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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Verhältnisse führten. Das ungestüme Drängen nach dem Bruche mit der
mächtigsten Schranke des Fortschritts, dem Concordat, wurde in den ma߬
gebenden Kreisen sehr übel vermerkt, man fügte sich aber endlich doch in das
Unvermeidliche mit dem guten Vorsatze, in der Nachgiebigkeit nicht zu weit
zu gehen. Das Concordat bestand noch fort als Vertrag, der nur durch die
Zeitumstände in einigen Punkten unerfüllbar geworden.

Die Folge davon war, daß sich der Trotz der rebellischen Bischöfe un¬
gestraft gegen das neue Ehe- und Schulgesetz erheben konnte, und ihre con-
cordatliche Immunität ohngeachtet einzelner das Strafverfahren einleitender
Entscheidungen nach wie vor gewahrt wurde. Die Anmaßung des Papstes, der
die östreichischen Staatsgesetze als ungültig und abscheulich erklärte, durfte
von clericalen Zeitungen, so wie auch in Rede und Schrift von den Bi¬
schöfen öffentlich als der endgültige Ausspruch der höchsten und unfehlbaren
Autorität auf Erden den Völkern Oestreichs verkündet und der Widerstand
gegen die Durchführung der Gesetze als Pflicht jedes ehrlichen Christen hingestellt
werden. Die Regierung ließ sich den Trotz bieten, daß die Ausstellung von
pfarramtlichen Zeugnissen behufs der Nothcivilehe oder Scheidung von Tisch
und Bett, und die Aushändigung der Ehegerichtsacten vom Episkopat ver¬
weigert wurde, und es ist nicht bekannt, daß dieses dafür eine wirkliche Buße
erleiden mußte. In Tirol steigerte sich die Widersetzlichkeit gegen die Schul¬
gesetze bis zum Hohne, so daß die Landtagsmajorität auf Antrieb des Brixener
Bischofs ein Schulgesetz beschloß, das den Landesbischöfen noch größere
Rechte einräumen sollte, als selbst das Concordat. Das Ministerium blieb
dabei monatelang unthätig, und als endlich am 10. Februar d. I. eine
provisorische Verordnung über die Durchführung der Schulaufsicht erschien
und die gottesfürchtigen Geistlichen die Religionsprüfungen allenthalben ab¬
gesondert für sich vornahmen, ließ man sie vollends gewähren, als ob eben
dies die neue Ordnung der Dinge sei, die das Schulgesetz eingeführt. Aber
auch mit der neuen Organisirung der Verwaltung der Justiz erging es nicht
besser, wiewohl der Staat bei der Handhabung der neuen Gesetze zumeist
auf die Unterstützung seiner Beamten angewiesen ist. und ein clericaler Be¬
amter nun und nimmermehr seine Ueberzeugung ändern wird. Wir wollen
uns hier der Genauigkeit halber nur an die Vorgänge in unserer nächsten
Nähe halten, wiewohl es auch anderswo nicht an ähnlichen Beispielen
fehlen dürfte.

Schon die Art und Weise, wie die Stellen in der unmittelbaren Umgebung
des Statthalters von Tirol besetzt wurden, mußte nicht geringe Verwunderung
erregen. Zu seinem Stellvertreter wurde ein Graf berufen, der zufällig seine
clericalen Sympathien verrieth, als er irrthümlich bei seinem ersten Besuche
den Vicebürgermeister für den ultramontanen, später abgetretenen Bürger-


Verhältnisse führten. Das ungestüme Drängen nach dem Bruche mit der
mächtigsten Schranke des Fortschritts, dem Concordat, wurde in den ma߬
gebenden Kreisen sehr übel vermerkt, man fügte sich aber endlich doch in das
Unvermeidliche mit dem guten Vorsatze, in der Nachgiebigkeit nicht zu weit
zu gehen. Das Concordat bestand noch fort als Vertrag, der nur durch die
Zeitumstände in einigen Punkten unerfüllbar geworden.

Die Folge davon war, daß sich der Trotz der rebellischen Bischöfe un¬
gestraft gegen das neue Ehe- und Schulgesetz erheben konnte, und ihre con-
cordatliche Immunität ohngeachtet einzelner das Strafverfahren einleitender
Entscheidungen nach wie vor gewahrt wurde. Die Anmaßung des Papstes, der
die östreichischen Staatsgesetze als ungültig und abscheulich erklärte, durfte
von clericalen Zeitungen, so wie auch in Rede und Schrift von den Bi¬
schöfen öffentlich als der endgültige Ausspruch der höchsten und unfehlbaren
Autorität auf Erden den Völkern Oestreichs verkündet und der Widerstand
gegen die Durchführung der Gesetze als Pflicht jedes ehrlichen Christen hingestellt
werden. Die Regierung ließ sich den Trotz bieten, daß die Ausstellung von
pfarramtlichen Zeugnissen behufs der Nothcivilehe oder Scheidung von Tisch
und Bett, und die Aushändigung der Ehegerichtsacten vom Episkopat ver¬
weigert wurde, und es ist nicht bekannt, daß dieses dafür eine wirkliche Buße
erleiden mußte. In Tirol steigerte sich die Widersetzlichkeit gegen die Schul¬
gesetze bis zum Hohne, so daß die Landtagsmajorität auf Antrieb des Brixener
Bischofs ein Schulgesetz beschloß, das den Landesbischöfen noch größere
Rechte einräumen sollte, als selbst das Concordat. Das Ministerium blieb
dabei monatelang unthätig, und als endlich am 10. Februar d. I. eine
provisorische Verordnung über die Durchführung der Schulaufsicht erschien
und die gottesfürchtigen Geistlichen die Religionsprüfungen allenthalben ab¬
gesondert für sich vornahmen, ließ man sie vollends gewähren, als ob eben
dies die neue Ordnung der Dinge sei, die das Schulgesetz eingeführt. Aber
auch mit der neuen Organisirung der Verwaltung der Justiz erging es nicht
besser, wiewohl der Staat bei der Handhabung der neuen Gesetze zumeist
auf die Unterstützung seiner Beamten angewiesen ist. und ein clericaler Be¬
amter nun und nimmermehr seine Ueberzeugung ändern wird. Wir wollen
uns hier der Genauigkeit halber nur an die Vorgänge in unserer nächsten
Nähe halten, wiewohl es auch anderswo nicht an ähnlichen Beispielen
fehlen dürfte.

Schon die Art und Weise, wie die Stellen in der unmittelbaren Umgebung
des Statthalters von Tirol besetzt wurden, mußte nicht geringe Verwunderung
erregen. Zu seinem Stellvertreter wurde ein Graf berufen, der zufällig seine
clericalen Sympathien verrieth, als er irrthümlich bei seinem ersten Besuche
den Vicebürgermeister für den ultramontanen, später abgetretenen Bürger-


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[0356] Verhältnisse führten. Das ungestüme Drängen nach dem Bruche mit der mächtigsten Schranke des Fortschritts, dem Concordat, wurde in den ma߬ gebenden Kreisen sehr übel vermerkt, man fügte sich aber endlich doch in das Unvermeidliche mit dem guten Vorsatze, in der Nachgiebigkeit nicht zu weit zu gehen. Das Concordat bestand noch fort als Vertrag, der nur durch die Zeitumstände in einigen Punkten unerfüllbar geworden. Die Folge davon war, daß sich der Trotz der rebellischen Bischöfe un¬ gestraft gegen das neue Ehe- und Schulgesetz erheben konnte, und ihre con- cordatliche Immunität ohngeachtet einzelner das Strafverfahren einleitender Entscheidungen nach wie vor gewahrt wurde. Die Anmaßung des Papstes, der die östreichischen Staatsgesetze als ungültig und abscheulich erklärte, durfte von clericalen Zeitungen, so wie auch in Rede und Schrift von den Bi¬ schöfen öffentlich als der endgültige Ausspruch der höchsten und unfehlbaren Autorität auf Erden den Völkern Oestreichs verkündet und der Widerstand gegen die Durchführung der Gesetze als Pflicht jedes ehrlichen Christen hingestellt werden. Die Regierung ließ sich den Trotz bieten, daß die Ausstellung von pfarramtlichen Zeugnissen behufs der Nothcivilehe oder Scheidung von Tisch und Bett, und die Aushändigung der Ehegerichtsacten vom Episkopat ver¬ weigert wurde, und es ist nicht bekannt, daß dieses dafür eine wirkliche Buße erleiden mußte. In Tirol steigerte sich die Widersetzlichkeit gegen die Schul¬ gesetze bis zum Hohne, so daß die Landtagsmajorität auf Antrieb des Brixener Bischofs ein Schulgesetz beschloß, das den Landesbischöfen noch größere Rechte einräumen sollte, als selbst das Concordat. Das Ministerium blieb dabei monatelang unthätig, und als endlich am 10. Februar d. I. eine provisorische Verordnung über die Durchführung der Schulaufsicht erschien und die gottesfürchtigen Geistlichen die Religionsprüfungen allenthalben ab¬ gesondert für sich vornahmen, ließ man sie vollends gewähren, als ob eben dies die neue Ordnung der Dinge sei, die das Schulgesetz eingeführt. Aber auch mit der neuen Organisirung der Verwaltung der Justiz erging es nicht besser, wiewohl der Staat bei der Handhabung der neuen Gesetze zumeist auf die Unterstützung seiner Beamten angewiesen ist. und ein clericaler Be¬ amter nun und nimmermehr seine Ueberzeugung ändern wird. Wir wollen uns hier der Genauigkeit halber nur an die Vorgänge in unserer nächsten Nähe halten, wiewohl es auch anderswo nicht an ähnlichen Beispielen fehlen dürfte. Schon die Art und Weise, wie die Stellen in der unmittelbaren Umgebung des Statthalters von Tirol besetzt wurden, mußte nicht geringe Verwunderung erregen. Zu seinem Stellvertreter wurde ein Graf berufen, der zufällig seine clericalen Sympathien verrieth, als er irrthümlich bei seinem ersten Besuche den Vicebürgermeister für den ultramontanen, später abgetretenen Bürger-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/356>, abgerufen am 04.07.2024.