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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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nach nur noch ein Häuflein Privtlegirter die Gesetze macht, reicher Leute,
welchen es nichts ausmacht, jedes Jahr zwei bis drei Monate im Landtage
und acht bis neun Monate im Reichsrathe zu sitzen, Ehrgeiziger, welche es
zu hohen Stellungen bringen wollen und etlicher Glücksritter, welche den
Parlamentarismus zum Geschäft machen. Aber sie sind höchst besorgt vor
den "Collisionen", in welche Reichsrath und Landtage gerathen könnten,
wenn der erstere sich herausnehmen wollte, den letzteren das Wahlrecht ohne
weiteres abzuerkennen. Dergleichen Collisionen sind denkbar, aber der ge¬
meine Menschenverstand sieht nicht ab, was die Regierung und den Reichs¬
rath abhalten könne, die Sache sobald wie möglich durchzukämpfen, da es
hierzu früher oder später doch kommen muß. Der wahre Grund ist nichts
Anderes, als die Scheu, irgend etwas resolut anzufassen, die alte leidige Ge¬
wohnheit, mit halben Maßregeln sich über die Verlegenheit des Tages hin¬
wegzuhelfen. Viel cousequenter ist jene Partei, welche kurz und gut von
keinem Rütteln an der Verfassung wissen mag, die alte centralistische Partei,
welche aus einer Position nach der anderen verdrängt worden ist und in
jeder sich mit der gleichen Hartnäckigkeit und Verblendung zu behaupten
suchte, wenn dieselbe längst unhaltbar geworden war -- im Grunde die
einzige Partei, welche diesen Namen verdient, viele ehrliche Männer und
wahre Patrioten, aber wenig politische Köpfe in sich begreift.

Es ist dies die Partei, welche mit vollem Rechte in jedem Fortschritt auf
dem Wege zum Föderalismus einen Rückschritt in der Cultur, einen Verzicht
auf die natürliche Mission des Deutschthums in Oesterreich sieht. Die
Wahrheit dieser Ansicht fängt auch außerhalb des Landes an durchzudringen.
und wenn einmal den "Nationaluäten" der letzte Vorwand sich über Unter¬
drückung zu beklagen, genommen sein wird, wird die Welt mit Staunen und
wahrscheinlich mit Schrecken erkennen, wem sie eigentlich in dem Kampfe
gegen den österreichischen Gesammtstaat ihre Sympathien schenkte. In Un¬
garn kommt es bereits allmählig zu Tage. Nie wurden die Slovaken,
Rumänen, Serben :c. in ihrer nationalen Existenz von den Deutschen so
direct bedroht wie gegenwärtig von den Magyaren; norddeutsche Kaufleute,
welche in dem kornreichen Jahre 1867 mit Ungarn Geschäfte machten, er¬
zählen mit Entsetzen, welche Erfahrungen sie mit der ungarischen Zuverlässig¬
keit im Handel und Wandel und mit der ungarischen Rechtspflege gemacht
haben; reelle Versicherungsgesellschaften lassen sich durch die glänzendsten
Aussichten nicht zu Verträgen mit Ungarn verlocken und das, was die
Stärke der Ungarn in der Politik ausmacht, die straffe Parteiorganisation,
die unbedingte Unterordnung unter die Führer, das Einzwängen aller geistigen
und materiellen Interessen in die nationale Uniform-- Alles das verräth doch
neben sehr schätzenswerthen Eigenschaften auch einen Grad von Beschränktheit,


Grenzboten II. I8K". 48

nach nur noch ein Häuflein Privtlegirter die Gesetze macht, reicher Leute,
welchen es nichts ausmacht, jedes Jahr zwei bis drei Monate im Landtage
und acht bis neun Monate im Reichsrathe zu sitzen, Ehrgeiziger, welche es
zu hohen Stellungen bringen wollen und etlicher Glücksritter, welche den
Parlamentarismus zum Geschäft machen. Aber sie sind höchst besorgt vor
den „Collisionen", in welche Reichsrath und Landtage gerathen könnten,
wenn der erstere sich herausnehmen wollte, den letzteren das Wahlrecht ohne
weiteres abzuerkennen. Dergleichen Collisionen sind denkbar, aber der ge¬
meine Menschenverstand sieht nicht ab, was die Regierung und den Reichs¬
rath abhalten könne, die Sache sobald wie möglich durchzukämpfen, da es
hierzu früher oder später doch kommen muß. Der wahre Grund ist nichts
Anderes, als die Scheu, irgend etwas resolut anzufassen, die alte leidige Ge¬
wohnheit, mit halben Maßregeln sich über die Verlegenheit des Tages hin¬
wegzuhelfen. Viel cousequenter ist jene Partei, welche kurz und gut von
keinem Rütteln an der Verfassung wissen mag, die alte centralistische Partei,
welche aus einer Position nach der anderen verdrängt worden ist und in
jeder sich mit der gleichen Hartnäckigkeit und Verblendung zu behaupten
suchte, wenn dieselbe längst unhaltbar geworden war — im Grunde die
einzige Partei, welche diesen Namen verdient, viele ehrliche Männer und
wahre Patrioten, aber wenig politische Köpfe in sich begreift.

Es ist dies die Partei, welche mit vollem Rechte in jedem Fortschritt auf
dem Wege zum Föderalismus einen Rückschritt in der Cultur, einen Verzicht
auf die natürliche Mission des Deutschthums in Oesterreich sieht. Die
Wahrheit dieser Ansicht fängt auch außerhalb des Landes an durchzudringen.
und wenn einmal den „Nationaluäten" der letzte Vorwand sich über Unter¬
drückung zu beklagen, genommen sein wird, wird die Welt mit Staunen und
wahrscheinlich mit Schrecken erkennen, wem sie eigentlich in dem Kampfe
gegen den österreichischen Gesammtstaat ihre Sympathien schenkte. In Un¬
garn kommt es bereits allmählig zu Tage. Nie wurden die Slovaken,
Rumänen, Serben :c. in ihrer nationalen Existenz von den Deutschen so
direct bedroht wie gegenwärtig von den Magyaren; norddeutsche Kaufleute,
welche in dem kornreichen Jahre 1867 mit Ungarn Geschäfte machten, er¬
zählen mit Entsetzen, welche Erfahrungen sie mit der ungarischen Zuverlässig¬
keit im Handel und Wandel und mit der ungarischen Rechtspflege gemacht
haben; reelle Versicherungsgesellschaften lassen sich durch die glänzendsten
Aussichten nicht zu Verträgen mit Ungarn verlocken und das, was die
Stärke der Ungarn in der Politik ausmacht, die straffe Parteiorganisation,
die unbedingte Unterordnung unter die Führer, das Einzwängen aller geistigen
und materiellen Interessen in die nationale Uniform— Alles das verräth doch
neben sehr schätzenswerthen Eigenschaften auch einen Grad von Beschränktheit,


Grenzboten II. I8K». 48
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[0385] nach nur noch ein Häuflein Privtlegirter die Gesetze macht, reicher Leute, welchen es nichts ausmacht, jedes Jahr zwei bis drei Monate im Landtage und acht bis neun Monate im Reichsrathe zu sitzen, Ehrgeiziger, welche es zu hohen Stellungen bringen wollen und etlicher Glücksritter, welche den Parlamentarismus zum Geschäft machen. Aber sie sind höchst besorgt vor den „Collisionen", in welche Reichsrath und Landtage gerathen könnten, wenn der erstere sich herausnehmen wollte, den letzteren das Wahlrecht ohne weiteres abzuerkennen. Dergleichen Collisionen sind denkbar, aber der ge¬ meine Menschenverstand sieht nicht ab, was die Regierung und den Reichs¬ rath abhalten könne, die Sache sobald wie möglich durchzukämpfen, da es hierzu früher oder später doch kommen muß. Der wahre Grund ist nichts Anderes, als die Scheu, irgend etwas resolut anzufassen, die alte leidige Ge¬ wohnheit, mit halben Maßregeln sich über die Verlegenheit des Tages hin¬ wegzuhelfen. Viel cousequenter ist jene Partei, welche kurz und gut von keinem Rütteln an der Verfassung wissen mag, die alte centralistische Partei, welche aus einer Position nach der anderen verdrängt worden ist und in jeder sich mit der gleichen Hartnäckigkeit und Verblendung zu behaupten suchte, wenn dieselbe längst unhaltbar geworden war — im Grunde die einzige Partei, welche diesen Namen verdient, viele ehrliche Männer und wahre Patrioten, aber wenig politische Köpfe in sich begreift. Es ist dies die Partei, welche mit vollem Rechte in jedem Fortschritt auf dem Wege zum Föderalismus einen Rückschritt in der Cultur, einen Verzicht auf die natürliche Mission des Deutschthums in Oesterreich sieht. Die Wahrheit dieser Ansicht fängt auch außerhalb des Landes an durchzudringen. und wenn einmal den „Nationaluäten" der letzte Vorwand sich über Unter¬ drückung zu beklagen, genommen sein wird, wird die Welt mit Staunen und wahrscheinlich mit Schrecken erkennen, wem sie eigentlich in dem Kampfe gegen den österreichischen Gesammtstaat ihre Sympathien schenkte. In Un¬ garn kommt es bereits allmählig zu Tage. Nie wurden die Slovaken, Rumänen, Serben :c. in ihrer nationalen Existenz von den Deutschen so direct bedroht wie gegenwärtig von den Magyaren; norddeutsche Kaufleute, welche in dem kornreichen Jahre 1867 mit Ungarn Geschäfte machten, er¬ zählen mit Entsetzen, welche Erfahrungen sie mit der ungarischen Zuverlässig¬ keit im Handel und Wandel und mit der ungarischen Rechtspflege gemacht haben; reelle Versicherungsgesellschaften lassen sich durch die glänzendsten Aussichten nicht zu Verträgen mit Ungarn verlocken und das, was die Stärke der Ungarn in der Politik ausmacht, die straffe Parteiorganisation, die unbedingte Unterordnung unter die Führer, das Einzwängen aller geistigen und materiellen Interessen in die nationale Uniform— Alles das verräth doch neben sehr schätzenswerthen Eigenschaften auch einen Grad von Beschränktheit, Grenzboten II. I8K». 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/385>, abgerufen am 24.07.2024.