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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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beim Zustandekommen der Uebereinkunft eine neue directe Verbindung mit der
Schweiz und dem östlichen Frankreich erhalten haben.

Unsere Regierung hat sich durchaus nicht in den Conflict Belgiens mit
Frankreich gemischt, und kann also von einer Parteistellung derselben in diesem
Sinne nicht die Rede sein; ein solcher Act würde zudem eine heftige Oppo-
sition im LanVe hervorrufen, da unsere auswärtige Politik sich zweifelsohne
ganz neutral verhalten muß. Einige schwache Versuche, von diesem Wege
abzuweichen, sind mit so schlechtem Erfolg gekrönt worden, daß man künftig
wohl vorsichtiger sein wird. Eine leise Fürsprache für das unglückliche Polen
und die Einmischung in die luxemburger Frage haben uns nur kurze Ab¬
weisung von Seiten Rußlands und Preußens gebracht. Die Händel über
Luxemburg haben außerdem einen andern Nachtheil gehabt. Man ist aus¬
wärts in der irrigen Meinung bestärkt worden, daß das Königreich der
Niederlande mit dem Großherzogthum Luxemburg in irgend einem Zusammen¬
hang stehe. Letzteres ist uns ganz fremd, und ob unser König nebenbei auch
Großherzog ist, geht uns gar nichts an. Im Uebrigen kennt man die luxem¬
burgischen Zustände in Deutschland besser als hier.

Die Ereignisse der letzten Jahre haben uns zu deutlich gezeigt, daß die
Aufmerksamkeit kleiner Staaten nur auf die Erhaltung ihrer Selbständigkeit
gerichtet sein muß, und daß sie dieselbe nicht auf ihre eigene Kraft, sondern
auf die Freundschaft ihrer Nachbaren gründen müssen. Daß auch wir jeden
Eingriff auf diese Selbständigkeit abwehren, hat das Verhalten unserer Re-
gierung bei den Verhandlungen über die Rheinschifffahrtsacte bewiesen, wo
wir den Anspruch Deutschlands, Bauten, die wir an den Rheinmündungen
ausführen, zu überwachen, hartnäckig zurückwiesen. Das Widerstreben Bel¬
giens gegen die französischen Ansprüche müssen wir darum für ganz berechtigt
halten, so daß wir hier in eine Lage gerathen, wo unsere Sympathie unserm
finanziellen Interesse entgegensteht.

Aber die Frage über das künftige Loos unserer Unabhängigkeit schneidet
tief ins Herz jedes Bürgers und wird nur mit einer gewissen Furcht be¬
handelt. Das Gespenst der Annexion, das sich vor drei Jahren so urplötz¬
lich erhob, ist noch nicht verschwunden und wird, obschon sehr erblichen,
noch lange umgehen. Kann man auch als Kosmopolit mit kaltem, ruhigem
Verstand das Nattonalgefühl gewissermaßen als überflüssig oder gar hinder¬
lich abschütteln, so ist es doch sehr unangenehm, aus Verhältnissen, die man
durch lange Gewohnheit lieb gewonnen, hinausgetrieben zu werden, um in
neue einzutreten, die in mancher Beziehung besser sein mögen, jedenfalls aber
auch Mängel haben. Herrschen wir doch lieber in unserm Hause allein und
wünschen nicht, daß unser Nachbar darin schaltet und waltet, selbst wenn er
Verbesserungen anbringen wollte. Man kann also begreifen, mit welchem
Schrecken die Nachrichten von den Eroberungen Preußens die Niederländer


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beim Zustandekommen der Uebereinkunft eine neue directe Verbindung mit der
Schweiz und dem östlichen Frankreich erhalten haben.

Unsere Regierung hat sich durchaus nicht in den Conflict Belgiens mit
Frankreich gemischt, und kann also von einer Parteistellung derselben in diesem
Sinne nicht die Rede sein; ein solcher Act würde zudem eine heftige Oppo-
sition im LanVe hervorrufen, da unsere auswärtige Politik sich zweifelsohne
ganz neutral verhalten muß. Einige schwache Versuche, von diesem Wege
abzuweichen, sind mit so schlechtem Erfolg gekrönt worden, daß man künftig
wohl vorsichtiger sein wird. Eine leise Fürsprache für das unglückliche Polen
und die Einmischung in die luxemburger Frage haben uns nur kurze Ab¬
weisung von Seiten Rußlands und Preußens gebracht. Die Händel über
Luxemburg haben außerdem einen andern Nachtheil gehabt. Man ist aus¬
wärts in der irrigen Meinung bestärkt worden, daß das Königreich der
Niederlande mit dem Großherzogthum Luxemburg in irgend einem Zusammen¬
hang stehe. Letzteres ist uns ganz fremd, und ob unser König nebenbei auch
Großherzog ist, geht uns gar nichts an. Im Uebrigen kennt man die luxem¬
burgischen Zustände in Deutschland besser als hier.

Die Ereignisse der letzten Jahre haben uns zu deutlich gezeigt, daß die
Aufmerksamkeit kleiner Staaten nur auf die Erhaltung ihrer Selbständigkeit
gerichtet sein muß, und daß sie dieselbe nicht auf ihre eigene Kraft, sondern
auf die Freundschaft ihrer Nachbaren gründen müssen. Daß auch wir jeden
Eingriff auf diese Selbständigkeit abwehren, hat das Verhalten unserer Re-
gierung bei den Verhandlungen über die Rheinschifffahrtsacte bewiesen, wo
wir den Anspruch Deutschlands, Bauten, die wir an den Rheinmündungen
ausführen, zu überwachen, hartnäckig zurückwiesen. Das Widerstreben Bel¬
giens gegen die französischen Ansprüche müssen wir darum für ganz berechtigt
halten, so daß wir hier in eine Lage gerathen, wo unsere Sympathie unserm
finanziellen Interesse entgegensteht.

Aber die Frage über das künftige Loos unserer Unabhängigkeit schneidet
tief ins Herz jedes Bürgers und wird nur mit einer gewissen Furcht be¬
handelt. Das Gespenst der Annexion, das sich vor drei Jahren so urplötz¬
lich erhob, ist noch nicht verschwunden und wird, obschon sehr erblichen,
noch lange umgehen. Kann man auch als Kosmopolit mit kaltem, ruhigem
Verstand das Nattonalgefühl gewissermaßen als überflüssig oder gar hinder¬
lich abschütteln, so ist es doch sehr unangenehm, aus Verhältnissen, die man
durch lange Gewohnheit lieb gewonnen, hinausgetrieben zu werden, um in
neue einzutreten, die in mancher Beziehung besser sein mögen, jedenfalls aber
auch Mängel haben. Herrschen wir doch lieber in unserm Hause allein und
wünschen nicht, daß unser Nachbar darin schaltet und waltet, selbst wenn er
Verbesserungen anbringen wollte. Man kann also begreifen, mit welchem
Schrecken die Nachrichten von den Eroberungen Preußens die Niederländer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/323>, abgerufen am 24.07.2024.