Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

(Polizeidiener) des betreff. Consulats dabei zugegen ist. Da letzteres natürlich
fast nie der Fall ist und die Sache in den meisten Fällen vorüber wäre, bis man
auf das betreffende Consulat geschickt hätte, so verlaufen fast alle Gewalt¬
thaten und daraus entspringende Verbrechen ohne Intervention der Polizei
und demgemäß meistens ohne Verfolgung und Bestrafung der Thäter. Die
einheimische Bevölkerung begeht äußerst selten Verbrechen gegen die Sicherheit
oder das Leben Anderer, selbst nicht in Trunkenheit, weil der Eingeborene
fast ohne Ausnahme mäßig ist. Massenhaft dagegen kommen solche Ver¬
gehen und Verbrechen unter den niederen Classen der Europäer vor. Bei
der fast sichern Aussicht auf Straflosigkeit ist es natürlich, daß diese Zustände
sich nicht gründlich bessern können, solange die einheimische Polizei nicht die
Befugniß hat, gegen diese Elemente einzuschreiten.

Allein man darf über dieser Seite der Sache nicht, wie Mr. Layard im
englischen Parlament gethan, die andere Seite übersehen. Die ägyptische
Polizei ist keineswegs auf einen Fuß gebracht, der dem Europäer irgend
welche Sicherheit gewährt, daß ihre Organe mit Besonnenheit und Gerechtig¬
keit verführen. Der Kurbatsch, die Peitsche aus Nilpferdhaut, von Sai'd-
Pascha officiell abgeschafft, regiert selbst in Alerandria und Cairo täglich auf
der Polizei. Die Locale, in welchen die Verhafteten oder in Untersuchung
Befindlichen eingeschlossen werden, sind fast ohne Ausnahme von so entsetz¬
licher Beschaffenheit, daß nur ein Araber, der von Kind auf in dem für
Europäer völlig unerträglichen Qualm, Gestank und Schmutz arabischer
Hütten gelebt hat, es darin aushalten kann -- ein Europäer in den selten¬
sten Fällen ohne bleibenden Nachtheil daraus zurückkehrt. Die höchsten Be¬
amten der Polizei sind oft nicht weniger gesetzlos in ihrem Verfahren, als
die niederen. Fälle, daß selbst sehr angesehene Eingeborene, weil sie sich nicht
schweigend gegen ihr gutes Recht vergewaltigen lassen, gepeitscht werden,
kommen auch heute noch vor. Die Unwissenheit endlich unter den niederen
Polizeibeamten (Kawassen) würde unablässig wenigstens vorübergehende
Rechtsverletzungen bei Verhaftungen zur Folge haben. Ist doch kürzlich erst
der Fall vorgekommen, daß zwei bewaffnete Soldaten einen einzelnen Euro¬
päer, der Abends durch eine Hauptstraße Alexandria's nach Hause ging, über¬
fielen und verhaften wollten; offenbar nur um ein Lösegeld zu erpressen.
Wenn dies jetzt vorkommt, wo jeder Eingeborene weiß, daß der Europäer
unantastbar ist; wie sollte es gehen, wenn dieser Schutz aufgehoben und der
Europäer dem Eingeborenen gleichgestellt wäre!

Wie die Dinge in Aegypten liegen, ist es ein weit geringeres Unglück,
wenn die Regierung von den Europäern da und dort übervortheilt wird,
als wenn umgekehrt die Europäer den Schutz verlieren, der sie vor den Ueber-
griffen der Negierung sichert. Denn die Europäer sind trotz vieler zweifel-


38"

(Polizeidiener) des betreff. Consulats dabei zugegen ist. Da letzteres natürlich
fast nie der Fall ist und die Sache in den meisten Fällen vorüber wäre, bis man
auf das betreffende Consulat geschickt hätte, so verlaufen fast alle Gewalt¬
thaten und daraus entspringende Verbrechen ohne Intervention der Polizei
und demgemäß meistens ohne Verfolgung und Bestrafung der Thäter. Die
einheimische Bevölkerung begeht äußerst selten Verbrechen gegen die Sicherheit
oder das Leben Anderer, selbst nicht in Trunkenheit, weil der Eingeborene
fast ohne Ausnahme mäßig ist. Massenhaft dagegen kommen solche Ver¬
gehen und Verbrechen unter den niederen Classen der Europäer vor. Bei
der fast sichern Aussicht auf Straflosigkeit ist es natürlich, daß diese Zustände
sich nicht gründlich bessern können, solange die einheimische Polizei nicht die
Befugniß hat, gegen diese Elemente einzuschreiten.

Allein man darf über dieser Seite der Sache nicht, wie Mr. Layard im
englischen Parlament gethan, die andere Seite übersehen. Die ägyptische
Polizei ist keineswegs auf einen Fuß gebracht, der dem Europäer irgend
welche Sicherheit gewährt, daß ihre Organe mit Besonnenheit und Gerechtig¬
keit verführen. Der Kurbatsch, die Peitsche aus Nilpferdhaut, von Sai'd-
Pascha officiell abgeschafft, regiert selbst in Alerandria und Cairo täglich auf
der Polizei. Die Locale, in welchen die Verhafteten oder in Untersuchung
Befindlichen eingeschlossen werden, sind fast ohne Ausnahme von so entsetz¬
licher Beschaffenheit, daß nur ein Araber, der von Kind auf in dem für
Europäer völlig unerträglichen Qualm, Gestank und Schmutz arabischer
Hütten gelebt hat, es darin aushalten kann — ein Europäer in den selten¬
sten Fällen ohne bleibenden Nachtheil daraus zurückkehrt. Die höchsten Be¬
amten der Polizei sind oft nicht weniger gesetzlos in ihrem Verfahren, als
die niederen. Fälle, daß selbst sehr angesehene Eingeborene, weil sie sich nicht
schweigend gegen ihr gutes Recht vergewaltigen lassen, gepeitscht werden,
kommen auch heute noch vor. Die Unwissenheit endlich unter den niederen
Polizeibeamten (Kawassen) würde unablässig wenigstens vorübergehende
Rechtsverletzungen bei Verhaftungen zur Folge haben. Ist doch kürzlich erst
der Fall vorgekommen, daß zwei bewaffnete Soldaten einen einzelnen Euro¬
päer, der Abends durch eine Hauptstraße Alexandria's nach Hause ging, über¬
fielen und verhaften wollten; offenbar nur um ein Lösegeld zu erpressen.
Wenn dies jetzt vorkommt, wo jeder Eingeborene weiß, daß der Europäer
unantastbar ist; wie sollte es gehen, wenn dieser Schutz aufgehoben und der
Europäer dem Eingeborenen gleichgestellt wäre!

Wie die Dinge in Aegypten liegen, ist es ein weit geringeres Unglück,
wenn die Regierung von den Europäern da und dort übervortheilt wird,
als wenn umgekehrt die Europäer den Schutz verlieren, der sie vor den Ueber-
griffen der Negierung sichert. Denn die Europäer sind trotz vieler zweifel-


38"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0307" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120994"/>
          <p xml:id="ID_955" prev="#ID_954"> (Polizeidiener) des betreff. Consulats dabei zugegen ist. Da letzteres natürlich<lb/>
fast nie der Fall ist und die Sache in den meisten Fällen vorüber wäre, bis man<lb/>
auf das betreffende Consulat geschickt hätte, so verlaufen fast alle Gewalt¬<lb/>
thaten und daraus entspringende Verbrechen ohne Intervention der Polizei<lb/>
und demgemäß meistens ohne Verfolgung und Bestrafung der Thäter. Die<lb/>
einheimische Bevölkerung begeht äußerst selten Verbrechen gegen die Sicherheit<lb/>
oder das Leben Anderer, selbst nicht in Trunkenheit, weil der Eingeborene<lb/>
fast ohne Ausnahme mäßig ist. Massenhaft dagegen kommen solche Ver¬<lb/>
gehen und Verbrechen unter den niederen Classen der Europäer vor. Bei<lb/>
der fast sichern Aussicht auf Straflosigkeit ist es natürlich, daß diese Zustände<lb/>
sich nicht gründlich bessern können, solange die einheimische Polizei nicht die<lb/>
Befugniß hat, gegen diese Elemente einzuschreiten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_956"> Allein man darf über dieser Seite der Sache nicht, wie Mr. Layard im<lb/>
englischen Parlament gethan, die andere Seite übersehen. Die ägyptische<lb/>
Polizei ist keineswegs auf einen Fuß gebracht, der dem Europäer irgend<lb/>
welche Sicherheit gewährt, daß ihre Organe mit Besonnenheit und Gerechtig¬<lb/>
keit verführen. Der Kurbatsch, die Peitsche aus Nilpferdhaut, von Sai'd-<lb/>
Pascha officiell abgeschafft, regiert selbst in Alerandria und Cairo täglich auf<lb/>
der Polizei. Die Locale, in welchen die Verhafteten oder in Untersuchung<lb/>
Befindlichen eingeschlossen werden, sind fast ohne Ausnahme von so entsetz¬<lb/>
licher Beschaffenheit, daß nur ein Araber, der von Kind auf in dem für<lb/>
Europäer völlig unerträglichen Qualm, Gestank und Schmutz arabischer<lb/>
Hütten gelebt hat, es darin aushalten kann &#x2014; ein Europäer in den selten¬<lb/>
sten Fällen ohne bleibenden Nachtheil daraus zurückkehrt. Die höchsten Be¬<lb/>
amten der Polizei sind oft nicht weniger gesetzlos in ihrem Verfahren, als<lb/>
die niederen. Fälle, daß selbst sehr angesehene Eingeborene, weil sie sich nicht<lb/>
schweigend gegen ihr gutes Recht vergewaltigen lassen, gepeitscht werden,<lb/>
kommen auch heute noch vor. Die Unwissenheit endlich unter den niederen<lb/>
Polizeibeamten (Kawassen) würde unablässig wenigstens vorübergehende<lb/>
Rechtsverletzungen bei Verhaftungen zur Folge haben. Ist doch kürzlich erst<lb/>
der Fall vorgekommen, daß zwei bewaffnete Soldaten einen einzelnen Euro¬<lb/>
päer, der Abends durch eine Hauptstraße Alexandria's nach Hause ging, über¬<lb/>
fielen und verhaften wollten; offenbar nur um ein Lösegeld zu erpressen.<lb/>
Wenn dies jetzt vorkommt, wo jeder Eingeborene weiß, daß der Europäer<lb/>
unantastbar ist; wie sollte es gehen, wenn dieser Schutz aufgehoben und der<lb/>
Europäer dem Eingeborenen gleichgestellt wäre!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_957" next="#ID_958"> Wie die Dinge in Aegypten liegen, ist es ein weit geringeres Unglück,<lb/>
wenn die Regierung von den Europäern da und dort übervortheilt wird,<lb/>
als wenn umgekehrt die Europäer den Schutz verlieren, der sie vor den Ueber-<lb/>
griffen der Negierung sichert.  Denn die Europäer sind trotz vieler zweifel-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 38"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0307] (Polizeidiener) des betreff. Consulats dabei zugegen ist. Da letzteres natürlich fast nie der Fall ist und die Sache in den meisten Fällen vorüber wäre, bis man auf das betreffende Consulat geschickt hätte, so verlaufen fast alle Gewalt¬ thaten und daraus entspringende Verbrechen ohne Intervention der Polizei und demgemäß meistens ohne Verfolgung und Bestrafung der Thäter. Die einheimische Bevölkerung begeht äußerst selten Verbrechen gegen die Sicherheit oder das Leben Anderer, selbst nicht in Trunkenheit, weil der Eingeborene fast ohne Ausnahme mäßig ist. Massenhaft dagegen kommen solche Ver¬ gehen und Verbrechen unter den niederen Classen der Europäer vor. Bei der fast sichern Aussicht auf Straflosigkeit ist es natürlich, daß diese Zustände sich nicht gründlich bessern können, solange die einheimische Polizei nicht die Befugniß hat, gegen diese Elemente einzuschreiten. Allein man darf über dieser Seite der Sache nicht, wie Mr. Layard im englischen Parlament gethan, die andere Seite übersehen. Die ägyptische Polizei ist keineswegs auf einen Fuß gebracht, der dem Europäer irgend welche Sicherheit gewährt, daß ihre Organe mit Besonnenheit und Gerechtig¬ keit verführen. Der Kurbatsch, die Peitsche aus Nilpferdhaut, von Sai'd- Pascha officiell abgeschafft, regiert selbst in Alerandria und Cairo täglich auf der Polizei. Die Locale, in welchen die Verhafteten oder in Untersuchung Befindlichen eingeschlossen werden, sind fast ohne Ausnahme von so entsetz¬ licher Beschaffenheit, daß nur ein Araber, der von Kind auf in dem für Europäer völlig unerträglichen Qualm, Gestank und Schmutz arabischer Hütten gelebt hat, es darin aushalten kann — ein Europäer in den selten¬ sten Fällen ohne bleibenden Nachtheil daraus zurückkehrt. Die höchsten Be¬ amten der Polizei sind oft nicht weniger gesetzlos in ihrem Verfahren, als die niederen. Fälle, daß selbst sehr angesehene Eingeborene, weil sie sich nicht schweigend gegen ihr gutes Recht vergewaltigen lassen, gepeitscht werden, kommen auch heute noch vor. Die Unwissenheit endlich unter den niederen Polizeibeamten (Kawassen) würde unablässig wenigstens vorübergehende Rechtsverletzungen bei Verhaftungen zur Folge haben. Ist doch kürzlich erst der Fall vorgekommen, daß zwei bewaffnete Soldaten einen einzelnen Euro¬ päer, der Abends durch eine Hauptstraße Alexandria's nach Hause ging, über¬ fielen und verhaften wollten; offenbar nur um ein Lösegeld zu erpressen. Wenn dies jetzt vorkommt, wo jeder Eingeborene weiß, daß der Europäer unantastbar ist; wie sollte es gehen, wenn dieser Schutz aufgehoben und der Europäer dem Eingeborenen gleichgestellt wäre! Wie die Dinge in Aegypten liegen, ist es ein weit geringeres Unglück, wenn die Regierung von den Europäern da und dort übervortheilt wird, als wenn umgekehrt die Europäer den Schutz verlieren, der sie vor den Ueber- griffen der Negierung sichert. Denn die Europäer sind trotz vieler zweifel- 38"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/307
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/307>, abgerufen am 04.07.2024.