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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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genossen, die ihrer finanziellen Verhältnisse wegen gegen alle socialistischen
Experimente nur tiefgehende Abneigung hegten, mit gerechtem Schrecken er¬
füllt wurden. Der hohe Adel aber, Herr v. Edelsheim und Rittmeister von
Berlichingen, in dem die Gesinnungen seines Ahnen gegen das Bürgerthum
fortleben mögen, hatte die Versammlung mit seiner Gegenwart nicht beehrt.

Dem Bürgerthum aber schwand die Geduld. Mit vollem Rechte hatte
die Karlsruher Zeitung darauf hingewiesen, daß in dem Bürgerthum der An¬
griff des Ultramontanismus einen unüberwindlichen Gegner finden werde,
da die Lust und die Fähigkeit zu jeder Arbeit der Hand und des Geistes
im deutschen Bürger ein Gefühl der persönlichen Würde, ein Bewußtsein
der Verantwortlichkeit und ein Bedürfniß der persönlichen Freiheit groß ge¬
zogen habe, dem gegenüber die extravaganten Theorien, welche unsere
Ultramontanen aus den Rüstkammern des Mittelalters hervorsuchen, macht-"
los im Winde verwehen. Schon am 13. Mai wurde eine von 130 der an¬
gesehensten Einwohner Mannheims unterzeichnete Erklärung veröffentlicht,
welche den von der demokratischen und ultramontanen Partei in das Land
geschleuderten Unwahrheiten und Anmaßungen entgegentrat und dafür Zeugniß
ablegte, daß das Volk im Einklang mit der Regierung eine freisinnige und
nationale Politik wolle und unabweisbar die Errichtung des deutschen, auf
Einheit und Freiheit gegründeten Bundesstaates fordere. Wie sehr diese
Erklärung der Gesinnung und Stimmung des gebildeten Bürgerstandes ent-
sprach, zeigte sich augenblicklich. In allen Städten und in zahlreichen Land¬
orten fanden alsbald Versammlungen und Berathungen statt, in denen theils
der Beitritt zu der Mannheimer Erklärung, theils ähnliche Kundgebungen
und Adressen an den Großherzog beschlossen wurden. Ueberall wurde aber
auch die Frage aufgeworfen, ob es nicht endlich an der Zeit sei, die Mi߬
Helligkeiten, welche innerhalb der liberalen Partei durch die leidigen Offen¬
burger Händel entstanden waren, hintanzusetzen und in gemeinsamer Thätig¬
keit den gemeinsamen Gegner zu bekämpfen. Unmöglich konnte man sich in
Offenburg der Einsicht entziehen, daß das Verlangen nach einem Ausgleiche
jener Spannungen täglich allgemeiner und lebhafter geworden, und daß man
bald genug in die Alternative versetzt sein werde, diesem Verlangen entgegen¬
zukommen oder den offenen Bruch mit einem großen und einflußreichen Theil
der Bevölkerung zu vollziehen. Der geschäftsführende Ausschuß der Offen¬
burger säumte nicht, auf den 23, Mai eine Einladung nach Offenburg zu
erlassen, um dort über das fernere Verhalten der ganzen liberalen Partei
zu berathen.

Die ultramontane Agitation war inzwischen eifrig fortgesetzt worden.
Der Bisthumsverweser Kübel bemühte sich auf einer Rundreise im Oden-
Walde durch den Glanz seiner Erscheinung, die Salbung seiner Reden und


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genossen, die ihrer finanziellen Verhältnisse wegen gegen alle socialistischen
Experimente nur tiefgehende Abneigung hegten, mit gerechtem Schrecken er¬
füllt wurden. Der hohe Adel aber, Herr v. Edelsheim und Rittmeister von
Berlichingen, in dem die Gesinnungen seines Ahnen gegen das Bürgerthum
fortleben mögen, hatte die Versammlung mit seiner Gegenwart nicht beehrt.

Dem Bürgerthum aber schwand die Geduld. Mit vollem Rechte hatte
die Karlsruher Zeitung darauf hingewiesen, daß in dem Bürgerthum der An¬
griff des Ultramontanismus einen unüberwindlichen Gegner finden werde,
da die Lust und die Fähigkeit zu jeder Arbeit der Hand und des Geistes
im deutschen Bürger ein Gefühl der persönlichen Würde, ein Bewußtsein
der Verantwortlichkeit und ein Bedürfniß der persönlichen Freiheit groß ge¬
zogen habe, dem gegenüber die extravaganten Theorien, welche unsere
Ultramontanen aus den Rüstkammern des Mittelalters hervorsuchen, macht-"
los im Winde verwehen. Schon am 13. Mai wurde eine von 130 der an¬
gesehensten Einwohner Mannheims unterzeichnete Erklärung veröffentlicht,
welche den von der demokratischen und ultramontanen Partei in das Land
geschleuderten Unwahrheiten und Anmaßungen entgegentrat und dafür Zeugniß
ablegte, daß das Volk im Einklang mit der Regierung eine freisinnige und
nationale Politik wolle und unabweisbar die Errichtung des deutschen, auf
Einheit und Freiheit gegründeten Bundesstaates fordere. Wie sehr diese
Erklärung der Gesinnung und Stimmung des gebildeten Bürgerstandes ent-
sprach, zeigte sich augenblicklich. In allen Städten und in zahlreichen Land¬
orten fanden alsbald Versammlungen und Berathungen statt, in denen theils
der Beitritt zu der Mannheimer Erklärung, theils ähnliche Kundgebungen
und Adressen an den Großherzog beschlossen wurden. Ueberall wurde aber
auch die Frage aufgeworfen, ob es nicht endlich an der Zeit sei, die Mi߬
Helligkeiten, welche innerhalb der liberalen Partei durch die leidigen Offen¬
burger Händel entstanden waren, hintanzusetzen und in gemeinsamer Thätig¬
keit den gemeinsamen Gegner zu bekämpfen. Unmöglich konnte man sich in
Offenburg der Einsicht entziehen, daß das Verlangen nach einem Ausgleiche
jener Spannungen täglich allgemeiner und lebhafter geworden, und daß man
bald genug in die Alternative versetzt sein werde, diesem Verlangen entgegen¬
zukommen oder den offenen Bruch mit einem großen und einflußreichen Theil
der Bevölkerung zu vollziehen. Der geschäftsführende Ausschuß der Offen¬
burger säumte nicht, auf den 23, Mai eine Einladung nach Offenburg zu
erlassen, um dort über das fernere Verhalten der ganzen liberalen Partei
zu berathen.

Die ultramontane Agitation war inzwischen eifrig fortgesetzt worden.
Der Bisthumsverweser Kübel bemühte sich auf einer Rundreise im Oden-
Walde durch den Glanz seiner Erscheinung, die Salbung seiner Reden und


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[0435] genossen, die ihrer finanziellen Verhältnisse wegen gegen alle socialistischen Experimente nur tiefgehende Abneigung hegten, mit gerechtem Schrecken er¬ füllt wurden. Der hohe Adel aber, Herr v. Edelsheim und Rittmeister von Berlichingen, in dem die Gesinnungen seines Ahnen gegen das Bürgerthum fortleben mögen, hatte die Versammlung mit seiner Gegenwart nicht beehrt. Dem Bürgerthum aber schwand die Geduld. Mit vollem Rechte hatte die Karlsruher Zeitung darauf hingewiesen, daß in dem Bürgerthum der An¬ griff des Ultramontanismus einen unüberwindlichen Gegner finden werde, da die Lust und die Fähigkeit zu jeder Arbeit der Hand und des Geistes im deutschen Bürger ein Gefühl der persönlichen Würde, ein Bewußtsein der Verantwortlichkeit und ein Bedürfniß der persönlichen Freiheit groß ge¬ zogen habe, dem gegenüber die extravaganten Theorien, welche unsere Ultramontanen aus den Rüstkammern des Mittelalters hervorsuchen, macht-" los im Winde verwehen. Schon am 13. Mai wurde eine von 130 der an¬ gesehensten Einwohner Mannheims unterzeichnete Erklärung veröffentlicht, welche den von der demokratischen und ultramontanen Partei in das Land geschleuderten Unwahrheiten und Anmaßungen entgegentrat und dafür Zeugniß ablegte, daß das Volk im Einklang mit der Regierung eine freisinnige und nationale Politik wolle und unabweisbar die Errichtung des deutschen, auf Einheit und Freiheit gegründeten Bundesstaates fordere. Wie sehr diese Erklärung der Gesinnung und Stimmung des gebildeten Bürgerstandes ent- sprach, zeigte sich augenblicklich. In allen Städten und in zahlreichen Land¬ orten fanden alsbald Versammlungen und Berathungen statt, in denen theils der Beitritt zu der Mannheimer Erklärung, theils ähnliche Kundgebungen und Adressen an den Großherzog beschlossen wurden. Ueberall wurde aber auch die Frage aufgeworfen, ob es nicht endlich an der Zeit sei, die Mi߬ Helligkeiten, welche innerhalb der liberalen Partei durch die leidigen Offen¬ burger Händel entstanden waren, hintanzusetzen und in gemeinsamer Thätig¬ keit den gemeinsamen Gegner zu bekämpfen. Unmöglich konnte man sich in Offenburg der Einsicht entziehen, daß das Verlangen nach einem Ausgleiche jener Spannungen täglich allgemeiner und lebhafter geworden, und daß man bald genug in die Alternative versetzt sein werde, diesem Verlangen entgegen¬ zukommen oder den offenen Bruch mit einem großen und einflußreichen Theil der Bevölkerung zu vollziehen. Der geschäftsführende Ausschuß der Offen¬ burger säumte nicht, auf den 23, Mai eine Einladung nach Offenburg zu erlassen, um dort über das fernere Verhalten der ganzen liberalen Partei zu berathen. Die ultramontane Agitation war inzwischen eifrig fortgesetzt worden. Der Bisthumsverweser Kübel bemühte sich auf einer Rundreise im Oden- Walde durch den Glanz seiner Erscheinung, die Salbung seiner Reden und 54*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/435>, abgerufen am 04.07.2024.