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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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zirkssynode, so hat man ein Bild von 90°/<> aller. Ueberall Klagen über den
zunehmenden Unglauben und Sittenverfall, Beschlüsse, bei der Obrigkeit auf
strengere Handhabung der Sabbathsordnung hinzuwirken, Erklärungen darüber,
daß schärfere Kirchenzucht erforderlich und daß das Werk der inneren Mission
mit allen Kräften zu unterstützen sei, das war so ziemlich das Resultat
sämmtlicher Synodalverhandlungen. In einer Synode war sogar ein An¬
trag auf zwangsweise Einführung des Tischgebets in den Familien gestellt,
der indessen abgelehnt wurde.

Außer den gedachten Punkten war noch ein Gegenstand, der in den
meisten Synoden zur Sprache gebracht wurde und durchweg gleiche Be¬
urtheilung fand, nämlich die Herrschaft der Kirche über die Schule, die in
den Synoden aufs Eifrigste verfochten wurde. Hier müssen wir zum besseren
Verständniß etwas zurückgreifen und die Stellung der Geistlichkeit zu den
neuen politischen Zuständen näher beleuchten.

Als im Sommer 1866 der Untergang des Königreichs Hannover immer
mehr zu drohen schien, nahm die Geistlichkeit in ihrer überwiegenden Mehr¬
zahl entschieden Stellung gegen Preußen und agitirte mit allen Kräften für
Aufrechthaltung der Krone Hannover. Zahlreiche Petitionen für die Er¬
haltung der Selbständigkeit des Landes wurden von Geistlichen colpor-
tirt, in der Presse wirkten die Geistlichen in gleicher Richtung, unter der
Landbevölkerung wurde der Haß gegen Preußen geschürt und vor Allem die
Frage der Eidesleistung immer wieder erörtert, schließlich die Eidesweige¬
rung für heilige Pflicht erklärt.

Da erschien wenige Tage nach dem Besitzergreifungspatent die Eides¬
entbindung von Seiten König Georgs, und plötzlich machte sich ein Umschwung
der Stimmung geltend.

Das Landesconsistorium ging mit gutem Beispiel voran und erklärte in
einem allgemeinen Ausschreiben, daß seine sämmtlichen Mitglieder, eingedenk
des Spruches: "Seid Unterthan der Obrigkeit, die Gewalt über Euch hat",
dem Könige von Preußen unbedenklich den Huldigungseid leisten würden und
daß sie es für Pflicht jedes Geistlichen hielten, ein Gleiches zu thun. Genug,
das Resultat war, daß im ganzen Lande nur drei Geistliche den Eid weigerten.
Dann aber begann wieder die bitterste Opposition gegen die Regierung.

Das Landesconststorinm hatte sofort in einer Petition an den König
um Schutz für die lutherische Kirche und Sicherung vor der Union erbeten und
die milde und freimüthige Antwort des Königs (worin dieser die Hoffnung
aussprach, daß der Drang nach Einigung aller Theile der evangelischen Kirche
um so mehr wachsen werde, je freier von allem Druck von oben die einzelnen
Kirchen sich entfalten könnten), in einer schwülstigen öffentlichen Ansprache
publicirt. Es wurde darin auf die der Kirche drohenden Gefahren hingewiesen


Grenzboten II. 1869. 53

zirkssynode, so hat man ein Bild von 90°/<> aller. Ueberall Klagen über den
zunehmenden Unglauben und Sittenverfall, Beschlüsse, bei der Obrigkeit auf
strengere Handhabung der Sabbathsordnung hinzuwirken, Erklärungen darüber,
daß schärfere Kirchenzucht erforderlich und daß das Werk der inneren Mission
mit allen Kräften zu unterstützen sei, das war so ziemlich das Resultat
sämmtlicher Synodalverhandlungen. In einer Synode war sogar ein An¬
trag auf zwangsweise Einführung des Tischgebets in den Familien gestellt,
der indessen abgelehnt wurde.

Außer den gedachten Punkten war noch ein Gegenstand, der in den
meisten Synoden zur Sprache gebracht wurde und durchweg gleiche Be¬
urtheilung fand, nämlich die Herrschaft der Kirche über die Schule, die in
den Synoden aufs Eifrigste verfochten wurde. Hier müssen wir zum besseren
Verständniß etwas zurückgreifen und die Stellung der Geistlichkeit zu den
neuen politischen Zuständen näher beleuchten.

Als im Sommer 1866 der Untergang des Königreichs Hannover immer
mehr zu drohen schien, nahm die Geistlichkeit in ihrer überwiegenden Mehr¬
zahl entschieden Stellung gegen Preußen und agitirte mit allen Kräften für
Aufrechthaltung der Krone Hannover. Zahlreiche Petitionen für die Er¬
haltung der Selbständigkeit des Landes wurden von Geistlichen colpor-
tirt, in der Presse wirkten die Geistlichen in gleicher Richtung, unter der
Landbevölkerung wurde der Haß gegen Preußen geschürt und vor Allem die
Frage der Eidesleistung immer wieder erörtert, schließlich die Eidesweige¬
rung für heilige Pflicht erklärt.

Da erschien wenige Tage nach dem Besitzergreifungspatent die Eides¬
entbindung von Seiten König Georgs, und plötzlich machte sich ein Umschwung
der Stimmung geltend.

Das Landesconsistorium ging mit gutem Beispiel voran und erklärte in
einem allgemeinen Ausschreiben, daß seine sämmtlichen Mitglieder, eingedenk
des Spruches: „Seid Unterthan der Obrigkeit, die Gewalt über Euch hat",
dem Könige von Preußen unbedenklich den Huldigungseid leisten würden und
daß sie es für Pflicht jedes Geistlichen hielten, ein Gleiches zu thun. Genug,
das Resultat war, daß im ganzen Lande nur drei Geistliche den Eid weigerten.
Dann aber begann wieder die bitterste Opposition gegen die Regierung.

Das Landesconststorinm hatte sofort in einer Petition an den König
um Schutz für die lutherische Kirche und Sicherung vor der Union erbeten und
die milde und freimüthige Antwort des Königs (worin dieser die Hoffnung
aussprach, daß der Drang nach Einigung aller Theile der evangelischen Kirche
um so mehr wachsen werde, je freier von allem Druck von oben die einzelnen
Kirchen sich entfalten könnten), in einer schwülstigen öffentlichen Ansprache
publicirt. Es wurde darin auf die der Kirche drohenden Gefahren hingewiesen


Grenzboten II. 1869. 53
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/425>, abgerufen am 04.07.2024.