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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Alabama-Affaire zu einem easus dslli zwischen Großbritannien und der nord¬
amerikanischen Union zu machen und ängstliche Gemüther sagten bereits vor¬
aus, Amerikas Bruch mit England werde dem Kaiser Napoleon die er¬
wünschte Gelegenheit bieten, seine frei gewordenen Hände gegen Deutschland
zu brauchen. Diese Prophezeiung hat sich nach keiner Seite erfüllt und ob¬
gleich der Alabama-Conflict noch immer nicht gelöst ist, nimmt man an, der
überstürzende Eifer der Republikaner des Westens habe sein bestes Theil in
zornigen Worten ausgegeben und werde im entscheidenden Augenblick ver¬
nünftiger Abwägung der Interessen, welche für beide Theile auf dem Spiel
stehen, um so zugänglicher sein, -- In England spielt die vor der Thür stehende
Entscheidung über die irische Staatskirche eine zu große Rolle, als daß sie
vor den Gedanken an eine immerhin entfernte Kriegsmöglichkeit dauernd in
den Hintergrund treten könnte und nachdem der erste Eindruck der Summer'-
schen Kriegsreden vorübergegangen ist, hat man sich den inneren Fragen
wiederum mit ungelenker Aufmerksamkeit zugewandt. Daß die Gladstone'-
sche Bill im Hause der Gemeinen auf keine weiteren Schwierigkeiten stoßen
werde, gilt für ausgemacht und die Tage, in denen der kirchliche Eifer der
Lords dem ausgesprochenen Volkswillen in den Weg zu treten wagte, sind
vorüber. Daß eine Maßregel, deren Nothwendigkeit schon vor fünfzig Jahren
von dem größten Theil der Liberalen anerkannt wurde, erst in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Ausführung kommt, daran ist die irländi¬
sche Petulanz und Unmündigkeit entschieden noch mehr schuld, als die vor-
urtheilsvolle und hochmüthige Schwerfälligkeit der Briten. Der vielbe¬
sprochene Vorfall mit O'Sullivan, dem Bürgermeister Corks, hat aufs Neue
dargethan, wie wenig die Söhne der grünen Insel es verstehen, sich bei
dem herrschenden Stamme Achtung und Respect zu erwerben. Daß der
erste Vertreter eines großen städtischen Gemeinwesens den Zeitpunkt, in
welchem seinem Vaterlande die größte Rechtswohlthat erkämpft werden
soll, dazu auswählt, den politischen Meuchelmord und die verbrecherische
Thorheit der Fenier zu verherrlichen, ist an und für sich beispiellos und stellt den
loyalen Sinn Alt-Englands auf die härteste der in diesem Lande überhaupt
denkbaren Proben. Und in dem Augenblick, wo er für sein Wort männlich
einstehen soll, kriecht derselbe Mann, der vorher als Repräsentant irischen
Unabhängigkeitssinns gefeiert wurde, furchtsam zu Kreuze, die Gegner der
Gleichberechtigung seiner Landsleute erhalten reichliche Gelegenheit, über die
unverbesserliche Jungenhaftigkeit der irischen Art zu klagen und die Vergeb¬
lichkeit aller Aussöhnungsversuche mit einem Volk zu behaupten, das sich selbst
zur Unmündigkeit und Unfreiheit verurtheilt habe. Dasselbe Stück hat im
19. Jahrhundert eben so oft gespielt, wie im 18. und daß seine Zeugen nicht


Alabama-Affaire zu einem easus dslli zwischen Großbritannien und der nord¬
amerikanischen Union zu machen und ängstliche Gemüther sagten bereits vor¬
aus, Amerikas Bruch mit England werde dem Kaiser Napoleon die er¬
wünschte Gelegenheit bieten, seine frei gewordenen Hände gegen Deutschland
zu brauchen. Diese Prophezeiung hat sich nach keiner Seite erfüllt und ob¬
gleich der Alabama-Conflict noch immer nicht gelöst ist, nimmt man an, der
überstürzende Eifer der Republikaner des Westens habe sein bestes Theil in
zornigen Worten ausgegeben und werde im entscheidenden Augenblick ver¬
nünftiger Abwägung der Interessen, welche für beide Theile auf dem Spiel
stehen, um so zugänglicher sein, — In England spielt die vor der Thür stehende
Entscheidung über die irische Staatskirche eine zu große Rolle, als daß sie
vor den Gedanken an eine immerhin entfernte Kriegsmöglichkeit dauernd in
den Hintergrund treten könnte und nachdem der erste Eindruck der Summer'-
schen Kriegsreden vorübergegangen ist, hat man sich den inneren Fragen
wiederum mit ungelenker Aufmerksamkeit zugewandt. Daß die Gladstone'-
sche Bill im Hause der Gemeinen auf keine weiteren Schwierigkeiten stoßen
werde, gilt für ausgemacht und die Tage, in denen der kirchliche Eifer der
Lords dem ausgesprochenen Volkswillen in den Weg zu treten wagte, sind
vorüber. Daß eine Maßregel, deren Nothwendigkeit schon vor fünfzig Jahren
von dem größten Theil der Liberalen anerkannt wurde, erst in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Ausführung kommt, daran ist die irländi¬
sche Petulanz und Unmündigkeit entschieden noch mehr schuld, als die vor-
urtheilsvolle und hochmüthige Schwerfälligkeit der Briten. Der vielbe¬
sprochene Vorfall mit O'Sullivan, dem Bürgermeister Corks, hat aufs Neue
dargethan, wie wenig die Söhne der grünen Insel es verstehen, sich bei
dem herrschenden Stamme Achtung und Respect zu erwerben. Daß der
erste Vertreter eines großen städtischen Gemeinwesens den Zeitpunkt, in
welchem seinem Vaterlande die größte Rechtswohlthat erkämpft werden
soll, dazu auswählt, den politischen Meuchelmord und die verbrecherische
Thorheit der Fenier zu verherrlichen, ist an und für sich beispiellos und stellt den
loyalen Sinn Alt-Englands auf die härteste der in diesem Lande überhaupt
denkbaren Proben. Und in dem Augenblick, wo er für sein Wort männlich
einstehen soll, kriecht derselbe Mann, der vorher als Repräsentant irischen
Unabhängigkeitssinns gefeiert wurde, furchtsam zu Kreuze, die Gegner der
Gleichberechtigung seiner Landsleute erhalten reichliche Gelegenheit, über die
unverbesserliche Jungenhaftigkeit der irischen Art zu klagen und die Vergeb¬
lichkeit aller Aussöhnungsversuche mit einem Volk zu behaupten, das sich selbst
zur Unmündigkeit und Unfreiheit verurtheilt habe. Dasselbe Stück hat im
19. Jahrhundert eben so oft gespielt, wie im 18. und daß seine Zeugen nicht


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[0400] Alabama-Affaire zu einem easus dslli zwischen Großbritannien und der nord¬ amerikanischen Union zu machen und ängstliche Gemüther sagten bereits vor¬ aus, Amerikas Bruch mit England werde dem Kaiser Napoleon die er¬ wünschte Gelegenheit bieten, seine frei gewordenen Hände gegen Deutschland zu brauchen. Diese Prophezeiung hat sich nach keiner Seite erfüllt und ob¬ gleich der Alabama-Conflict noch immer nicht gelöst ist, nimmt man an, der überstürzende Eifer der Republikaner des Westens habe sein bestes Theil in zornigen Worten ausgegeben und werde im entscheidenden Augenblick ver¬ nünftiger Abwägung der Interessen, welche für beide Theile auf dem Spiel stehen, um so zugänglicher sein, — In England spielt die vor der Thür stehende Entscheidung über die irische Staatskirche eine zu große Rolle, als daß sie vor den Gedanken an eine immerhin entfernte Kriegsmöglichkeit dauernd in den Hintergrund treten könnte und nachdem der erste Eindruck der Summer'- schen Kriegsreden vorübergegangen ist, hat man sich den inneren Fragen wiederum mit ungelenker Aufmerksamkeit zugewandt. Daß die Gladstone'- sche Bill im Hause der Gemeinen auf keine weiteren Schwierigkeiten stoßen werde, gilt für ausgemacht und die Tage, in denen der kirchliche Eifer der Lords dem ausgesprochenen Volkswillen in den Weg zu treten wagte, sind vorüber. Daß eine Maßregel, deren Nothwendigkeit schon vor fünfzig Jahren von dem größten Theil der Liberalen anerkannt wurde, erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Ausführung kommt, daran ist die irländi¬ sche Petulanz und Unmündigkeit entschieden noch mehr schuld, als die vor- urtheilsvolle und hochmüthige Schwerfälligkeit der Briten. Der vielbe¬ sprochene Vorfall mit O'Sullivan, dem Bürgermeister Corks, hat aufs Neue dargethan, wie wenig die Söhne der grünen Insel es verstehen, sich bei dem herrschenden Stamme Achtung und Respect zu erwerben. Daß der erste Vertreter eines großen städtischen Gemeinwesens den Zeitpunkt, in welchem seinem Vaterlande die größte Rechtswohlthat erkämpft werden soll, dazu auswählt, den politischen Meuchelmord und die verbrecherische Thorheit der Fenier zu verherrlichen, ist an und für sich beispiellos und stellt den loyalen Sinn Alt-Englands auf die härteste der in diesem Lande überhaupt denkbaren Proben. Und in dem Augenblick, wo er für sein Wort männlich einstehen soll, kriecht derselbe Mann, der vorher als Repräsentant irischen Unabhängigkeitssinns gefeiert wurde, furchtsam zu Kreuze, die Gegner der Gleichberechtigung seiner Landsleute erhalten reichliche Gelegenheit, über die unverbesserliche Jungenhaftigkeit der irischen Art zu klagen und die Vergeb¬ lichkeit aller Aussöhnungsversuche mit einem Volk zu behaupten, das sich selbst zur Unmündigkeit und Unfreiheit verurtheilt habe. Dasselbe Stück hat im 19. Jahrhundert eben so oft gespielt, wie im 18. und daß seine Zeugen nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/400>, abgerufen am 24.07.2024.