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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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des Ganzen: die Streitigkeiten zwischen Europäern und dem Vicekönig oder
der Regierung. Es besteht keine gesetzliche Unterscheidung zwischen vice-
bürgerlichem Privat- und Staatseigenthum. Dies ist ein Uebelstand von
größter Tragweite. Denn in Aegypten liegt der einzige Fall vor, daß der
Herrscher des Landes zugleich dessen größter Grundbesitzer und Kaufmann ist.
Fast die Hälfte des Landes gehört Ismael-Pascha, der bekanntlich auf jede
denkbare Weise theils seinen Verwandten Mustcipha-, Hallen-, Tusfim-Pascha
und andern, theils der unglücklichen Bevölkerung Ländereien abgewonnen hat,
ersteren meist in der Form von Verkäufen, zu denen er sie durch Abschnei¬
dung der Canäle oder Vertreibung aus dem Lande u. s. w. gezwungen hatte.
Und die natürlich zu Schleuderpreisen ausgeführt wurden. Einen jährlichen
beträchtlichen Zuwachs erhält dieser sein Besitz durch Ländereien, welche von
requirirten Bauern neu urbar gemacht worden, oder welche dem Vicekönig
"ach islamitisch-ägyptischem Recht und Gebrauch heimfallen, wenn der rui-
nirte Bauer die Steuern nicht mehr erschwingen kann.

Die Früchte dieser Privat-Ländereien. die in Folge der bessern Bewirth¬
schaftung die reichsten Erträge geben, verkauft der Vicekönig. So steht er
in unaufhörlichen Beziehungen zu den Europäern, die den ganzen Export
wie Import ausschließlich in Händen haben. Denn auch am Verbrauch des
Imports nimmt der Vicekönig vermöge seines Grundbesitzes, seiner Fabriken
Und seiner Bedürfnisse großen Antheil.

Bei so ausgedehnten Beziehungen entstehen Differenzen und Streitig¬
keiten genug, und zunächst wegen diesen, beantragt die Regierung die Justiz-
Reform. Sie hofft die zu creirenden gemischten Gerichte weit mehr zu beein-
flussen, als die Consulate, vor welche dergleichen Fälle bisher gehörten,
^ut ihre Rechnung ist richtig. Gelänge die Reform in der beabsichtigten
Weise, sie wäre auch finanziell ein gutes Resultat für die Regierung. Geld
aber braucht diese Regierung immer und dringend. Daß sie, um diesen
Zweck zu erreichen, dies gesuchte Geld mit vollen Händen hinauswirft, die
Ungeheuersten Ausgaben macht, ohne nur halbwegs sicher zu sein, ob sie
auch ihren Zweck erreichen werde -- das ist ganz im Geiste ihrer kurzlebigen
Staatsklugheit, die immer nur von der Hand zum Munde lebt, und je theurer
ste das Geld bezahlen muß, nur um so leichtfertiger verschwendet. Allein in
Wahrheit ist die finanzielle Seite der Sache für die ägyptische Regierung
nur von untergeordnetem Werthe. Das wichtigste Moment ist ihr das
politische.

Gelingt es der Regierung des Vicekönigs, die Großmächte zu einer Re¬
form der Consulatsgerichtsbarkeit zu bewegen, so hat sie einen Act voller
Souverainetät ausgeübt, wie sie bis jetzt noch in keinem Falle vermocht hat.
Zwar hat der Sultan in einem seiner letzten Fermane das Recht voller


des Ganzen: die Streitigkeiten zwischen Europäern und dem Vicekönig oder
der Regierung. Es besteht keine gesetzliche Unterscheidung zwischen vice-
bürgerlichem Privat- und Staatseigenthum. Dies ist ein Uebelstand von
größter Tragweite. Denn in Aegypten liegt der einzige Fall vor, daß der
Herrscher des Landes zugleich dessen größter Grundbesitzer und Kaufmann ist.
Fast die Hälfte des Landes gehört Ismael-Pascha, der bekanntlich auf jede
denkbare Weise theils seinen Verwandten Mustcipha-, Hallen-, Tusfim-Pascha
und andern, theils der unglücklichen Bevölkerung Ländereien abgewonnen hat,
ersteren meist in der Form von Verkäufen, zu denen er sie durch Abschnei¬
dung der Canäle oder Vertreibung aus dem Lande u. s. w. gezwungen hatte.
Und die natürlich zu Schleuderpreisen ausgeführt wurden. Einen jährlichen
beträchtlichen Zuwachs erhält dieser sein Besitz durch Ländereien, welche von
requirirten Bauern neu urbar gemacht worden, oder welche dem Vicekönig
"ach islamitisch-ägyptischem Recht und Gebrauch heimfallen, wenn der rui-
nirte Bauer die Steuern nicht mehr erschwingen kann.

Die Früchte dieser Privat-Ländereien. die in Folge der bessern Bewirth¬
schaftung die reichsten Erträge geben, verkauft der Vicekönig. So steht er
in unaufhörlichen Beziehungen zu den Europäern, die den ganzen Export
wie Import ausschließlich in Händen haben. Denn auch am Verbrauch des
Imports nimmt der Vicekönig vermöge seines Grundbesitzes, seiner Fabriken
Und seiner Bedürfnisse großen Antheil.

Bei so ausgedehnten Beziehungen entstehen Differenzen und Streitig¬
keiten genug, und zunächst wegen diesen, beantragt die Regierung die Justiz-
Reform. Sie hofft die zu creirenden gemischten Gerichte weit mehr zu beein-
flussen, als die Consulate, vor welche dergleichen Fälle bisher gehörten,
^ut ihre Rechnung ist richtig. Gelänge die Reform in der beabsichtigten
Weise, sie wäre auch finanziell ein gutes Resultat für die Regierung. Geld
aber braucht diese Regierung immer und dringend. Daß sie, um diesen
Zweck zu erreichen, dies gesuchte Geld mit vollen Händen hinauswirft, die
Ungeheuersten Ausgaben macht, ohne nur halbwegs sicher zu sein, ob sie
auch ihren Zweck erreichen werde — das ist ganz im Geiste ihrer kurzlebigen
Staatsklugheit, die immer nur von der Hand zum Munde lebt, und je theurer
ste das Geld bezahlen muß, nur um so leichtfertiger verschwendet. Allein in
Wahrheit ist die finanzielle Seite der Sache für die ägyptische Regierung
nur von untergeordnetem Werthe. Das wichtigste Moment ist ihr das
politische.

Gelingt es der Regierung des Vicekönigs, die Großmächte zu einer Re¬
form der Consulatsgerichtsbarkeit zu bewegen, so hat sie einen Act voller
Souverainetät ausgeübt, wie sie bis jetzt noch in keinem Falle vermocht hat.
Zwar hat der Sultan in einem seiner letzten Fermane das Recht voller


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[0303] des Ganzen: die Streitigkeiten zwischen Europäern und dem Vicekönig oder der Regierung. Es besteht keine gesetzliche Unterscheidung zwischen vice- bürgerlichem Privat- und Staatseigenthum. Dies ist ein Uebelstand von größter Tragweite. Denn in Aegypten liegt der einzige Fall vor, daß der Herrscher des Landes zugleich dessen größter Grundbesitzer und Kaufmann ist. Fast die Hälfte des Landes gehört Ismael-Pascha, der bekanntlich auf jede denkbare Weise theils seinen Verwandten Mustcipha-, Hallen-, Tusfim-Pascha und andern, theils der unglücklichen Bevölkerung Ländereien abgewonnen hat, ersteren meist in der Form von Verkäufen, zu denen er sie durch Abschnei¬ dung der Canäle oder Vertreibung aus dem Lande u. s. w. gezwungen hatte. Und die natürlich zu Schleuderpreisen ausgeführt wurden. Einen jährlichen beträchtlichen Zuwachs erhält dieser sein Besitz durch Ländereien, welche von requirirten Bauern neu urbar gemacht worden, oder welche dem Vicekönig "ach islamitisch-ägyptischem Recht und Gebrauch heimfallen, wenn der rui- nirte Bauer die Steuern nicht mehr erschwingen kann. Die Früchte dieser Privat-Ländereien. die in Folge der bessern Bewirth¬ schaftung die reichsten Erträge geben, verkauft der Vicekönig. So steht er in unaufhörlichen Beziehungen zu den Europäern, die den ganzen Export wie Import ausschließlich in Händen haben. Denn auch am Verbrauch des Imports nimmt der Vicekönig vermöge seines Grundbesitzes, seiner Fabriken Und seiner Bedürfnisse großen Antheil. Bei so ausgedehnten Beziehungen entstehen Differenzen und Streitig¬ keiten genug, und zunächst wegen diesen, beantragt die Regierung die Justiz- Reform. Sie hofft die zu creirenden gemischten Gerichte weit mehr zu beein- flussen, als die Consulate, vor welche dergleichen Fälle bisher gehörten, ^ut ihre Rechnung ist richtig. Gelänge die Reform in der beabsichtigten Weise, sie wäre auch finanziell ein gutes Resultat für die Regierung. Geld aber braucht diese Regierung immer und dringend. Daß sie, um diesen Zweck zu erreichen, dies gesuchte Geld mit vollen Händen hinauswirft, die Ungeheuersten Ausgaben macht, ohne nur halbwegs sicher zu sein, ob sie auch ihren Zweck erreichen werde — das ist ganz im Geiste ihrer kurzlebigen Staatsklugheit, die immer nur von der Hand zum Munde lebt, und je theurer ste das Geld bezahlen muß, nur um so leichtfertiger verschwendet. Allein in Wahrheit ist die finanzielle Seite der Sache für die ägyptische Regierung nur von untergeordnetem Werthe. Das wichtigste Moment ist ihr das politische. Gelingt es der Regierung des Vicekönigs, die Großmächte zu einer Re¬ form der Consulatsgerichtsbarkeit zu bewegen, so hat sie einen Act voller Souverainetät ausgeübt, wie sie bis jetzt noch in keinem Falle vermocht hat. Zwar hat der Sultan in einem seiner letzten Fermane das Recht voller

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/303>, abgerufen am 04.07.2024.