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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Vorstände componirt waren, wie leicht es den Geistlichen, die den Vorsitz
darin führten, werden mußte, die Wahlen zur Bezirkssynode, die nur auf
Mitglieder der Kirchenvorstände fallen durften, zu leiten, so wird man ein¬
sehen, daß die Bezirkssynoden nimmermehr zum Ausdruck der im Bezirk
herrschenden Meinung werden konnten.

Um ja die in jeder größeren Versammlung doch immer leichter sich gel¬
tend machende Selbständigkeit Einzelner thunlichst von vorn herein zu
unterdrücken, verkleinerte die Kirchenregierung vor der erstmaligen Berufung
der Synoden die Jnspectionsbezirke noch ziemlich erheblich, so daß meist nur
sechs bis acht Kirchspiele dazu gehörten. Dazu wurde eine Geschäftsordnung
erlassen, nach welcher die Synoden regelmäßig nur ein Mal jährlich und nur
auf je einen Tag zusammentreten sollen, und wurde ferner den Vor¬
sitzenden ausdrücklich das Recht beigelegt, sogenannte Uranträge aus der
Mitte der Synode bis zur nächsten Sitzung-- also auf ein volles Jahr zu
vertagen, auch wenn die Zeit die sofortige Berathung erlaubte.

Dann wurde vorgeschrieben, daß in jeder Synode zunächst eine allge¬
meine Besprechung der kirchlichen und sittlichen Zustände des Bezirks statt¬
finden müsse, daß dann die Erledigung der durch das Gesetz den Synoden
überwiesenen Geschäfte, dann die Berathung über etwaige Regierungsvor¬
lagen, darauf die über etwaige Anträge einzelner Kirchenvorstände stattzu¬
finden habe und nur zuletzt über Uranträge verhandelt werden dürfe.

Daß bei der auf einen Tag beschränkten Zeit der Thätigkeit der
Synoden also ein Urantrag niemals Aussicht hatte, zur Verhandlung zu kom¬
men, lag auf der Hand, und somit war selbst der Möglichkeit, einen unlieb¬
samen Gegenstand zur Erörterung gebracht zu sehen, ein Riegel vorgeschoben.
Für die unbedingt vorgeschriebene allgemeine Besprechung der kirchlichen und
sittlichen Zustände wurde den Superintendenten eine äußerst detaillirte An¬
weisung gegeben, wonach vor Allen auch das häusliche Leben der Einwohner
hinsichtlich der Hausandachten, des Tischgebets, der Lectüre, der Kinderzucht,
des Verhältnisses zu ihren Dienstboten, des Luxus. Spiels, ihrer Haltung
bei öffentlichen Vergnügungen !c. geprüft werden sollte.

So traten denn die Synoden zusammen, und es wurde, um ihnen noch
höhere Feierlichkeit zu verleihen, regelmäßig ein Mitglied des Landesconfisto-
riums zur Theilnahme an denselben committirt. Das Resultat war voraus¬
zusehen. Fast nur die geistlichen Mitglieder redeten; die wenigen weltlichen,
meist dem Bauernstande angehörigen Mitglieder, des Worts ohnehin nicht
genügend mächtig, konnten eingeschüchtert durch die kirchlichen Würdenträger
sich in den kurzen Stunden kaum recht besinnen und stimmten fast aus
nahmslos den Anträgen der Geistlichen zu, die fast in allen Synoden in
leicher Richtung gestellt wurden. Liest man die Verhandlungen einer Be-


Vorstände componirt waren, wie leicht es den Geistlichen, die den Vorsitz
darin führten, werden mußte, die Wahlen zur Bezirkssynode, die nur auf
Mitglieder der Kirchenvorstände fallen durften, zu leiten, so wird man ein¬
sehen, daß die Bezirkssynoden nimmermehr zum Ausdruck der im Bezirk
herrschenden Meinung werden konnten.

Um ja die in jeder größeren Versammlung doch immer leichter sich gel¬
tend machende Selbständigkeit Einzelner thunlichst von vorn herein zu
unterdrücken, verkleinerte die Kirchenregierung vor der erstmaligen Berufung
der Synoden die Jnspectionsbezirke noch ziemlich erheblich, so daß meist nur
sechs bis acht Kirchspiele dazu gehörten. Dazu wurde eine Geschäftsordnung
erlassen, nach welcher die Synoden regelmäßig nur ein Mal jährlich und nur
auf je einen Tag zusammentreten sollen, und wurde ferner den Vor¬
sitzenden ausdrücklich das Recht beigelegt, sogenannte Uranträge aus der
Mitte der Synode bis zur nächsten Sitzung— also auf ein volles Jahr zu
vertagen, auch wenn die Zeit die sofortige Berathung erlaubte.

Dann wurde vorgeschrieben, daß in jeder Synode zunächst eine allge¬
meine Besprechung der kirchlichen und sittlichen Zustände des Bezirks statt¬
finden müsse, daß dann die Erledigung der durch das Gesetz den Synoden
überwiesenen Geschäfte, dann die Berathung über etwaige Regierungsvor¬
lagen, darauf die über etwaige Anträge einzelner Kirchenvorstände stattzu¬
finden habe und nur zuletzt über Uranträge verhandelt werden dürfe.

Daß bei der auf einen Tag beschränkten Zeit der Thätigkeit der
Synoden also ein Urantrag niemals Aussicht hatte, zur Verhandlung zu kom¬
men, lag auf der Hand, und somit war selbst der Möglichkeit, einen unlieb¬
samen Gegenstand zur Erörterung gebracht zu sehen, ein Riegel vorgeschoben.
Für die unbedingt vorgeschriebene allgemeine Besprechung der kirchlichen und
sittlichen Zustände wurde den Superintendenten eine äußerst detaillirte An¬
weisung gegeben, wonach vor Allen auch das häusliche Leben der Einwohner
hinsichtlich der Hausandachten, des Tischgebets, der Lectüre, der Kinderzucht,
des Verhältnisses zu ihren Dienstboten, des Luxus. Spiels, ihrer Haltung
bei öffentlichen Vergnügungen !c. geprüft werden sollte.

So traten denn die Synoden zusammen, und es wurde, um ihnen noch
höhere Feierlichkeit zu verleihen, regelmäßig ein Mitglied des Landesconfisto-
riums zur Theilnahme an denselben committirt. Das Resultat war voraus¬
zusehen. Fast nur die geistlichen Mitglieder redeten; die wenigen weltlichen,
meist dem Bauernstande angehörigen Mitglieder, des Worts ohnehin nicht
genügend mächtig, konnten eingeschüchtert durch die kirchlichen Würdenträger
sich in den kurzen Stunden kaum recht besinnen und stimmten fast aus
nahmslos den Anträgen der Geistlichen zu, die fast in allen Synoden in
leicher Richtung gestellt wurden. Liest man die Verhandlungen einer Be-


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[0424] Vorstände componirt waren, wie leicht es den Geistlichen, die den Vorsitz darin führten, werden mußte, die Wahlen zur Bezirkssynode, die nur auf Mitglieder der Kirchenvorstände fallen durften, zu leiten, so wird man ein¬ sehen, daß die Bezirkssynoden nimmermehr zum Ausdruck der im Bezirk herrschenden Meinung werden konnten. Um ja die in jeder größeren Versammlung doch immer leichter sich gel¬ tend machende Selbständigkeit Einzelner thunlichst von vorn herein zu unterdrücken, verkleinerte die Kirchenregierung vor der erstmaligen Berufung der Synoden die Jnspectionsbezirke noch ziemlich erheblich, so daß meist nur sechs bis acht Kirchspiele dazu gehörten. Dazu wurde eine Geschäftsordnung erlassen, nach welcher die Synoden regelmäßig nur ein Mal jährlich und nur auf je einen Tag zusammentreten sollen, und wurde ferner den Vor¬ sitzenden ausdrücklich das Recht beigelegt, sogenannte Uranträge aus der Mitte der Synode bis zur nächsten Sitzung— also auf ein volles Jahr zu vertagen, auch wenn die Zeit die sofortige Berathung erlaubte. Dann wurde vorgeschrieben, daß in jeder Synode zunächst eine allge¬ meine Besprechung der kirchlichen und sittlichen Zustände des Bezirks statt¬ finden müsse, daß dann die Erledigung der durch das Gesetz den Synoden überwiesenen Geschäfte, dann die Berathung über etwaige Regierungsvor¬ lagen, darauf die über etwaige Anträge einzelner Kirchenvorstände stattzu¬ finden habe und nur zuletzt über Uranträge verhandelt werden dürfe. Daß bei der auf einen Tag beschränkten Zeit der Thätigkeit der Synoden also ein Urantrag niemals Aussicht hatte, zur Verhandlung zu kom¬ men, lag auf der Hand, und somit war selbst der Möglichkeit, einen unlieb¬ samen Gegenstand zur Erörterung gebracht zu sehen, ein Riegel vorgeschoben. Für die unbedingt vorgeschriebene allgemeine Besprechung der kirchlichen und sittlichen Zustände wurde den Superintendenten eine äußerst detaillirte An¬ weisung gegeben, wonach vor Allen auch das häusliche Leben der Einwohner hinsichtlich der Hausandachten, des Tischgebets, der Lectüre, der Kinderzucht, des Verhältnisses zu ihren Dienstboten, des Luxus. Spiels, ihrer Haltung bei öffentlichen Vergnügungen !c. geprüft werden sollte. So traten denn die Synoden zusammen, und es wurde, um ihnen noch höhere Feierlichkeit zu verleihen, regelmäßig ein Mitglied des Landesconfisto- riums zur Theilnahme an denselben committirt. Das Resultat war voraus¬ zusehen. Fast nur die geistlichen Mitglieder redeten; die wenigen weltlichen, meist dem Bauernstande angehörigen Mitglieder, des Worts ohnehin nicht genügend mächtig, konnten eingeschüchtert durch die kirchlichen Würdenträger sich in den kurzen Stunden kaum recht besinnen und stimmten fast aus nahmslos den Anträgen der Geistlichen zu, die fast in allen Synoden in leicher Richtung gestellt wurden. Liest man die Verhandlungen einer Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/424>, abgerufen am 04.07.2024.