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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Während die spanische Krone noch immer des Königs harrt, der sie
aufzusetzen und zu tragen Muth und Neigung hat, werden die europäischen
Hauptstädte von einem Fürsten besucht, dem zwar Krone und Titel fehlen,
der . thatsächlich aber den mächtigsten souverainen angehört: der Vicekönig
von Aegypten hat Wien besucht, geht dieser Tage nach Berlin und von dort
nach Paris und London. Der Zweck dieser Reise ist in einer der letzten
Nummern dieses Blattes (vgl. Ur. 21. Aegypten und die Consulargerichts-
barkeit) berührt worden. Es handelt sich darum, die europäischen Großstaaten
mit Hülfe directen Appkls an ihre Fürsten zu dem Verzicht auf jene Capitu-
lationen zu bewegen, welche die Europäer von den ägyptischen Tribunalen
und Verwaltungsbehörden unabhängig machen und ihnen das Recht sichern,
einzig unter der Jurisdiction ihrer Consuln zu stehen. Wir haben bereits
erwähnt, daß der Sultan den europäischen Großmächten gegenüber ein ähn¬
liches Verlangen ausgesprochen hat, daß dasselbe aller Wahrscheinlichkeit nach
aber an dem Widerspruch Rußlands scheitern wird. Von den Mächten, mit
denen das ungleich niedriger stehende und wegen der Einheit seiner Be¬
völkerung sehr viel despotischer regierte Aegypten über diesen wichtigen Gegen¬
stand verhandelt, soll Frankreich, das zu Aegypten die nächsten und häufig¬
sten Beziehungen hat, den Wünschen des Vicekönigs bisher am unzugäng¬
lichsten und dadurch das Haupthinderniß für den Abschluß der mit den übrigen
Mächten angesponnenen Verhandlungen gewesen sein. Wirkönnen nur den Wunsch
wiederholen, daß Oestreich und Preußen, deren Höfe Ismael-Pascha zunächst aufge¬
sucht hat, dem von Frankreich gegebenen Beispiel nachfolgen und die ihnen gestellte
Zumuthung ablehnen. Außer den neulich von unserem Correspondenten an¬
geführten Bedenken kommt nämlich noch in Betracht, daß die politischen
Gründe, aus denen Oestreich und die Westmächte der Pforte die Aushebung
der Capitulationen in Aussicht gestellt haben, wenigstens im gegenwärtigen
Augenblick gegen das von Aegypten geforderte Zugestärldniß sprechen. Der
türkischen Regierung soll die Gerichtsbarkeit über die Fremden ertheilt wer¬
den, um ihr Ansehen im In- und Auslande zu heben, ihre Lebensfähigkeit,
an deren Erhaltung das europäische Gleichgewicht interessirt ist, zu stärken.
Aegypten gegenüber findet ein derartiges Interesse nicht statt, ja es würde eine
Herabsetzung der Pforte bedeuten, wenn man den Vicekönig von den durch die
Capitulationen gezogenen Schranken entbinden sollte, während dieselben für den
Padischah noch fortbestehen -- dessen zu geschweige", daß die europäischen
Türken nach dem einstimmigen Zeugniß aller Kenner orientalischer Zustände in
sittlicher und intellectueller Beziehung ungleich höher stehen, als die Aegypter.

Die in Rede stehende Angelegenheit hat für Oestreich und die Westmächte
ein ungleich größeres Interesse als für Preußen und Deutschland. Gerade
im gegenwärtigen Augenblick ist unsere Nation so lebhaft mit Fragen be-


Während die spanische Krone noch immer des Königs harrt, der sie
aufzusetzen und zu tragen Muth und Neigung hat, werden die europäischen
Hauptstädte von einem Fürsten besucht, dem zwar Krone und Titel fehlen,
der . thatsächlich aber den mächtigsten souverainen angehört: der Vicekönig
von Aegypten hat Wien besucht, geht dieser Tage nach Berlin und von dort
nach Paris und London. Der Zweck dieser Reise ist in einer der letzten
Nummern dieses Blattes (vgl. Ur. 21. Aegypten und die Consulargerichts-
barkeit) berührt worden. Es handelt sich darum, die europäischen Großstaaten
mit Hülfe directen Appkls an ihre Fürsten zu dem Verzicht auf jene Capitu-
lationen zu bewegen, welche die Europäer von den ägyptischen Tribunalen
und Verwaltungsbehörden unabhängig machen und ihnen das Recht sichern,
einzig unter der Jurisdiction ihrer Consuln zu stehen. Wir haben bereits
erwähnt, daß der Sultan den europäischen Großmächten gegenüber ein ähn¬
liches Verlangen ausgesprochen hat, daß dasselbe aller Wahrscheinlichkeit nach
aber an dem Widerspruch Rußlands scheitern wird. Von den Mächten, mit
denen das ungleich niedriger stehende und wegen der Einheit seiner Be¬
völkerung sehr viel despotischer regierte Aegypten über diesen wichtigen Gegen¬
stand verhandelt, soll Frankreich, das zu Aegypten die nächsten und häufig¬
sten Beziehungen hat, den Wünschen des Vicekönigs bisher am unzugäng¬
lichsten und dadurch das Haupthinderniß für den Abschluß der mit den übrigen
Mächten angesponnenen Verhandlungen gewesen sein. Wirkönnen nur den Wunsch
wiederholen, daß Oestreich und Preußen, deren Höfe Ismael-Pascha zunächst aufge¬
sucht hat, dem von Frankreich gegebenen Beispiel nachfolgen und die ihnen gestellte
Zumuthung ablehnen. Außer den neulich von unserem Correspondenten an¬
geführten Bedenken kommt nämlich noch in Betracht, daß die politischen
Gründe, aus denen Oestreich und die Westmächte der Pforte die Aushebung
der Capitulationen in Aussicht gestellt haben, wenigstens im gegenwärtigen
Augenblick gegen das von Aegypten geforderte Zugestärldniß sprechen. Der
türkischen Regierung soll die Gerichtsbarkeit über die Fremden ertheilt wer¬
den, um ihr Ansehen im In- und Auslande zu heben, ihre Lebensfähigkeit,
an deren Erhaltung das europäische Gleichgewicht interessirt ist, zu stärken.
Aegypten gegenüber findet ein derartiges Interesse nicht statt, ja es würde eine
Herabsetzung der Pforte bedeuten, wenn man den Vicekönig von den durch die
Capitulationen gezogenen Schranken entbinden sollte, während dieselben für den
Padischah noch fortbestehen — dessen zu geschweige«, daß die europäischen
Türken nach dem einstimmigen Zeugniß aller Kenner orientalischer Zustände in
sittlicher und intellectueller Beziehung ungleich höher stehen, als die Aegypter.

Die in Rede stehende Angelegenheit hat für Oestreich und die Westmächte
ein ungleich größeres Interesse als für Preußen und Deutschland. Gerade
im gegenwärtigen Augenblick ist unsere Nation so lebhaft mit Fragen be-


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[0402] Während die spanische Krone noch immer des Königs harrt, der sie aufzusetzen und zu tragen Muth und Neigung hat, werden die europäischen Hauptstädte von einem Fürsten besucht, dem zwar Krone und Titel fehlen, der . thatsächlich aber den mächtigsten souverainen angehört: der Vicekönig von Aegypten hat Wien besucht, geht dieser Tage nach Berlin und von dort nach Paris und London. Der Zweck dieser Reise ist in einer der letzten Nummern dieses Blattes (vgl. Ur. 21. Aegypten und die Consulargerichts- barkeit) berührt worden. Es handelt sich darum, die europäischen Großstaaten mit Hülfe directen Appkls an ihre Fürsten zu dem Verzicht auf jene Capitu- lationen zu bewegen, welche die Europäer von den ägyptischen Tribunalen und Verwaltungsbehörden unabhängig machen und ihnen das Recht sichern, einzig unter der Jurisdiction ihrer Consuln zu stehen. Wir haben bereits erwähnt, daß der Sultan den europäischen Großmächten gegenüber ein ähn¬ liches Verlangen ausgesprochen hat, daß dasselbe aller Wahrscheinlichkeit nach aber an dem Widerspruch Rußlands scheitern wird. Von den Mächten, mit denen das ungleich niedriger stehende und wegen der Einheit seiner Be¬ völkerung sehr viel despotischer regierte Aegypten über diesen wichtigen Gegen¬ stand verhandelt, soll Frankreich, das zu Aegypten die nächsten und häufig¬ sten Beziehungen hat, den Wünschen des Vicekönigs bisher am unzugäng¬ lichsten und dadurch das Haupthinderniß für den Abschluß der mit den übrigen Mächten angesponnenen Verhandlungen gewesen sein. Wirkönnen nur den Wunsch wiederholen, daß Oestreich und Preußen, deren Höfe Ismael-Pascha zunächst aufge¬ sucht hat, dem von Frankreich gegebenen Beispiel nachfolgen und die ihnen gestellte Zumuthung ablehnen. Außer den neulich von unserem Correspondenten an¬ geführten Bedenken kommt nämlich noch in Betracht, daß die politischen Gründe, aus denen Oestreich und die Westmächte der Pforte die Aushebung der Capitulationen in Aussicht gestellt haben, wenigstens im gegenwärtigen Augenblick gegen das von Aegypten geforderte Zugestärldniß sprechen. Der türkischen Regierung soll die Gerichtsbarkeit über die Fremden ertheilt wer¬ den, um ihr Ansehen im In- und Auslande zu heben, ihre Lebensfähigkeit, an deren Erhaltung das europäische Gleichgewicht interessirt ist, zu stärken. Aegypten gegenüber findet ein derartiges Interesse nicht statt, ja es würde eine Herabsetzung der Pforte bedeuten, wenn man den Vicekönig von den durch die Capitulationen gezogenen Schranken entbinden sollte, während dieselben für den Padischah noch fortbestehen — dessen zu geschweige«, daß die europäischen Türken nach dem einstimmigen Zeugniß aller Kenner orientalischer Zustände in sittlicher und intellectueller Beziehung ungleich höher stehen, als die Aegypter. Die in Rede stehende Angelegenheit hat für Oestreich und die Westmächte ein ungleich größeres Interesse als für Preußen und Deutschland. Gerade im gegenwärtigen Augenblick ist unsere Nation so lebhaft mit Fragen be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/402>, abgerufen am 04.07.2024.