des kaiserlichen Cabinets zu machen und erhielt — gleichfalls vor versammeltem Hof — die Antwort: „Diese Russen sind so unfähig, 5aß wir zufrieden sein müssen, wenn einer von ihnen überhaupt zu irgend etwas zu brauchen ist." — In kirch¬ licher Beziehung haben diese norddeutschen Emigranten sich stets als strenge Lutheraner bewährt. Mummies war der Hauptbegründer der deutschen Petri- kirche zu Petersburg, Mitglied des Kirchenraths und eifriger Schirmherr der von ihm ernannten Prediger und Lehrer derselben; setzte dieser wunderbare Mensch doch seinen Ruhm darin, als „Beter" ebenso stark und unermüdlich zu sein, wie als Feldherr und Administrator. Selbst eine Art deutschen Heimaths- und Bürgerrechts wußten diese Männer, die Catharina II. Väter des russischen Staats genannt hat, sich zu schaffen. An der Hand jener deutschen Adelsbriefe, die sie mitgebracht oder durch die Gefälligkeit des Wiener Hoff erworben hatten, bewarben sie sich um die Aufnahme in die baltischen Ritterschaften, die natürlich gern bereit waren, so einflußreichen Gönnern ihrer Sache die „Mitbrüderschaft" zu Theil werden zu lassen und dieselben dadurch in ihr Interesse zu ziehen. Die un¬ geheueren Vermögen, welche sie erworben und erbeutet, wurden dann in lip-, est- oder auch kurländischen Rittergütern angelegt, für alle Fälle Familien¬ sitze unter Stammes- und Glaubensgenossen, Gräber in protestantischer Erde erworben. Die Matrikelbücher der baltischen Provinzen Rußlands zählen manchen deutschen Namen, der auf dem Umwege über Petersburger und Moskaner Palläste auf diese Weise an der Ostsee heimisch geworden ist. Eine besonders interessante Figur aus dem Kreise der Männer, die Peter nach Nußland zog, um mit ihrer Hülfe sein Reich zu civilisiren, wenn auch im Vergleich zu Mummies und Ostermann bloßer rMsr miliormu Zerlinen, ist der Flensburger Bürger Heinrich Fick, später wirklicher Etatsrath, Jhro Majestät und des Reiches Vicepräsident des Commerzcollegii, hoher und höch¬ ster Orden Ritter, dann Jahrelang Staatsverbrecher in Sibirien, schließlich Erbherr großer Güter in Liv- und Estland und auf Grund römisch-kaiser¬ lichen Adelsbriefs, baltischer Baron. Nicht nur, daß dieser Mann auf die Finanz- und Steuereinrichtungen seines neuen Vaterlandes nachhaltigsten Einfluß übte — er bildet eine Ausnahme von der Regel, indem er sich nicht der den zaarischen Absolutismus vertretenden deutschen Partei anschloß, son-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/440>, abgerufen am 04.07.2024.