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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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gnug sei durch die Eigenschaft als Seelsorger schlechthin ausgeschlossen. Ge¬
lang es aber ja in einzelnen Fällen einmal, gegen einen Geistlichen eine ge¬
richtliche Verurtheilung zu einer namhaften Geldbuße zu erlangen -- denn
Freiheitsstrafen wurden nie erkannt -- so legte sich eine hohe Behörde ins
Mittel und half dem armen Verfolgten durch außerordentliche Remunera¬
tionen oder Versetzung auf eine bessere Stelle, oder auch wohl direct durch
Bezahlung der Geldbuße. Nur orthodoxe Geistliche erhielten gute Stellen,
namentlich die Superintendenturen.

Im liberalen Lager begann es bald wieder zu gähren und immer lauter
erschollen die Klagen. Vor Allem wurde die Ausführung der Synodal¬
ordnung verlangt. Durch diese wurden nämlich eine Anzahl nicht unwichti¬
ger Befugnisse den Synoden beigelegt, welche bis zu deren Zusammentritt
die Consistorien auszuüben hatten. Von den Synoden hoffte man Abhülfe
der meisten Beschwerden, namentlich sah man in diesen geeignete Organe,
um den allgemeinen Klagen den nöthigen Nachdruck zu verschaffen. -- Aber
die Einberufung der Synoden war durch das Gesetz einer unter dem Namen
"Landeseonsistorium" neu zu errichtenden kirchlichen Centralbehörde über¬
wiesen, und diese Behörde war noch immer nicht errichtet, und zwar, wie
allgemein bekannt war, weil der König sich mit seinen Ministern nicht über
die Person des zu ernennenden Präsidenten einigen konnte, So kam das
Ende des Jahres 1865 heran und mit ihm fiel das Ministerium Hammerstein
und ein Ministerium Baemeister trat an seine Stelle, in welches als Cultus¬
minister'Herr von Hodenberg berufen wurde, ein junger Mann im Anfange
der dreißiger Jahre, bis dahin nur als Ultra-Aristokrat, Hyper-Orthodoxer
Und leidenschaftlicher Verfechter der Zunftrechte bekannt.

Natürlich wurden die Zügel der Kirchenverwaltung fortan noch schärfer
angezogen. In Ostfriesland wurde, um nur ja den confessionellen Gegensatz
recht scharf zu machen, als erste Amtshandlung des neuen Ministers der er¬
ledigte Posten eines reformirten Generalsuperintendenten und Conststorial-
raths dem Vorkämpfer der schroffen Reformirten, dem jungen Pastor Bartels
Zu Emden übertragen, der den Gedanken einer gänzlichen Trennung von
dem mit den Lutheranern gemeinsamen paritätischen Consistorium und Ver¬
bindung mit den Bentheimer Reformirten zu einem Synodalverbande an¬
geregt hatte. Bald darauf wurde die Einrichtung eines Landesconsistoriums
angeordnet, dem eine außerordentlich weitgehende Competenz beigelegt wurde,
so daß es in allen inneren Angelegenheiten völlig unabhängig vom Cultus¬
ministerium zu entscheiden haben sollte. -- Die Ernennung der Mitglieder
desselben erfolgte erst später, zugleich mit der Anordnung, daß die neue Be¬
hörde vom 18. Juni ihre Wirksamkeit zu beginnen habe. Es wurde zum
Präsidenten der frühere Cultusminister Lichtenverg ernannt, der von Jahr zu


gnug sei durch die Eigenschaft als Seelsorger schlechthin ausgeschlossen. Ge¬
lang es aber ja in einzelnen Fällen einmal, gegen einen Geistlichen eine ge¬
richtliche Verurtheilung zu einer namhaften Geldbuße zu erlangen — denn
Freiheitsstrafen wurden nie erkannt — so legte sich eine hohe Behörde ins
Mittel und half dem armen Verfolgten durch außerordentliche Remunera¬
tionen oder Versetzung auf eine bessere Stelle, oder auch wohl direct durch
Bezahlung der Geldbuße. Nur orthodoxe Geistliche erhielten gute Stellen,
namentlich die Superintendenturen.

Im liberalen Lager begann es bald wieder zu gähren und immer lauter
erschollen die Klagen. Vor Allem wurde die Ausführung der Synodal¬
ordnung verlangt. Durch diese wurden nämlich eine Anzahl nicht unwichti¬
ger Befugnisse den Synoden beigelegt, welche bis zu deren Zusammentritt
die Consistorien auszuüben hatten. Von den Synoden hoffte man Abhülfe
der meisten Beschwerden, namentlich sah man in diesen geeignete Organe,
um den allgemeinen Klagen den nöthigen Nachdruck zu verschaffen. — Aber
die Einberufung der Synoden war durch das Gesetz einer unter dem Namen
„Landeseonsistorium" neu zu errichtenden kirchlichen Centralbehörde über¬
wiesen, und diese Behörde war noch immer nicht errichtet, und zwar, wie
allgemein bekannt war, weil der König sich mit seinen Ministern nicht über
die Person des zu ernennenden Präsidenten einigen konnte, So kam das
Ende des Jahres 1865 heran und mit ihm fiel das Ministerium Hammerstein
und ein Ministerium Baemeister trat an seine Stelle, in welches als Cultus¬
minister'Herr von Hodenberg berufen wurde, ein junger Mann im Anfange
der dreißiger Jahre, bis dahin nur als Ultra-Aristokrat, Hyper-Orthodoxer
Und leidenschaftlicher Verfechter der Zunftrechte bekannt.

Natürlich wurden die Zügel der Kirchenverwaltung fortan noch schärfer
angezogen. In Ostfriesland wurde, um nur ja den confessionellen Gegensatz
recht scharf zu machen, als erste Amtshandlung des neuen Ministers der er¬
ledigte Posten eines reformirten Generalsuperintendenten und Conststorial-
raths dem Vorkämpfer der schroffen Reformirten, dem jungen Pastor Bartels
Zu Emden übertragen, der den Gedanken einer gänzlichen Trennung von
dem mit den Lutheranern gemeinsamen paritätischen Consistorium und Ver¬
bindung mit den Bentheimer Reformirten zu einem Synodalverbande an¬
geregt hatte. Bald darauf wurde die Einrichtung eines Landesconsistoriums
angeordnet, dem eine außerordentlich weitgehende Competenz beigelegt wurde,
so daß es in allen inneren Angelegenheiten völlig unabhängig vom Cultus¬
ministerium zu entscheiden haben sollte. — Die Ernennung der Mitglieder
desselben erfolgte erst später, zugleich mit der Anordnung, daß die neue Be¬
hörde vom 18. Juni ihre Wirksamkeit zu beginnen habe. Es wurde zum
Präsidenten der frühere Cultusminister Lichtenverg ernannt, der von Jahr zu


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[0421] gnug sei durch die Eigenschaft als Seelsorger schlechthin ausgeschlossen. Ge¬ lang es aber ja in einzelnen Fällen einmal, gegen einen Geistlichen eine ge¬ richtliche Verurtheilung zu einer namhaften Geldbuße zu erlangen — denn Freiheitsstrafen wurden nie erkannt — so legte sich eine hohe Behörde ins Mittel und half dem armen Verfolgten durch außerordentliche Remunera¬ tionen oder Versetzung auf eine bessere Stelle, oder auch wohl direct durch Bezahlung der Geldbuße. Nur orthodoxe Geistliche erhielten gute Stellen, namentlich die Superintendenturen. Im liberalen Lager begann es bald wieder zu gähren und immer lauter erschollen die Klagen. Vor Allem wurde die Ausführung der Synodal¬ ordnung verlangt. Durch diese wurden nämlich eine Anzahl nicht unwichti¬ ger Befugnisse den Synoden beigelegt, welche bis zu deren Zusammentritt die Consistorien auszuüben hatten. Von den Synoden hoffte man Abhülfe der meisten Beschwerden, namentlich sah man in diesen geeignete Organe, um den allgemeinen Klagen den nöthigen Nachdruck zu verschaffen. — Aber die Einberufung der Synoden war durch das Gesetz einer unter dem Namen „Landeseonsistorium" neu zu errichtenden kirchlichen Centralbehörde über¬ wiesen, und diese Behörde war noch immer nicht errichtet, und zwar, wie allgemein bekannt war, weil der König sich mit seinen Ministern nicht über die Person des zu ernennenden Präsidenten einigen konnte, So kam das Ende des Jahres 1865 heran und mit ihm fiel das Ministerium Hammerstein und ein Ministerium Baemeister trat an seine Stelle, in welches als Cultus¬ minister'Herr von Hodenberg berufen wurde, ein junger Mann im Anfange der dreißiger Jahre, bis dahin nur als Ultra-Aristokrat, Hyper-Orthodoxer Und leidenschaftlicher Verfechter der Zunftrechte bekannt. Natürlich wurden die Zügel der Kirchenverwaltung fortan noch schärfer angezogen. In Ostfriesland wurde, um nur ja den confessionellen Gegensatz recht scharf zu machen, als erste Amtshandlung des neuen Ministers der er¬ ledigte Posten eines reformirten Generalsuperintendenten und Conststorial- raths dem Vorkämpfer der schroffen Reformirten, dem jungen Pastor Bartels Zu Emden übertragen, der den Gedanken einer gänzlichen Trennung von dem mit den Lutheranern gemeinsamen paritätischen Consistorium und Ver¬ bindung mit den Bentheimer Reformirten zu einem Synodalverbande an¬ geregt hatte. Bald darauf wurde die Einrichtung eines Landesconsistoriums angeordnet, dem eine außerordentlich weitgehende Competenz beigelegt wurde, so daß es in allen inneren Angelegenheiten völlig unabhängig vom Cultus¬ ministerium zu entscheiden haben sollte. — Die Ernennung der Mitglieder desselben erfolgte erst später, zugleich mit der Anordnung, daß die neue Be¬ hörde vom 18. Juni ihre Wirksamkeit zu beginnen habe. Es wurde zum Präsidenten der frühere Cultusminister Lichtenverg ernannt, der von Jahr zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/421>, abgerufen am 24.07.2024.