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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Selbständigkeit im Innern, auch in der Justizreform, dem Vicekönrg aus¬
drücklich zuerkannt. Allein es ist in politischen Dingen ein großer Unter¬
schied, ein Recht der Souverainetät nur dem Titel nach zu besitzen, oder es
durch offenkundige bekannte Handlungen wirklich zu bethätigen. Die geheime
Triebfeder des Vicekönigs ist, die volle Souverainetät über Aegypten zu erreichen.
Für die directe Erblichkeit seiner Würde, die Ernennung zum höheren Range
des Khedive (Fürst) hat er ungeheuere Summen an die Pforte und an ein¬
zelne einflußreiche Paschas in Konstantinopel bezahlt*). Aber all seine Opfer
würden unerheblich sein gegenüber dem Erfolg, wenn er nicht nur in directe
diplomatische Unterhandlung mit den Großmächten, ohne Dreinreden oder
Vermittelung der Pforte, eingetreten wäre, sondern die Mächte sogar zur
Ausgabe jahrhundertelang eifersüchtig bewachter Rechte gebracht und dadurch
das Verhältniß der europäischen Staaten zu seinem Lande von Grund aus
umgeändert hätte. Ein Erfolg, der wohl die gebrachten Opfer werth wäre.

Und welche Folgen hätte dieser Sieg sür den Vicekönig! Die letzte Fessel
wäre zerrissen, die letzte Schranke gefallen, die seinen absoluten Willen noch
gebunden halten. Die Consuln der europäischen Mächte, die ganze euro¬
päische Colonie, die er bis zur Stunde als rwli ins tÄvZsre scheut und
fürchtet -- sie wären ihm nicht mehr furchterweckende Gewalten. Die Rolle
der ersteren wäre ausgespielt, die unbezwingliche Schutzmauer der letzteren
durchbrochen. Hinter dem Schild seiner neugeschaffenen Gerichte wäre er ge¬
deckt gegen alle Angriffe, die nicht mehr ihn, sondern jene unter europäischem
Schutze eingesetzten Gerichtshöfe träfen. Die Consuln aber würde er eben
darauf verweisen, daß nicht er, sondern die Gerichte entscheiden, und sie
hätten kein Recht, ihn ferner zu belästigen.

Wer diesen Zustand für wünschenswert!) hält, der möge für ihn Plaidiren.
Uns scheint er kein Fortschritt im Sinne der Civilisation, wie die ägyptische
Regierung uns glauben machen will, sondern ein Rückfall in die Barbarei
vergangener Jahrhunderte.

Wäre es ihr wirklich Ernst mit ihren Bestrebungen für Civilisation, sie
hätte ein unendliches Gebiet, um sie zu documentiren. An ihren Schulen,
in ihrer Verwaltung sollte sie anfangen zu bessern; in Wahrheit, nicht nur
zum Schein sollte sie die Frohndienste aufheben. Nach den officiellen An¬
gaben der ägyptischen Regierung zur Zeit der Pariser Ausstellung 1867
und in der letzten Thronrede, Jan. 1869, hat sich die Zahl der Schüler von
3100 in 1867 auf 2100 in 1869 vermindert. -- Welcher Art die Sorge
der Negierung für diese Schulen ist, geht daraus hervor, daß in der Zeichnen-
Schule des Generalstabs kürzlich für 25 Schüler nur S Bleistifte. 4 Reiß.



-) Den höchsten Titel, den er verlangte, H-allen (Weiser) hat die Pforte ihm verweigert.

Selbständigkeit im Innern, auch in der Justizreform, dem Vicekönrg aus¬
drücklich zuerkannt. Allein es ist in politischen Dingen ein großer Unter¬
schied, ein Recht der Souverainetät nur dem Titel nach zu besitzen, oder es
durch offenkundige bekannte Handlungen wirklich zu bethätigen. Die geheime
Triebfeder des Vicekönigs ist, die volle Souverainetät über Aegypten zu erreichen.
Für die directe Erblichkeit seiner Würde, die Ernennung zum höheren Range
des Khedive (Fürst) hat er ungeheuere Summen an die Pforte und an ein¬
zelne einflußreiche Paschas in Konstantinopel bezahlt*). Aber all seine Opfer
würden unerheblich sein gegenüber dem Erfolg, wenn er nicht nur in directe
diplomatische Unterhandlung mit den Großmächten, ohne Dreinreden oder
Vermittelung der Pforte, eingetreten wäre, sondern die Mächte sogar zur
Ausgabe jahrhundertelang eifersüchtig bewachter Rechte gebracht und dadurch
das Verhältniß der europäischen Staaten zu seinem Lande von Grund aus
umgeändert hätte. Ein Erfolg, der wohl die gebrachten Opfer werth wäre.

Und welche Folgen hätte dieser Sieg sür den Vicekönig! Die letzte Fessel
wäre zerrissen, die letzte Schranke gefallen, die seinen absoluten Willen noch
gebunden halten. Die Consuln der europäischen Mächte, die ganze euro¬
päische Colonie, die er bis zur Stunde als rwli ins tÄvZsre scheut und
fürchtet — sie wären ihm nicht mehr furchterweckende Gewalten. Die Rolle
der ersteren wäre ausgespielt, die unbezwingliche Schutzmauer der letzteren
durchbrochen. Hinter dem Schild seiner neugeschaffenen Gerichte wäre er ge¬
deckt gegen alle Angriffe, die nicht mehr ihn, sondern jene unter europäischem
Schutze eingesetzten Gerichtshöfe träfen. Die Consuln aber würde er eben
darauf verweisen, daß nicht er, sondern die Gerichte entscheiden, und sie
hätten kein Recht, ihn ferner zu belästigen.

Wer diesen Zustand für wünschenswert!) hält, der möge für ihn Plaidiren.
Uns scheint er kein Fortschritt im Sinne der Civilisation, wie die ägyptische
Regierung uns glauben machen will, sondern ein Rückfall in die Barbarei
vergangener Jahrhunderte.

Wäre es ihr wirklich Ernst mit ihren Bestrebungen für Civilisation, sie
hätte ein unendliches Gebiet, um sie zu documentiren. An ihren Schulen,
in ihrer Verwaltung sollte sie anfangen zu bessern; in Wahrheit, nicht nur
zum Schein sollte sie die Frohndienste aufheben. Nach den officiellen An¬
gaben der ägyptischen Regierung zur Zeit der Pariser Ausstellung 1867
und in der letzten Thronrede, Jan. 1869, hat sich die Zahl der Schüler von
3100 in 1867 auf 2100 in 1869 vermindert. — Welcher Art die Sorge
der Negierung für diese Schulen ist, geht daraus hervor, daß in der Zeichnen-
Schule des Generalstabs kürzlich für 25 Schüler nur S Bleistifte. 4 Reiß.



-) Den höchsten Titel, den er verlangte, H-allen (Weiser) hat die Pforte ihm verweigert.
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[0304] Selbständigkeit im Innern, auch in der Justizreform, dem Vicekönrg aus¬ drücklich zuerkannt. Allein es ist in politischen Dingen ein großer Unter¬ schied, ein Recht der Souverainetät nur dem Titel nach zu besitzen, oder es durch offenkundige bekannte Handlungen wirklich zu bethätigen. Die geheime Triebfeder des Vicekönigs ist, die volle Souverainetät über Aegypten zu erreichen. Für die directe Erblichkeit seiner Würde, die Ernennung zum höheren Range des Khedive (Fürst) hat er ungeheuere Summen an die Pforte und an ein¬ zelne einflußreiche Paschas in Konstantinopel bezahlt*). Aber all seine Opfer würden unerheblich sein gegenüber dem Erfolg, wenn er nicht nur in directe diplomatische Unterhandlung mit den Großmächten, ohne Dreinreden oder Vermittelung der Pforte, eingetreten wäre, sondern die Mächte sogar zur Ausgabe jahrhundertelang eifersüchtig bewachter Rechte gebracht und dadurch das Verhältniß der europäischen Staaten zu seinem Lande von Grund aus umgeändert hätte. Ein Erfolg, der wohl die gebrachten Opfer werth wäre. Und welche Folgen hätte dieser Sieg sür den Vicekönig! Die letzte Fessel wäre zerrissen, die letzte Schranke gefallen, die seinen absoluten Willen noch gebunden halten. Die Consuln der europäischen Mächte, die ganze euro¬ päische Colonie, die er bis zur Stunde als rwli ins tÄvZsre scheut und fürchtet — sie wären ihm nicht mehr furchterweckende Gewalten. Die Rolle der ersteren wäre ausgespielt, die unbezwingliche Schutzmauer der letzteren durchbrochen. Hinter dem Schild seiner neugeschaffenen Gerichte wäre er ge¬ deckt gegen alle Angriffe, die nicht mehr ihn, sondern jene unter europäischem Schutze eingesetzten Gerichtshöfe träfen. Die Consuln aber würde er eben darauf verweisen, daß nicht er, sondern die Gerichte entscheiden, und sie hätten kein Recht, ihn ferner zu belästigen. Wer diesen Zustand für wünschenswert!) hält, der möge für ihn Plaidiren. Uns scheint er kein Fortschritt im Sinne der Civilisation, wie die ägyptische Regierung uns glauben machen will, sondern ein Rückfall in die Barbarei vergangener Jahrhunderte. Wäre es ihr wirklich Ernst mit ihren Bestrebungen für Civilisation, sie hätte ein unendliches Gebiet, um sie zu documentiren. An ihren Schulen, in ihrer Verwaltung sollte sie anfangen zu bessern; in Wahrheit, nicht nur zum Schein sollte sie die Frohndienste aufheben. Nach den officiellen An¬ gaben der ägyptischen Regierung zur Zeit der Pariser Ausstellung 1867 und in der letzten Thronrede, Jan. 1869, hat sich die Zahl der Schüler von 3100 in 1867 auf 2100 in 1869 vermindert. — Welcher Art die Sorge der Negierung für diese Schulen ist, geht daraus hervor, daß in der Zeichnen- Schule des Generalstabs kürzlich für 25 Schüler nur S Bleistifte. 4 Reiß. -) Den höchsten Titel, den er verlangte, H-allen (Weiser) hat die Pforte ihm verweigert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/304>, abgerufen am 04.07.2024.