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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Jahr immer mehr der orthodoxen Richtung sich zugeneigt hatte und allmälig
völlig derselben angehörte. Die geistlichen Räthe gehörten natürlich derselben
Partei an, namentlich wurden der einflußreiche Abt*) Rupstein und der
Führer der Orthodoxen, der bekannte Hauptverfasser des neuen Katechismus,
Uhlhorn, in das Landesconsistorium berufen, von rechtskundigen Mitgliedern
dagegen außer dem Präsidenten nur ein jüngerer Assessor. Daneben wurde
eine Anzahl auswärtiger Geistlicher und Gelehrter, namentlich der bekannte
Kirchenrechtslehrer, Professor Herrmann zu Göttingen zu außerordentlichen
Mitgliedern ernannt, ohne indeß eine irgend erhebliche Thätigkeit zu haben. --

Am 16. Juni floh der König von Hannover und die preußischen Trup¬
pen rückten in die Stadt ein. Alles war in wildester Verwirrung, sämmt¬
liche Minister auf der Flucht; aber unbeirrt installirte sich am 18. Juni die
neue Behörde. Die Zeitungen theilten die öffentliche Ansprache derselben an
die unterstellten Kirchenbehörden, durch welche das Landesconsistorium seine
Thätigkeit inaugurirte, mit; allein in der politisch so hoch erregten Zeit blieb
dies Actenstück gänzlich unbeachtet. Und doch ließ sich aus demselben erkennen,
was man von der neuen Behörde zu erwarten habe, die statt mit freien,
kernigen Worten ein bestimmtes Programm für ihre Wirksamkeit aufzustellen,
ein Machwerk zusammensetzte, das man nicht ohne ein gewisses unheimliches
Gefühl lesen konnte. Zur Charakteristik dieser Ansprache sei hier nur das
Schlußwort mitgetheilt.

"Er, der gnädige Gott, wolle uns denn Alle stärken, vollbereiten,
kräftigen und gründen; er sei unseres Königs Stärke und Trost und helfe
ihm, sich auch in Zukunft zu erweisen als ein rechter Schirmherr der Kirche;
er gebe uns Weisheit und Rath, Muth und Kraft, auf daß bei uns selbst
und durch unseren Dienst bei vielen der Name, in dem allein Heil ist, zeit¬
lich und ewiglich, der Name seines lieben Sohnes Jesu Christi immer völli¬
ger erkannt, offener bekannt und mit Leben und Wandel, in Arbeit und im
Leiden gerühmt und gepriesen werde. Ihm sei Ehre in Ewigkeit!"

So begann denn das Landesconsistorium, in dessen Hände namentlich
alle Anstellungen von Geistlichen im ganzen Lande gelegt waren, seine Thä¬
tigkeit damit, die ziemliche Zahl vaeanter Stellen nur mit "vollbereiteten" und
"gegründeten" Orthodoxen zu besetzen, zum Theil gegen den entschiedenen
Widerspruch der Gemeinden.

Zum Theil wahrhaft scandalöse Vorfälle in Bezug auf das sittliche
Leben einzelner Führer der Orthodoxen öffneten dem großen Publicum mehr



*) Abt des Klosters Loccum und als solcher Inhaber einer sehr reichen Pfründe, Patron
vieler Pfanstcllcn, Präsident der Calenbera/schen Provinziallandschaft und mit vielen sonstigen
Vorrechten ansgcsiattet; nach allem Usus gibt der Abt von Loccum seinen Familiennamen
auf und unterzeichnet nur noch mit dem Vornamen: Wir Friedrich, Abt zu Loccum :c.

Jahr immer mehr der orthodoxen Richtung sich zugeneigt hatte und allmälig
völlig derselben angehörte. Die geistlichen Räthe gehörten natürlich derselben
Partei an, namentlich wurden der einflußreiche Abt*) Rupstein und der
Führer der Orthodoxen, der bekannte Hauptverfasser des neuen Katechismus,
Uhlhorn, in das Landesconsistorium berufen, von rechtskundigen Mitgliedern
dagegen außer dem Präsidenten nur ein jüngerer Assessor. Daneben wurde
eine Anzahl auswärtiger Geistlicher und Gelehrter, namentlich der bekannte
Kirchenrechtslehrer, Professor Herrmann zu Göttingen zu außerordentlichen
Mitgliedern ernannt, ohne indeß eine irgend erhebliche Thätigkeit zu haben. —

Am 16. Juni floh der König von Hannover und die preußischen Trup¬
pen rückten in die Stadt ein. Alles war in wildester Verwirrung, sämmt¬
liche Minister auf der Flucht; aber unbeirrt installirte sich am 18. Juni die
neue Behörde. Die Zeitungen theilten die öffentliche Ansprache derselben an
die unterstellten Kirchenbehörden, durch welche das Landesconsistorium seine
Thätigkeit inaugurirte, mit; allein in der politisch so hoch erregten Zeit blieb
dies Actenstück gänzlich unbeachtet. Und doch ließ sich aus demselben erkennen,
was man von der neuen Behörde zu erwarten habe, die statt mit freien,
kernigen Worten ein bestimmtes Programm für ihre Wirksamkeit aufzustellen,
ein Machwerk zusammensetzte, das man nicht ohne ein gewisses unheimliches
Gefühl lesen konnte. Zur Charakteristik dieser Ansprache sei hier nur das
Schlußwort mitgetheilt.

„Er, der gnädige Gott, wolle uns denn Alle stärken, vollbereiten,
kräftigen und gründen; er sei unseres Königs Stärke und Trost und helfe
ihm, sich auch in Zukunft zu erweisen als ein rechter Schirmherr der Kirche;
er gebe uns Weisheit und Rath, Muth und Kraft, auf daß bei uns selbst
und durch unseren Dienst bei vielen der Name, in dem allein Heil ist, zeit¬
lich und ewiglich, der Name seines lieben Sohnes Jesu Christi immer völli¬
ger erkannt, offener bekannt und mit Leben und Wandel, in Arbeit und im
Leiden gerühmt und gepriesen werde. Ihm sei Ehre in Ewigkeit!"

So begann denn das Landesconsistorium, in dessen Hände namentlich
alle Anstellungen von Geistlichen im ganzen Lande gelegt waren, seine Thä¬
tigkeit damit, die ziemliche Zahl vaeanter Stellen nur mit „vollbereiteten" und
„gegründeten" Orthodoxen zu besetzen, zum Theil gegen den entschiedenen
Widerspruch der Gemeinden.

Zum Theil wahrhaft scandalöse Vorfälle in Bezug auf das sittliche
Leben einzelner Führer der Orthodoxen öffneten dem großen Publicum mehr



*) Abt des Klosters Loccum und als solcher Inhaber einer sehr reichen Pfründe, Patron
vieler Pfanstcllcn, Präsident der Calenbera/schen Provinziallandschaft und mit vielen sonstigen
Vorrechten ansgcsiattet; nach allem Usus gibt der Abt von Loccum seinen Familiennamen
auf und unterzeichnet nur noch mit dem Vornamen: Wir Friedrich, Abt zu Loccum :c.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/422>, abgerufen am 24.07.2024.