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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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eine Hälfte des künftigen Abgeordnetenhauses aus unmittelbaren Wahlen
hervorgegangen sein, die andere das Mandat vom Landtage haben. Und
für diese letzteren Länder bestände die Abhülfe der allgemein erkannten Uebel¬
stände der Wahlordnungen in der Verdoppelung derselben. Man vergegen¬
wärtige sich nur den Mechanismus, Der tiroler Landtag z. B. gibt 68 Mit¬
glieder, nämlich den Erzbischof von Salzburg (welcher natürlich auch einen
Sitz im salzburger Landtage innehat), die Bischöfe von Trient und Bozen,
den Rector der Univerfirät Innsbruck, vier von Aebten und Propsten aus
ihrer Mitte gewählte Abgeordnete, zehn Abgeordnete des adligen großen
Grundbesitzes, dreizehn Abgeordnete von 35 Städten und Märkten, drei von
den Handelskammern, vierunddreißig von den übrigen Gemeinden des Lan¬
des. Hier haben wir auf jeden Fall sieben Geistliche; die Stifter, welche
Güter mit mindestens fünfzig Gulden Steuerertrcigniß besitzen, haben außer¬
dem actives und passives Wahlrecht für die Gruppe des großen Grund¬
besitzes, und rechnet man den großen Einfluß der Geistlichkeit auf die Land¬
bevölkerung hinzu, so leuchtet ein, weshalb die Vertreter der Städte und der
Handelskammern stets in der Minderheit bleiben. Dieser Landtag deputirt
in den Reichsrath nach der jetzigen Verfassung zehn Mitglieder, von welchen
drei aus der combinirten Gruppe der Kirchenfürsten und der Großgrund¬
besitzer hervorgehen müssen, zwei aus den Vertretern der Städte und den
Handelskammern, fünf aus den Abgeordneten der Landgemeinden. Aber
diese Gruppen wählen nicht etwa unter sich, sondern die Mehrheit des Land¬
tages wählt aus ihnen. Angenommen, dieselbe wollte mit der größten Unpar¬
teilichkeit zu Werke gehen, so könnte sie doch nicht unbedingt die befähigtsten
und tüchtigsten Mitglieder des Landtags in den Reichsrath senden, sondern
müßte sich an die obige höchst willkürliche Classtfication halten. Und ähn¬
lich gestaltet sich das Verhältniß in allen Ländern. Der Ehrgeiz der Bauern,
Leute ihres Standes zu Vertretern zu wählen, hat, wie das überall beobachtet
werden wird, die erste Sitzungsperiode nicht überdauert, sie sind passiv ge¬
worden oder geben ihre Stimmen den reichen Grundbesitzern, welche sich um
dieselben bewerben, und was diese Schmerlingsche "Interessenvertretung"
werth ist, hat das Land in allen Steuerfragen bitter empfunden. Die Städte
liefern die Arbeiter und Redner der Versammlung, aber der Grundbesitz
sorgt dafür, die Lasten von sich ab auf den beweglichen Besitz und das auf
persönlicher Arbeit beruhende Einkommen abzuwälzen. Die Verwerflichkeit
dieses Systems ist mit Händen zu greifen.

Das haben auch die Organe der Regierung durchaus nicht geleugnet,
aber ihrer Behauptung zufolge ist es politische Weisheit, dem Hunde den
Schwanz "zitzerlweis" anstatt auf einmal abzuschneiden. Sie erkennen an,
daß die jetzige Vertretung keine wahre Volksvertretung ist, daß nach und


eine Hälfte des künftigen Abgeordnetenhauses aus unmittelbaren Wahlen
hervorgegangen sein, die andere das Mandat vom Landtage haben. Und
für diese letzteren Länder bestände die Abhülfe der allgemein erkannten Uebel¬
stände der Wahlordnungen in der Verdoppelung derselben. Man vergegen¬
wärtige sich nur den Mechanismus, Der tiroler Landtag z. B. gibt 68 Mit¬
glieder, nämlich den Erzbischof von Salzburg (welcher natürlich auch einen
Sitz im salzburger Landtage innehat), die Bischöfe von Trient und Bozen,
den Rector der Univerfirät Innsbruck, vier von Aebten und Propsten aus
ihrer Mitte gewählte Abgeordnete, zehn Abgeordnete des adligen großen
Grundbesitzes, dreizehn Abgeordnete von 35 Städten und Märkten, drei von
den Handelskammern, vierunddreißig von den übrigen Gemeinden des Lan¬
des. Hier haben wir auf jeden Fall sieben Geistliche; die Stifter, welche
Güter mit mindestens fünfzig Gulden Steuerertrcigniß besitzen, haben außer¬
dem actives und passives Wahlrecht für die Gruppe des großen Grund¬
besitzes, und rechnet man den großen Einfluß der Geistlichkeit auf die Land¬
bevölkerung hinzu, so leuchtet ein, weshalb die Vertreter der Städte und der
Handelskammern stets in der Minderheit bleiben. Dieser Landtag deputirt
in den Reichsrath nach der jetzigen Verfassung zehn Mitglieder, von welchen
drei aus der combinirten Gruppe der Kirchenfürsten und der Großgrund¬
besitzer hervorgehen müssen, zwei aus den Vertretern der Städte und den
Handelskammern, fünf aus den Abgeordneten der Landgemeinden. Aber
diese Gruppen wählen nicht etwa unter sich, sondern die Mehrheit des Land¬
tages wählt aus ihnen. Angenommen, dieselbe wollte mit der größten Unpar¬
teilichkeit zu Werke gehen, so könnte sie doch nicht unbedingt die befähigtsten
und tüchtigsten Mitglieder des Landtags in den Reichsrath senden, sondern
müßte sich an die obige höchst willkürliche Classtfication halten. Und ähn¬
lich gestaltet sich das Verhältniß in allen Ländern. Der Ehrgeiz der Bauern,
Leute ihres Standes zu Vertretern zu wählen, hat, wie das überall beobachtet
werden wird, die erste Sitzungsperiode nicht überdauert, sie sind passiv ge¬
worden oder geben ihre Stimmen den reichen Grundbesitzern, welche sich um
dieselben bewerben, und was diese Schmerlingsche „Interessenvertretung"
werth ist, hat das Land in allen Steuerfragen bitter empfunden. Die Städte
liefern die Arbeiter und Redner der Versammlung, aber der Grundbesitz
sorgt dafür, die Lasten von sich ab auf den beweglichen Besitz und das auf
persönlicher Arbeit beruhende Einkommen abzuwälzen. Die Verwerflichkeit
dieses Systems ist mit Händen zu greifen.

Das haben auch die Organe der Regierung durchaus nicht geleugnet,
aber ihrer Behauptung zufolge ist es politische Weisheit, dem Hunde den
Schwanz „zitzerlweis" anstatt auf einmal abzuschneiden. Sie erkennen an,
daß die jetzige Vertretung keine wahre Volksvertretung ist, daß nach und


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[0384] eine Hälfte des künftigen Abgeordnetenhauses aus unmittelbaren Wahlen hervorgegangen sein, die andere das Mandat vom Landtage haben. Und für diese letzteren Länder bestände die Abhülfe der allgemein erkannten Uebel¬ stände der Wahlordnungen in der Verdoppelung derselben. Man vergegen¬ wärtige sich nur den Mechanismus, Der tiroler Landtag z. B. gibt 68 Mit¬ glieder, nämlich den Erzbischof von Salzburg (welcher natürlich auch einen Sitz im salzburger Landtage innehat), die Bischöfe von Trient und Bozen, den Rector der Univerfirät Innsbruck, vier von Aebten und Propsten aus ihrer Mitte gewählte Abgeordnete, zehn Abgeordnete des adligen großen Grundbesitzes, dreizehn Abgeordnete von 35 Städten und Märkten, drei von den Handelskammern, vierunddreißig von den übrigen Gemeinden des Lan¬ des. Hier haben wir auf jeden Fall sieben Geistliche; die Stifter, welche Güter mit mindestens fünfzig Gulden Steuerertrcigniß besitzen, haben außer¬ dem actives und passives Wahlrecht für die Gruppe des großen Grund¬ besitzes, und rechnet man den großen Einfluß der Geistlichkeit auf die Land¬ bevölkerung hinzu, so leuchtet ein, weshalb die Vertreter der Städte und der Handelskammern stets in der Minderheit bleiben. Dieser Landtag deputirt in den Reichsrath nach der jetzigen Verfassung zehn Mitglieder, von welchen drei aus der combinirten Gruppe der Kirchenfürsten und der Großgrund¬ besitzer hervorgehen müssen, zwei aus den Vertretern der Städte und den Handelskammern, fünf aus den Abgeordneten der Landgemeinden. Aber diese Gruppen wählen nicht etwa unter sich, sondern die Mehrheit des Land¬ tages wählt aus ihnen. Angenommen, dieselbe wollte mit der größten Unpar¬ teilichkeit zu Werke gehen, so könnte sie doch nicht unbedingt die befähigtsten und tüchtigsten Mitglieder des Landtags in den Reichsrath senden, sondern müßte sich an die obige höchst willkürliche Classtfication halten. Und ähn¬ lich gestaltet sich das Verhältniß in allen Ländern. Der Ehrgeiz der Bauern, Leute ihres Standes zu Vertretern zu wählen, hat, wie das überall beobachtet werden wird, die erste Sitzungsperiode nicht überdauert, sie sind passiv ge¬ worden oder geben ihre Stimmen den reichen Grundbesitzern, welche sich um dieselben bewerben, und was diese Schmerlingsche „Interessenvertretung" werth ist, hat das Land in allen Steuerfragen bitter empfunden. Die Städte liefern die Arbeiter und Redner der Versammlung, aber der Grundbesitz sorgt dafür, die Lasten von sich ab auf den beweglichen Besitz und das auf persönlicher Arbeit beruhende Einkommen abzuwälzen. Die Verwerflichkeit dieses Systems ist mit Händen zu greifen. Das haben auch die Organe der Regierung durchaus nicht geleugnet, aber ihrer Behauptung zufolge ist es politische Weisheit, dem Hunde den Schwanz „zitzerlweis" anstatt auf einmal abzuschneiden. Sie erkennen an, daß die jetzige Vertretung keine wahre Volksvertretung ist, daß nach und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/384>, abgerufen am 24.07.2024.