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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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denselben hervorrufen würde. Charakteristisch ist jedoch, daß bei allen in der
letzten Zeit besprochenen Vertheidigungsplänen ein Angriff von Osten her
angenommen ist.

Die Kriegswolken, die schwarzen Punkte am Horizont verzogen sich
langsam, aber die allgemeine Malaise, man möchte fast sagen, ein passiver
Widerstand gegen die neuen Zustände in Deutschland blieb bestehen, obwohl
die Gemüther sich langsam beruhigten. Je mehr man sah. daß Preußen mit
den neuerworbenen Provinzen alle Hände voll Arbeit hatte, je größer die
Schwierigkeiten wurden, die sich einem Anschluß von Süddeutschland an den
norddeutschen Bund entgegenstellten, desto mehr begriff man, daß eine Annexion
von Seiten Preußens noch, in langen Jahrn nicht zu fürchten sei. Ja, auf
die allgemeine Erregtheit kam eine kleine Reaction, die ihren Ursprung in
finanziellen Rücksichten hatte, die beim Holländer immer schwer wiegen.

Die Budgets sür Kriegswesen und Marine waren seit dem Jahre 1866
um ungefähr zwei Fünftel erhöht und eine jährliche Mehrausgabe von acht
Millionen Gulden ohne vermehrte Einnahme drohte die Staatsfinanzen zu
zerrütten. Wohl waren diese in den letzten zehn Jahren vor dem deutschen
Kriege sehr blühend gewesen, man konnte Eisenbahnen bauen, die Sclaverei
in Westindien aufheben, ja selbst noch Schulden tilgen; als aber im Jahre 1866
zu den früher eingegangenen Verpflichtungen auch noch größere Summen für
die Landesvertheidigung beansprucht wurden, da mußte man alle Kräfte an¬
wenden, um den Abgrund einer neuen Anleihe zu vermeiden. Einschränkungen
in den Staatsausgaben wurden nöthig, und, wie leicht begreiflich, suchte man
solche zuerst bei Marine und Armee, was jedoch mit dem besten Willen nicht
sofort auszuführen ist.

Man kam langsam zu der Ueberzeugung, daß man sich nach dem Kriege
in Deutschland durch eine übertriebene Preußenangst zu weit hatte treiben
lassen; man wandte wieder ins ruhige Gleis und fing an, über den Eifer
der Freiwilligencorps zu spotten, denen zuerst selbst in den Kammern leb¬
hafter Beifall gezollt worden war.

Die Abneigung gegen Preußen besteht inzwischen nicht erst seit einigen
Jahren, sondern hat einen älteren Ursprung. Die Holländer erinnern sich
noch immer der preußischen Invasion des Jahres 1787, welche dem Statt¬
halter Wilhelm V. Hülfe gegen das aufständische Volk leistete. Die Preußen
sind den Holländern seit jener Zeit, wo sie ihnen die Reaction brachten,
bis zum heutigen Tage die Repräsentanten politischer Unfreiheit geblieben.
Der Beruf Preußens zur Einigung Deutschlands gilt hier als Anmaßung,
jede That zur Erreichung dieses Zieles als ein Act der Vergewaltigung,
und in den Zeitungen gibt sich diese Gesinnung dadurch kund, daß nur
antipreußische Berichte aufgenommen werden. Nur die liberale Partei in
Preußen erfreut sich einiger Sympathie; aber man wirst ihr Schwäche vor,
weil sie sich vor dem Succeß der Politik des Herrn von Bismarck beugt.
Den Standpunkt, worauf sich diese Partei vor dem Kriege gestellt hatte,
erkannte man als richtig an, und man meinte, selbst höhere Interessen
dürften nicht die Ursache zum Verlassen desselben sein. Unser Staatsleben
gründet sich ausschließlich auf das Gesetz und die Gewohnheit, so daß der


denselben hervorrufen würde. Charakteristisch ist jedoch, daß bei allen in der
letzten Zeit besprochenen Vertheidigungsplänen ein Angriff von Osten her
angenommen ist.

Die Kriegswolken, die schwarzen Punkte am Horizont verzogen sich
langsam, aber die allgemeine Malaise, man möchte fast sagen, ein passiver
Widerstand gegen die neuen Zustände in Deutschland blieb bestehen, obwohl
die Gemüther sich langsam beruhigten. Je mehr man sah. daß Preußen mit
den neuerworbenen Provinzen alle Hände voll Arbeit hatte, je größer die
Schwierigkeiten wurden, die sich einem Anschluß von Süddeutschland an den
norddeutschen Bund entgegenstellten, desto mehr begriff man, daß eine Annexion
von Seiten Preußens noch, in langen Jahrn nicht zu fürchten sei. Ja, auf
die allgemeine Erregtheit kam eine kleine Reaction, die ihren Ursprung in
finanziellen Rücksichten hatte, die beim Holländer immer schwer wiegen.

Die Budgets sür Kriegswesen und Marine waren seit dem Jahre 1866
um ungefähr zwei Fünftel erhöht und eine jährliche Mehrausgabe von acht
Millionen Gulden ohne vermehrte Einnahme drohte die Staatsfinanzen zu
zerrütten. Wohl waren diese in den letzten zehn Jahren vor dem deutschen
Kriege sehr blühend gewesen, man konnte Eisenbahnen bauen, die Sclaverei
in Westindien aufheben, ja selbst noch Schulden tilgen; als aber im Jahre 1866
zu den früher eingegangenen Verpflichtungen auch noch größere Summen für
die Landesvertheidigung beansprucht wurden, da mußte man alle Kräfte an¬
wenden, um den Abgrund einer neuen Anleihe zu vermeiden. Einschränkungen
in den Staatsausgaben wurden nöthig, und, wie leicht begreiflich, suchte man
solche zuerst bei Marine und Armee, was jedoch mit dem besten Willen nicht
sofort auszuführen ist.

Man kam langsam zu der Ueberzeugung, daß man sich nach dem Kriege
in Deutschland durch eine übertriebene Preußenangst zu weit hatte treiben
lassen; man wandte wieder ins ruhige Gleis und fing an, über den Eifer
der Freiwilligencorps zu spotten, denen zuerst selbst in den Kammern leb¬
hafter Beifall gezollt worden war.

Die Abneigung gegen Preußen besteht inzwischen nicht erst seit einigen
Jahren, sondern hat einen älteren Ursprung. Die Holländer erinnern sich
noch immer der preußischen Invasion des Jahres 1787, welche dem Statt¬
halter Wilhelm V. Hülfe gegen das aufständische Volk leistete. Die Preußen
sind den Holländern seit jener Zeit, wo sie ihnen die Reaction brachten,
bis zum heutigen Tage die Repräsentanten politischer Unfreiheit geblieben.
Der Beruf Preußens zur Einigung Deutschlands gilt hier als Anmaßung,
jede That zur Erreichung dieses Zieles als ein Act der Vergewaltigung,
und in den Zeitungen gibt sich diese Gesinnung dadurch kund, daß nur
antipreußische Berichte aufgenommen werden. Nur die liberale Partei in
Preußen erfreut sich einiger Sympathie; aber man wirst ihr Schwäche vor,
weil sie sich vor dem Succeß der Politik des Herrn von Bismarck beugt.
Den Standpunkt, worauf sich diese Partei vor dem Kriege gestellt hatte,
erkannte man als richtig an, und man meinte, selbst höhere Interessen
dürften nicht die Ursache zum Verlassen desselben sein. Unser Staatsleben
gründet sich ausschließlich auf das Gesetz und die Gewohnheit, so daß der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/325>, abgerufen am 04.07.2024.