Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.darüber wurde groß, der Credit des Staates war gefährdeter als je; gleichwohl 44*
darüber wurde groß, der Credit des Staates war gefährdeter als je; gleichwohl 44*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0355" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121042"/> <p xml:id="ID_1087" prev="#ID_1086" next="#ID_1088"> darüber wurde groß, der Credit des Staates war gefährdeter als je; gleichwohl<lb/> vermochte man in Wien der beschränkten Auffassung des Octoberpatentes nicht<lb/> zu entsagen. Die Februarverfassung bewegte sich grundsätzlich innerhalb der¬<lb/> selben Linien, der schon früher vorgesehene, aber erst von ihr ins Leben ge¬<lb/> rufene Reichsrath hatte zunächst nur die Bestimmung eines Rechnungshofes,<lb/> ihm war weder ein Einfluß auf auswärtige Angelegenheiten, noch die Fest¬<lb/> stellung der zum Heere abzustellenden Mannschaftszahl, ja nicht einmal<lb/> die jährliche Bewilligung der einzusehenden Steuern eingeräumt, sein Wir¬<lb/> kungskreis in allen inneren Fragen lag zunächst in den Händen der Regie¬<lb/> rung und war noch außerdem durch die Competenz der Landtage, welche ihr<lb/> seudales Vorbild nicht verleugneten, vielfach beschränkt. Das Volk nahm aber<lb/> auch diese kargen Zugeständnisse mit dankbarer Anerkennung auf; einerseits<lb/> war es doch ein Gewinn gegen die polnische Ständewirthschaft Goluchowsky's,<lb/> andererseits vertraute man den einschmeichelnden Worten des neuen Staats¬<lb/> ministeriums Schmerling, das mit der schwungvollen Devise: „Wissenschaft ist<lb/> Macht" den Beginn einer neuen Aera verkündete. Leider erfüllten sich die<lb/> heißblütigen Hoffnungen nicht, der östreichische Bürger glaubte inne zu werden,<lb/> daß Schmerling in geheimem Einverständniß mit Cardinal Rauscher und an¬<lb/> deren Koryphäen der Reaction nicht die Freiheit selber, sondern nur den<lb/> Schein davon wollte, und nachdem er nach fünf Jahren unthätigen Zu-<lb/> wartens auch das Vertrauen der Freunde des gemäßigten Fortschrittes ver¬<lb/> loren, schien dem Hofe die Zeit gekommen, sich seiner ohne Gefahr eines irgend<lb/> nennbaren Widerspruchs zu entledigen und mit offenem Visir die Fahne der<lb/> entschiedensten Reaction aufzupflanzen. Das Septemberpatent seines Nachfolgers<lb/> Belcredi sistirte die Verfassung, um die Landtage als die einzigen gesetzlichen<lb/> Vertreter der Völker Oestreichs einzuführen; es beabsichtigte nichts Geringeres,<lb/> als mit der Februarverfassung völlig aufzuräumen. Selbst der nach langem<lb/> Zögern anfangs Januar 1867 octroyirte „außerordentliche" Reichsrath hatte<lb/> keinen anderen Zweck, als die factische Beseitigung des ordentlichen Reichs¬<lb/> tags durch neue auf allgemeines Commando aufgedrungene reactionaire<lb/> Volksvertreter noch vor aller Welt feierlich zu besiegeln. Und wieder war<lb/> es der tiefer als je gesunkene Staatscredit wie die Furcht vor dem Un¬<lb/> willen der deutschen Bevölkerung Oestreichs, die es dem Baron Beust er¬<lb/> möglichten, seinen schwachsinnigen Rivalen mit einem Male über Nacht aus<lb/> dem Amt zu entfernen. Man stand nun von neuem vor einem Anlauf zu<lb/> freisinnigen Reformen, die unter dem Einfluß der öffentlichen Entrüstung<lb/> über den von Belcredi versuchten Verfassungsbruch, den clericalen und<lb/> feudalen Hochmuth zu einer Erweiterung der Verfassung und endlich zur<lb/> Abschaffung des concordatlichen Ehegesetzes, Feststellung des Verhältnisses der<lb/> Kirche zur Schule und einigen Anordnungen über die interconfessionellen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 44*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0355]
darüber wurde groß, der Credit des Staates war gefährdeter als je; gleichwohl
vermochte man in Wien der beschränkten Auffassung des Octoberpatentes nicht
zu entsagen. Die Februarverfassung bewegte sich grundsätzlich innerhalb der¬
selben Linien, der schon früher vorgesehene, aber erst von ihr ins Leben ge¬
rufene Reichsrath hatte zunächst nur die Bestimmung eines Rechnungshofes,
ihm war weder ein Einfluß auf auswärtige Angelegenheiten, noch die Fest¬
stellung der zum Heere abzustellenden Mannschaftszahl, ja nicht einmal
die jährliche Bewilligung der einzusehenden Steuern eingeräumt, sein Wir¬
kungskreis in allen inneren Fragen lag zunächst in den Händen der Regie¬
rung und war noch außerdem durch die Competenz der Landtage, welche ihr
seudales Vorbild nicht verleugneten, vielfach beschränkt. Das Volk nahm aber
auch diese kargen Zugeständnisse mit dankbarer Anerkennung auf; einerseits
war es doch ein Gewinn gegen die polnische Ständewirthschaft Goluchowsky's,
andererseits vertraute man den einschmeichelnden Worten des neuen Staats¬
ministeriums Schmerling, das mit der schwungvollen Devise: „Wissenschaft ist
Macht" den Beginn einer neuen Aera verkündete. Leider erfüllten sich die
heißblütigen Hoffnungen nicht, der östreichische Bürger glaubte inne zu werden,
daß Schmerling in geheimem Einverständniß mit Cardinal Rauscher und an¬
deren Koryphäen der Reaction nicht die Freiheit selber, sondern nur den
Schein davon wollte, und nachdem er nach fünf Jahren unthätigen Zu-
wartens auch das Vertrauen der Freunde des gemäßigten Fortschrittes ver¬
loren, schien dem Hofe die Zeit gekommen, sich seiner ohne Gefahr eines irgend
nennbaren Widerspruchs zu entledigen und mit offenem Visir die Fahne der
entschiedensten Reaction aufzupflanzen. Das Septemberpatent seines Nachfolgers
Belcredi sistirte die Verfassung, um die Landtage als die einzigen gesetzlichen
Vertreter der Völker Oestreichs einzuführen; es beabsichtigte nichts Geringeres,
als mit der Februarverfassung völlig aufzuräumen. Selbst der nach langem
Zögern anfangs Januar 1867 octroyirte „außerordentliche" Reichsrath hatte
keinen anderen Zweck, als die factische Beseitigung des ordentlichen Reichs¬
tags durch neue auf allgemeines Commando aufgedrungene reactionaire
Volksvertreter noch vor aller Welt feierlich zu besiegeln. Und wieder war
es der tiefer als je gesunkene Staatscredit wie die Furcht vor dem Un¬
willen der deutschen Bevölkerung Oestreichs, die es dem Baron Beust er¬
möglichten, seinen schwachsinnigen Rivalen mit einem Male über Nacht aus
dem Amt zu entfernen. Man stand nun von neuem vor einem Anlauf zu
freisinnigen Reformen, die unter dem Einfluß der öffentlichen Entrüstung
über den von Belcredi versuchten Verfassungsbruch, den clericalen und
feudalen Hochmuth zu einer Erweiterung der Verfassung und endlich zur
Abschaffung des concordatlichen Ehegesetzes, Feststellung des Verhältnisses der
Kirche zur Schule und einigen Anordnungen über die interconfessionellen
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