Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

verfahren leuchten ein. Unter diesen Consulatgerichtshöfen sind, wie oben
erwähnt, einzelne, auf welche man kein Vertrauen setzen kann. Wir haben
Konsuln, welche der Nation, die sie vertreten, weder angehören, noch nähere
Beziehungen zu derselben haben, Leute, welche als Privatpersonen wenig
geachtet sind, als Beamte gar nichts taugen, und ihre Stellung Konnexionen
oder noch schlimmeren Dingen verdanken. Es gibt außerdem in Aegypten
Nationalitäten, deren raufsüchtiger, gewalthätiger und vor keinem Verbrechen
zurückschreckender Charakter in den untern Schichten, den Consuln äußerst
schwer und ost lebensgefährlich macht, mit rücksichtsloser Gerechtigkeit durch¬
zugreifen. Deshalb geschehen besonders in Alexandria eine Menge von Ver¬
brechen, Rauferei, Raub, Todtschlag, Mord u. s. w., die meistens unbestraft
bleiben. Es gehört z. B. ein ungewöhnlicher Muth dazu, um sich der Rache
eines bestraften Griechen aus der unteren Classe oder seiner Genossen blo߬
zustellen. Und da Jedermann weiß, daß ohne Einwilligung des Consuls
keine kriminelle Klage oder Verfolgung anhängig gemacht werden und das
Urtheil wieder nur von den Consulaten gefällt werden darf, so concentrirt
sich Haß und Recht der Verfolgten ausschließlich auf jene.

Daß die ägyptische Regierung ein Recht habe, Schutz gegen den Mi߬
brauch diplomatischer Eingriffe und Pressionen bei privaten Angelegenheiten
zu verlangen, ist selbstverständlich. Nicht nur unter den 15 Consulaten
fremder Nationen trifft manche der Verdacht, ungesetzlichen Einflüssen Zu¬
gang zu gestatten. Auch unter den Europäern in Aegypten sind sehr be¬
denkliche Elemente, Glücksritter, Schwindler, Schurken jeder Art. Daß solche
Menschen in der rücksichtslosen Ausnutzung ihrer Privilegien dem Vicekönig
und dem Lande empfindlichen Schaden zufügen können, ist nicht zu leugnen.
Auch stehen wir nicht auf Seiten derer, die nur die Privilegien ihrer Stel¬
lung als Europäer genießen, aber gar nichts von den Lasten und Pflichten
des Landes tragen wollen, das doch die Basis ihrer materiellen Existenz und
eine Quelle großer Vortheile für sie ist. Leider ist selbst unter den besseren
Elementen der Europäer die Rechtsanschauung sehr wenig verbreitet, daß
jedem Recht eine Pflicht, jedem Gewinn eine Leistung entsprechen müsse
und daß sie sich nicht gegen Maßregeln sträuben dürfen, in welchen die Re¬
gierung vor dem Urtheile jedes Billig- und Rechtlichdenkenden im Rechte ist
-- wenn auch nicht nach dem Buchstaben der Verträge. Das Widerstreben
der Europäer gegen billige und gerechte Reformen schadet ihnen in den
Augen Europa's und gibt der ägyptischen Regierung eine nicht zu unter¬
schätzende Waffe.

Damit nicht genug! In Folge der Consulatgerichtsbarkeit ist es den
einheimischen Behörden und ihren Agenten untersagt, irgend einen Menschen
fremder Nationalität zu verhaften, wenn nicht ein Beamter oder Kawaß


verfahren leuchten ein. Unter diesen Consulatgerichtshöfen sind, wie oben
erwähnt, einzelne, auf welche man kein Vertrauen setzen kann. Wir haben
Konsuln, welche der Nation, die sie vertreten, weder angehören, noch nähere
Beziehungen zu derselben haben, Leute, welche als Privatpersonen wenig
geachtet sind, als Beamte gar nichts taugen, und ihre Stellung Konnexionen
oder noch schlimmeren Dingen verdanken. Es gibt außerdem in Aegypten
Nationalitäten, deren raufsüchtiger, gewalthätiger und vor keinem Verbrechen
zurückschreckender Charakter in den untern Schichten, den Consuln äußerst
schwer und ost lebensgefährlich macht, mit rücksichtsloser Gerechtigkeit durch¬
zugreifen. Deshalb geschehen besonders in Alexandria eine Menge von Ver¬
brechen, Rauferei, Raub, Todtschlag, Mord u. s. w., die meistens unbestraft
bleiben. Es gehört z. B. ein ungewöhnlicher Muth dazu, um sich der Rache
eines bestraften Griechen aus der unteren Classe oder seiner Genossen blo߬
zustellen. Und da Jedermann weiß, daß ohne Einwilligung des Consuls
keine kriminelle Klage oder Verfolgung anhängig gemacht werden und das
Urtheil wieder nur von den Consulaten gefällt werden darf, so concentrirt
sich Haß und Recht der Verfolgten ausschließlich auf jene.

Daß die ägyptische Regierung ein Recht habe, Schutz gegen den Mi߬
brauch diplomatischer Eingriffe und Pressionen bei privaten Angelegenheiten
zu verlangen, ist selbstverständlich. Nicht nur unter den 15 Consulaten
fremder Nationen trifft manche der Verdacht, ungesetzlichen Einflüssen Zu¬
gang zu gestatten. Auch unter den Europäern in Aegypten sind sehr be¬
denkliche Elemente, Glücksritter, Schwindler, Schurken jeder Art. Daß solche
Menschen in der rücksichtslosen Ausnutzung ihrer Privilegien dem Vicekönig
und dem Lande empfindlichen Schaden zufügen können, ist nicht zu leugnen.
Auch stehen wir nicht auf Seiten derer, die nur die Privilegien ihrer Stel¬
lung als Europäer genießen, aber gar nichts von den Lasten und Pflichten
des Landes tragen wollen, das doch die Basis ihrer materiellen Existenz und
eine Quelle großer Vortheile für sie ist. Leider ist selbst unter den besseren
Elementen der Europäer die Rechtsanschauung sehr wenig verbreitet, daß
jedem Recht eine Pflicht, jedem Gewinn eine Leistung entsprechen müsse
und daß sie sich nicht gegen Maßregeln sträuben dürfen, in welchen die Re¬
gierung vor dem Urtheile jedes Billig- und Rechtlichdenkenden im Rechte ist
— wenn auch nicht nach dem Buchstaben der Verträge. Das Widerstreben
der Europäer gegen billige und gerechte Reformen schadet ihnen in den
Augen Europa's und gibt der ägyptischen Regierung eine nicht zu unter¬
schätzende Waffe.

Damit nicht genug! In Folge der Consulatgerichtsbarkeit ist es den
einheimischen Behörden und ihren Agenten untersagt, irgend einen Menschen
fremder Nationalität zu verhaften, wenn nicht ein Beamter oder Kawaß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0306" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120993"/>
          <p xml:id="ID_952" prev="#ID_951"> verfahren leuchten ein. Unter diesen Consulatgerichtshöfen sind, wie oben<lb/>
erwähnt, einzelne, auf welche man kein Vertrauen setzen kann. Wir haben<lb/>
Konsuln, welche der Nation, die sie vertreten, weder angehören, noch nähere<lb/>
Beziehungen zu derselben haben, Leute, welche als Privatpersonen wenig<lb/>
geachtet sind, als Beamte gar nichts taugen, und ihre Stellung Konnexionen<lb/>
oder noch schlimmeren Dingen verdanken. Es gibt außerdem in Aegypten<lb/>
Nationalitäten, deren raufsüchtiger, gewalthätiger und vor keinem Verbrechen<lb/>
zurückschreckender Charakter in den untern Schichten, den Consuln äußerst<lb/>
schwer und ost lebensgefährlich macht, mit rücksichtsloser Gerechtigkeit durch¬<lb/>
zugreifen. Deshalb geschehen besonders in Alexandria eine Menge von Ver¬<lb/>
brechen, Rauferei, Raub, Todtschlag, Mord u. s. w., die meistens unbestraft<lb/>
bleiben. Es gehört z. B. ein ungewöhnlicher Muth dazu, um sich der Rache<lb/>
eines bestraften Griechen aus der unteren Classe oder seiner Genossen blo߬<lb/>
zustellen. Und da Jedermann weiß, daß ohne Einwilligung des Consuls<lb/>
keine kriminelle Klage oder Verfolgung anhängig gemacht werden und das<lb/>
Urtheil wieder nur von den Consulaten gefällt werden darf, so concentrirt<lb/>
sich Haß und Recht der Verfolgten ausschließlich auf jene.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_953"> Daß die ägyptische Regierung ein Recht habe, Schutz gegen den Mi߬<lb/>
brauch diplomatischer Eingriffe und Pressionen bei privaten Angelegenheiten<lb/>
zu verlangen, ist selbstverständlich. Nicht nur unter den 15 Consulaten<lb/>
fremder Nationen trifft manche der Verdacht, ungesetzlichen Einflüssen Zu¬<lb/>
gang zu gestatten. Auch unter den Europäern in Aegypten sind sehr be¬<lb/>
denkliche Elemente, Glücksritter, Schwindler, Schurken jeder Art. Daß solche<lb/>
Menschen in der rücksichtslosen Ausnutzung ihrer Privilegien dem Vicekönig<lb/>
und dem Lande empfindlichen Schaden zufügen können, ist nicht zu leugnen.<lb/>
Auch stehen wir nicht auf Seiten derer, die nur die Privilegien ihrer Stel¬<lb/>
lung als Europäer genießen, aber gar nichts von den Lasten und Pflichten<lb/>
des Landes tragen wollen, das doch die Basis ihrer materiellen Existenz und<lb/>
eine Quelle großer Vortheile für sie ist. Leider ist selbst unter den besseren<lb/>
Elementen der Europäer die Rechtsanschauung sehr wenig verbreitet, daß<lb/>
jedem Recht eine Pflicht, jedem Gewinn eine Leistung entsprechen müsse<lb/>
und daß sie sich nicht gegen Maßregeln sträuben dürfen, in welchen die Re¬<lb/>
gierung vor dem Urtheile jedes Billig- und Rechtlichdenkenden im Rechte ist<lb/>
&#x2014; wenn auch nicht nach dem Buchstaben der Verträge. Das Widerstreben<lb/>
der Europäer gegen billige und gerechte Reformen schadet ihnen in den<lb/>
Augen Europa's und gibt der ägyptischen Regierung eine nicht zu unter¬<lb/>
schätzende Waffe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_954" next="#ID_955"> Damit nicht genug! In Folge der Consulatgerichtsbarkeit ist es den<lb/>
einheimischen Behörden und ihren Agenten untersagt, irgend einen Menschen<lb/>
fremder Nationalität zu verhaften, wenn nicht ein Beamter oder Kawaß</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0306] verfahren leuchten ein. Unter diesen Consulatgerichtshöfen sind, wie oben erwähnt, einzelne, auf welche man kein Vertrauen setzen kann. Wir haben Konsuln, welche der Nation, die sie vertreten, weder angehören, noch nähere Beziehungen zu derselben haben, Leute, welche als Privatpersonen wenig geachtet sind, als Beamte gar nichts taugen, und ihre Stellung Konnexionen oder noch schlimmeren Dingen verdanken. Es gibt außerdem in Aegypten Nationalitäten, deren raufsüchtiger, gewalthätiger und vor keinem Verbrechen zurückschreckender Charakter in den untern Schichten, den Consuln äußerst schwer und ost lebensgefährlich macht, mit rücksichtsloser Gerechtigkeit durch¬ zugreifen. Deshalb geschehen besonders in Alexandria eine Menge von Ver¬ brechen, Rauferei, Raub, Todtschlag, Mord u. s. w., die meistens unbestraft bleiben. Es gehört z. B. ein ungewöhnlicher Muth dazu, um sich der Rache eines bestraften Griechen aus der unteren Classe oder seiner Genossen blo߬ zustellen. Und da Jedermann weiß, daß ohne Einwilligung des Consuls keine kriminelle Klage oder Verfolgung anhängig gemacht werden und das Urtheil wieder nur von den Consulaten gefällt werden darf, so concentrirt sich Haß und Recht der Verfolgten ausschließlich auf jene. Daß die ägyptische Regierung ein Recht habe, Schutz gegen den Mi߬ brauch diplomatischer Eingriffe und Pressionen bei privaten Angelegenheiten zu verlangen, ist selbstverständlich. Nicht nur unter den 15 Consulaten fremder Nationen trifft manche der Verdacht, ungesetzlichen Einflüssen Zu¬ gang zu gestatten. Auch unter den Europäern in Aegypten sind sehr be¬ denkliche Elemente, Glücksritter, Schwindler, Schurken jeder Art. Daß solche Menschen in der rücksichtslosen Ausnutzung ihrer Privilegien dem Vicekönig und dem Lande empfindlichen Schaden zufügen können, ist nicht zu leugnen. Auch stehen wir nicht auf Seiten derer, die nur die Privilegien ihrer Stel¬ lung als Europäer genießen, aber gar nichts von den Lasten und Pflichten des Landes tragen wollen, das doch die Basis ihrer materiellen Existenz und eine Quelle großer Vortheile für sie ist. Leider ist selbst unter den besseren Elementen der Europäer die Rechtsanschauung sehr wenig verbreitet, daß jedem Recht eine Pflicht, jedem Gewinn eine Leistung entsprechen müsse und daß sie sich nicht gegen Maßregeln sträuben dürfen, in welchen die Re¬ gierung vor dem Urtheile jedes Billig- und Rechtlichdenkenden im Rechte ist — wenn auch nicht nach dem Buchstaben der Verträge. Das Widerstreben der Europäer gegen billige und gerechte Reformen schadet ihnen in den Augen Europa's und gibt der ägyptischen Regierung eine nicht zu unter¬ schätzende Waffe. Damit nicht genug! In Folge der Consulatgerichtsbarkeit ist es den einheimischen Behörden und ihren Agenten untersagt, irgend einen Menschen fremder Nationalität zu verhaften, wenn nicht ein Beamter oder Kawaß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/306
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/306>, abgerufen am 04.07.2024.