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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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die Geduld verloren haben, wäre unerklärlich, wenn wir nicht wüßten, daß
sie sich als Mitschuldige fühlen müssen.

Ziemlich gleichzeitig mit dem diesjährigen englischen Parlament war die
Versammlung der spanischen Cortes zusammengetreten. Derselbe Zeitraum,
den das mir dem Gebrauch parlamentarischer Freiheit am genausten bekannte
Volk nöthig gehabt hat, um ein Budget aufzustellen und ein großes neues
Gesetz fertig zu bringen, hat den Spaniern genügt eine ganze Verfassung zu
Stande zu bringen, eine Verfassung, die der zurückgebliebensten aller romani¬
schen Nationen ausgedehnte Freiheit, dem Könige, der erst gefunden werden
soll, die Möglichkeit einer geordneten Regierung sichern soll. Die Sache der
Freiheit und des Constitutionalismus wäre vielleicht besser gefahren, wenn
man die Republik, zu der ein großer Theil der Bevölkerung noch immer
drängt, durch eine kurze praktische Erfahrung abgethan hätte, bevor man sich
für die beschränkte Monarchie entschied -- die Demokratie wär" mindestens
um eine Illusion ärmer, der Weg. der die Spanier zu Ruhe, Ordnung und
Bildung führen soll, vielleicht ein kürzerer geworden. Denn daß die mühsam
gerettete monarchische Sache bereits den Keim des Verderbens, alle Symptome
eines unaufhaltsamen Bürgerkrieges in sich trägt, das bestätigt jede neue
Woche spanischer Freiheit. Der Rücktritt des Colonialministers Lopez de Aval",
der sich durch eine gegen die Republik gehaltene Rede unmöglich gemacht hat,
ist allein ein unwidersprechlicher Beleg dafür, daß der Erfolg der Monarchisten
ein Pyrrhussieg gewesen ist, und daß dieselben die bevorstehende Reihe liberaler
Parteibankerotte in Spanien eröffnen werden. Eine mühsam zu Stande ge-
brachte monarchische Constitution zunächst in die Hände einer Regentschaft
legen, ist an und für sich ein wunderliches Experiment, am wunderlichsten,
wo dieser Regentschaft der Auftrag ertheilt wird ihre eigene Todtengräberin
zu sein und ihren Erben ausfindig zu machen- Die nächste Folge wird sein,
daß die in das Cabinet berufenen Führer der monarchischen Partei sich in
kürzester Frist abnutzen, und daß der Mann, der zur Rolle eines .Königs
der Wälder" (die Städte sind, nach Orenses bekanntem Ausspruch, sammt und
sonders so entschieden republikanisch gesinnt, daß für den künftigen Beherrscher
der Spanier nur die Wälder übrig bleiben) Lust hat, seine Minister nicht
unter den Anhängern, sondern unter den Gegnern der constitutionellen
Monarchie suchen muß. Von den Männern, welche bisher die Regierung
führten und Serrano in seinem Kampf gegen die Republik zur Seite standen,
ist ein beträchtlicher Theil bereits in den gefurchteren Schatten der Aemter-
losigkeit zurückgetreten, und wenn der künftige König der Spanier dereinst den
Einzug in sein Reich hält, ist Herr Prim vielleicht der einzige Repräsentant
der monarchisch-liberalen Sache, der noch nicht in die Rumpelkammer geworfen
ist, deren Thüren der fromme Wahn nur für die Jsabellinos geöffnet glaubte.


Grenzboten II. 1869. SO

die Geduld verloren haben, wäre unerklärlich, wenn wir nicht wüßten, daß
sie sich als Mitschuldige fühlen müssen.

Ziemlich gleichzeitig mit dem diesjährigen englischen Parlament war die
Versammlung der spanischen Cortes zusammengetreten. Derselbe Zeitraum,
den das mir dem Gebrauch parlamentarischer Freiheit am genausten bekannte
Volk nöthig gehabt hat, um ein Budget aufzustellen und ein großes neues
Gesetz fertig zu bringen, hat den Spaniern genügt eine ganze Verfassung zu
Stande zu bringen, eine Verfassung, die der zurückgebliebensten aller romani¬
schen Nationen ausgedehnte Freiheit, dem Könige, der erst gefunden werden
soll, die Möglichkeit einer geordneten Regierung sichern soll. Die Sache der
Freiheit und des Constitutionalismus wäre vielleicht besser gefahren, wenn
man die Republik, zu der ein großer Theil der Bevölkerung noch immer
drängt, durch eine kurze praktische Erfahrung abgethan hätte, bevor man sich
für die beschränkte Monarchie entschied — die Demokratie wär» mindestens
um eine Illusion ärmer, der Weg. der die Spanier zu Ruhe, Ordnung und
Bildung führen soll, vielleicht ein kürzerer geworden. Denn daß die mühsam
gerettete monarchische Sache bereits den Keim des Verderbens, alle Symptome
eines unaufhaltsamen Bürgerkrieges in sich trägt, das bestätigt jede neue
Woche spanischer Freiheit. Der Rücktritt des Colonialministers Lopez de Aval«,
der sich durch eine gegen die Republik gehaltene Rede unmöglich gemacht hat,
ist allein ein unwidersprechlicher Beleg dafür, daß der Erfolg der Monarchisten
ein Pyrrhussieg gewesen ist, und daß dieselben die bevorstehende Reihe liberaler
Parteibankerotte in Spanien eröffnen werden. Eine mühsam zu Stande ge-
brachte monarchische Constitution zunächst in die Hände einer Regentschaft
legen, ist an und für sich ein wunderliches Experiment, am wunderlichsten,
wo dieser Regentschaft der Auftrag ertheilt wird ihre eigene Todtengräberin
zu sein und ihren Erben ausfindig zu machen- Die nächste Folge wird sein,
daß die in das Cabinet berufenen Führer der monarchischen Partei sich in
kürzester Frist abnutzen, und daß der Mann, der zur Rolle eines .Königs
der Wälder" (die Städte sind, nach Orenses bekanntem Ausspruch, sammt und
sonders so entschieden republikanisch gesinnt, daß für den künftigen Beherrscher
der Spanier nur die Wälder übrig bleiben) Lust hat, seine Minister nicht
unter den Anhängern, sondern unter den Gegnern der constitutionellen
Monarchie suchen muß. Von den Männern, welche bisher die Regierung
führten und Serrano in seinem Kampf gegen die Republik zur Seite standen,
ist ein beträchtlicher Theil bereits in den gefurchteren Schatten der Aemter-
losigkeit zurückgetreten, und wenn der künftige König der Spanier dereinst den
Einzug in sein Reich hält, ist Herr Prim vielleicht der einzige Repräsentant
der monarchisch-liberalen Sache, der noch nicht in die Rumpelkammer geworfen
ist, deren Thüren der fromme Wahn nur für die Jsabellinos geöffnet glaubte.


Grenzboten II. 1869. SO
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/401>, abgerufen am 24.07.2024.