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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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erfüllte, und welche Sympathie dieselben bei ihnen für Hannoveraner. Hessen
und Frankfurter hervorriefen. Schon der dänische Krieg hatte eine heftige
Ungunst gegen Preußen erweckt, und der Conflict des Ministeriums Bismarck
mit der liberalen Partei in der Militairfrage konnte dieselbe nur erhöhen.
Obgleich man -- ungern -- zugeben mußte, daß der Sieg Preußens ein
Schritt zur Einigung Deutschlands war, und die gefallenen Dynastien eben
nicht Mitgefühl beanspruchen konnten, so war auf der anderen Seite das
Rechtsgefühl der Niederländer, das in der Annexion nichts Anderes als das
Recht des Stärkeren sah, zu sehr gekränkt.' Der Liberalismus, das Recht der
Selbstbestimmung, die so tief im Holländer gewurzelt sind, lehnen sich auf
gegen jede Zwangsmaßregel von Seiten einer Regierung, und man nahm
an, daß die annectirten Länder freiwillig nicht so leicht unter das Scepter
Preußens gekommen wären.

Der Herbst des Jahres 1866 brachte uns auch hier viel Waffengeklirr
und kriegerische Stimmung. Ueberall wurden Freiwilligencorps errichtet,
und das Ministerium von Zuylen erhielt von den Kammern für die Armee
und Marine bedeutend höhere Summen als früher. Unzählige Schriften
über die militärischen Zustände erschienen, und die Frage über die Möglich¬
keit einer Vertheidigung des Landes gegen einen übermächtigen Angriff wurde
zur brennenden Frage. Es war. als ob schon eine preußische Armee an der
Grenze stände, und der allgemeinen Aufregung, die von oben herab noch
dazu angefacht wurde, konnten sich nur wenige Unbefangene entziehen. Eine
Schrift des Prof. Bosscha, die mit Ruhe darlegte, daß die Niederlande von
den preußischen Tendenzen vorläufig nichts zu fürchten hätten, rief mehr
Unmuth als Befriedigung hervor.

Die darauf eintretende luxemburger Frage, die unvorsichtige Einmischung
unserer Regierung und die dadurch entstandene Animosität in Deutschland
waren nicht geeignet die Gemüther zu beruhigen, und gerade der damals
drohende Krieg zwischen Frankreich und Preußen, dessen Tragweite unüber¬
sehbar gewesen sein würde, brachte nun zu der Furcht vor Preußen auch
die vor Frankreich. Zwar kam es nicht zu einer Parteibildung; gegenüber
der Aeußerung: "Lieber französisch als preußisch", hörte man auch die: "Wir
passen besser zu Deutschland als zu Frankreich." Alle aber wünschten, daß diese
Alternative niemals gestellt werden möchte. Einzelne Pessimisten warnten wohl
vor den hohen Ausgaben für Militairzwecke, in der nicht ganz unbegründeten
Meinung, gegen eine Invasion eines übermächtigen Feindes könne man sich
doch nicht vertheidigen, jedoch die allgemeine Ueberzeugung war. wenn man
auch unterliegen müsse, so müsse es doch nach ehrenvollen Kampfe geschehen,
und so lange könne man sich vielleicht vertheidigen, bis Hülfe von einem
mächtigeren Bundesgenossen kommen werde, da ein Angriff auf die Nieder¬
lande nur in einem allgemeinen europäischen Kriege stattfinden, oder doch


erfüllte, und welche Sympathie dieselben bei ihnen für Hannoveraner. Hessen
und Frankfurter hervorriefen. Schon der dänische Krieg hatte eine heftige
Ungunst gegen Preußen erweckt, und der Conflict des Ministeriums Bismarck
mit der liberalen Partei in der Militairfrage konnte dieselbe nur erhöhen.
Obgleich man — ungern — zugeben mußte, daß der Sieg Preußens ein
Schritt zur Einigung Deutschlands war, und die gefallenen Dynastien eben
nicht Mitgefühl beanspruchen konnten, so war auf der anderen Seite das
Rechtsgefühl der Niederländer, das in der Annexion nichts Anderes als das
Recht des Stärkeren sah, zu sehr gekränkt.' Der Liberalismus, das Recht der
Selbstbestimmung, die so tief im Holländer gewurzelt sind, lehnen sich auf
gegen jede Zwangsmaßregel von Seiten einer Regierung, und man nahm
an, daß die annectirten Länder freiwillig nicht so leicht unter das Scepter
Preußens gekommen wären.

Der Herbst des Jahres 1866 brachte uns auch hier viel Waffengeklirr
und kriegerische Stimmung. Ueberall wurden Freiwilligencorps errichtet,
und das Ministerium von Zuylen erhielt von den Kammern für die Armee
und Marine bedeutend höhere Summen als früher. Unzählige Schriften
über die militärischen Zustände erschienen, und die Frage über die Möglich¬
keit einer Vertheidigung des Landes gegen einen übermächtigen Angriff wurde
zur brennenden Frage. Es war. als ob schon eine preußische Armee an der
Grenze stände, und der allgemeinen Aufregung, die von oben herab noch
dazu angefacht wurde, konnten sich nur wenige Unbefangene entziehen. Eine
Schrift des Prof. Bosscha, die mit Ruhe darlegte, daß die Niederlande von
den preußischen Tendenzen vorläufig nichts zu fürchten hätten, rief mehr
Unmuth als Befriedigung hervor.

Die darauf eintretende luxemburger Frage, die unvorsichtige Einmischung
unserer Regierung und die dadurch entstandene Animosität in Deutschland
waren nicht geeignet die Gemüther zu beruhigen, und gerade der damals
drohende Krieg zwischen Frankreich und Preußen, dessen Tragweite unüber¬
sehbar gewesen sein würde, brachte nun zu der Furcht vor Preußen auch
die vor Frankreich. Zwar kam es nicht zu einer Parteibildung; gegenüber
der Aeußerung: „Lieber französisch als preußisch", hörte man auch die: „Wir
passen besser zu Deutschland als zu Frankreich." Alle aber wünschten, daß diese
Alternative niemals gestellt werden möchte. Einzelne Pessimisten warnten wohl
vor den hohen Ausgaben für Militairzwecke, in der nicht ganz unbegründeten
Meinung, gegen eine Invasion eines übermächtigen Feindes könne man sich
doch nicht vertheidigen, jedoch die allgemeine Ueberzeugung war. wenn man
auch unterliegen müsse, so müsse es doch nach ehrenvollen Kampfe geschehen,
und so lange könne man sich vielleicht vertheidigen, bis Hülfe von einem
mächtigeren Bundesgenossen kommen werde, da ein Angriff auf die Nieder¬
lande nur in einem allgemeinen europäischen Kriege stattfinden, oder doch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/324>, abgerufen am 24.07.2024.