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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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besitzen die angeborene Gewissenhaftigkeit der germanischen Race. Das Leben
in Aegypten ist enorm theuer, der Gehalt eines deutschen Ministers ist hier
keine große Sache. Es werden sich Ante finden, die ein großes Haus machen,
nicht nur bequem und gut, sondern auch gesellig leben, eine Rolle spielen
wollen. Es ist ganz undenkbar, daß der Gehalt jener Beamten so zugemessen
werde, daß derselbe nicht im Mißverhältniß zu solchen Wünschen und Be¬
dürfnissen stünde. An Versuchungen wird es nicht, fehlen. Nirgends sind
sie größer als in Aegypten, nirgends ist die öffentliche Meinung in diesem
Punkte nachsichtiger als hier. Genug, wer die Verhältnisse kennt, wird auf
die von einer einzigen Stimme abhängende Majorität nicht das Mindeste
geben.

Man wird einwenden, bei Streitigkeiten Privater habe die Regierung
keinerlei Interesse die Entscheidung zu beeinflussen. Dies dürfte an sich nicht
richtig sein, denn das Interesse von Regierungsmitgliedern kann durch Geld
gewonnen werden. Allein die Hauptsache ist. daß Streitigkeiten Privater
überhaupt nicht die wichtigen Fälle bilden. Händel von Europäern verschie¬
dener Nationalität unter einander können nichts gewinnen durch die Theil¬
nahme eingeborner Richter, der sie bis jetzt entrückt waren. Oder es sind
Streitigkeiten zwischen Eingeborenen und Europäern, und zwar Eingeborne
als Kläger oder als Verklagte. Der erstere dieser Fälle ist verhältnißmäßig
selten. Obgleich auf dem Markt von Alexandria jährlich 3--400 Millionen
Francs in Landesproducten von Arabien an Europäer verkauft werden,
kommen fast niemals Processe vor: der Europäer bezahlt fast ohne Ausnahme
baar, der Araber hat selten Grund zu klagen. Umgekehrt ist es beim Import.
Hier herrscht ein ausgedehntes Creditirungssystem, und der Importeur hat
unaufhörlich mit nicht bezahlenden Schuldnern zu kämpfen; betrügerische
Bankerotte sind sehr häufig. Der Araber hat keinen Begriff von kauf¬
männischer Coulanz: er hängt sich leicht an eine Kleinigkeit und sieht nicht,
daß darüber oft große Vortheile verloren gehen. So ist er zu kleinlichen
Abhandeln und Betrügen sehr geneigt, er wird nie daran denken, durch mä¬
ßigen Verdienst aber großen Umschlag seinen Vortheil zu suchen, er ist in
besonderer Gefahr^ um einer geringfügigen Summe willen einen guten Kunden
zu betrügen oder von sich gehen zu lassen. In den hieraus entstehenden
Processen kann der Europäer fast niemals Vortheil ziehen: meist büßt er auch
im günstigen Falle etwas ein. ganz ungerechnet die unaufhörlichen Störungen
und Quälereien, die ihm daraus erwachsen. Die Entscheidung dieser Processe
war bisher den gemischten Handelsgerichten in Alexandria und Cairo über¬
tragen. Die beabsichtigte Justiz-Reform würde, hierin vielleicht eine Ver¬
besserung schaffen, die schwerlich von großer Bedeutung sein wird.

Es bleiben aber andere Streitfälle, ohne Zweifel der beträchtlichste Theil


besitzen die angeborene Gewissenhaftigkeit der germanischen Race. Das Leben
in Aegypten ist enorm theuer, der Gehalt eines deutschen Ministers ist hier
keine große Sache. Es werden sich Ante finden, die ein großes Haus machen,
nicht nur bequem und gut, sondern auch gesellig leben, eine Rolle spielen
wollen. Es ist ganz undenkbar, daß der Gehalt jener Beamten so zugemessen
werde, daß derselbe nicht im Mißverhältniß zu solchen Wünschen und Be¬
dürfnissen stünde. An Versuchungen wird es nicht, fehlen. Nirgends sind
sie größer als in Aegypten, nirgends ist die öffentliche Meinung in diesem
Punkte nachsichtiger als hier. Genug, wer die Verhältnisse kennt, wird auf
die von einer einzigen Stimme abhängende Majorität nicht das Mindeste
geben.

Man wird einwenden, bei Streitigkeiten Privater habe die Regierung
keinerlei Interesse die Entscheidung zu beeinflussen. Dies dürfte an sich nicht
richtig sein, denn das Interesse von Regierungsmitgliedern kann durch Geld
gewonnen werden. Allein die Hauptsache ist. daß Streitigkeiten Privater
überhaupt nicht die wichtigen Fälle bilden. Händel von Europäern verschie¬
dener Nationalität unter einander können nichts gewinnen durch die Theil¬
nahme eingeborner Richter, der sie bis jetzt entrückt waren. Oder es sind
Streitigkeiten zwischen Eingeborenen und Europäern, und zwar Eingeborne
als Kläger oder als Verklagte. Der erstere dieser Fälle ist verhältnißmäßig
selten. Obgleich auf dem Markt von Alexandria jährlich 3—400 Millionen
Francs in Landesproducten von Arabien an Europäer verkauft werden,
kommen fast niemals Processe vor: der Europäer bezahlt fast ohne Ausnahme
baar, der Araber hat selten Grund zu klagen. Umgekehrt ist es beim Import.
Hier herrscht ein ausgedehntes Creditirungssystem, und der Importeur hat
unaufhörlich mit nicht bezahlenden Schuldnern zu kämpfen; betrügerische
Bankerotte sind sehr häufig. Der Araber hat keinen Begriff von kauf¬
männischer Coulanz: er hängt sich leicht an eine Kleinigkeit und sieht nicht,
daß darüber oft große Vortheile verloren gehen. So ist er zu kleinlichen
Abhandeln und Betrügen sehr geneigt, er wird nie daran denken, durch mä¬
ßigen Verdienst aber großen Umschlag seinen Vortheil zu suchen, er ist in
besonderer Gefahr^ um einer geringfügigen Summe willen einen guten Kunden
zu betrügen oder von sich gehen zu lassen. In den hieraus entstehenden
Processen kann der Europäer fast niemals Vortheil ziehen: meist büßt er auch
im günstigen Falle etwas ein. ganz ungerechnet die unaufhörlichen Störungen
und Quälereien, die ihm daraus erwachsen. Die Entscheidung dieser Processe
war bisher den gemischten Handelsgerichten in Alexandria und Cairo über¬
tragen. Die beabsichtigte Justiz-Reform würde, hierin vielleicht eine Ver¬
besserung schaffen, die schwerlich von großer Bedeutung sein wird.

Es bleiben aber andere Streitfälle, ohne Zweifel der beträchtlichste Theil


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[0302] besitzen die angeborene Gewissenhaftigkeit der germanischen Race. Das Leben in Aegypten ist enorm theuer, der Gehalt eines deutschen Ministers ist hier keine große Sache. Es werden sich Ante finden, die ein großes Haus machen, nicht nur bequem und gut, sondern auch gesellig leben, eine Rolle spielen wollen. Es ist ganz undenkbar, daß der Gehalt jener Beamten so zugemessen werde, daß derselbe nicht im Mißverhältniß zu solchen Wünschen und Be¬ dürfnissen stünde. An Versuchungen wird es nicht, fehlen. Nirgends sind sie größer als in Aegypten, nirgends ist die öffentliche Meinung in diesem Punkte nachsichtiger als hier. Genug, wer die Verhältnisse kennt, wird auf die von einer einzigen Stimme abhängende Majorität nicht das Mindeste geben. Man wird einwenden, bei Streitigkeiten Privater habe die Regierung keinerlei Interesse die Entscheidung zu beeinflussen. Dies dürfte an sich nicht richtig sein, denn das Interesse von Regierungsmitgliedern kann durch Geld gewonnen werden. Allein die Hauptsache ist. daß Streitigkeiten Privater überhaupt nicht die wichtigen Fälle bilden. Händel von Europäern verschie¬ dener Nationalität unter einander können nichts gewinnen durch die Theil¬ nahme eingeborner Richter, der sie bis jetzt entrückt waren. Oder es sind Streitigkeiten zwischen Eingeborenen und Europäern, und zwar Eingeborne als Kläger oder als Verklagte. Der erstere dieser Fälle ist verhältnißmäßig selten. Obgleich auf dem Markt von Alexandria jährlich 3—400 Millionen Francs in Landesproducten von Arabien an Europäer verkauft werden, kommen fast niemals Processe vor: der Europäer bezahlt fast ohne Ausnahme baar, der Araber hat selten Grund zu klagen. Umgekehrt ist es beim Import. Hier herrscht ein ausgedehntes Creditirungssystem, und der Importeur hat unaufhörlich mit nicht bezahlenden Schuldnern zu kämpfen; betrügerische Bankerotte sind sehr häufig. Der Araber hat keinen Begriff von kauf¬ männischer Coulanz: er hängt sich leicht an eine Kleinigkeit und sieht nicht, daß darüber oft große Vortheile verloren gehen. So ist er zu kleinlichen Abhandeln und Betrügen sehr geneigt, er wird nie daran denken, durch mä¬ ßigen Verdienst aber großen Umschlag seinen Vortheil zu suchen, er ist in besonderer Gefahr^ um einer geringfügigen Summe willen einen guten Kunden zu betrügen oder von sich gehen zu lassen. In den hieraus entstehenden Processen kann der Europäer fast niemals Vortheil ziehen: meist büßt er auch im günstigen Falle etwas ein. ganz ungerechnet die unaufhörlichen Störungen und Quälereien, die ihm daraus erwachsen. Die Entscheidung dieser Processe war bisher den gemischten Handelsgerichten in Alexandria und Cairo über¬ tragen. Die beabsichtigte Justiz-Reform würde, hierin vielleicht eine Ver¬ besserung schaffen, die schwerlich von großer Bedeutung sein wird. Es bleiben aber andere Streitfälle, ohne Zweifel der beträchtlichste Theil

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/302>, abgerufen am 05.07.2024.