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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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geborenen schwerlich auch nur eine mäßigere Anzahl, die nicht von der kläg¬
lichen Beschaffenheit und von der absoluten Unzuverlässigkeit der einheimischen
Gerichte überzeugt wären. Jedermann hier weiß, daß Rechtssicherheit ein
Begriff ist. den in Aegypten einzig und allein die Europäer, und zwar in
ihren Consulatsgerichten haben, daß Recht dagegen überall, wo die Macht
der Consuln nicht hinreicht, ganz und gar sehlt. Die Regierung spricht
von einheimischen Gerichten. Aber es ist schlechterdings noch kein Fall vor-
gekommen, daß ein Eingeborener in einem Processe mit der Regierung, dem
Vicekönig, oder auch nur einem der höheren Beamten oder Paschas, Recht
gefunden hätte. Ja, der Betroffene giebt lieber freiwillig her. so lange er
etwas besitzt, wenn er es nicht verbergen kann, als daß er eine Klage vor¬
brachte -- weil in letzterem Falle nicht nur sein Hab und Gut sicherlich,
sondern auch seine bürgerliche Existenz, sehr wahrscheinlich sein Leben ver¬
loren sind.

Völlig rechtslos würde auch der Europäer, wenn die Pläne Ismael.
Pescha's durchgeführt würden -- man täusche sich darüber nicht. Die
Negierung hat die Majorität des europäischen Elementes nachträglich in
ihren Gerichten zugegeben, weil sie einsah, daß ohne dieselbe keine Großmacht
auf ihre Vorschläge eingegangen sein würde. Aber was bedeutet diese
Majorität? Eine einzige Stimme der europäischen Richter gewonnen -- und
alle Processe werden unweigerlich nach den Wünschen der Regierung ent¬
schieden. Denn die ägyptischen Mitglieder der Gerichte sind nichts als
Werkzeuge des Vicekönigs. Nationalcharakter und sociale Zustände machen
diesen eingeborenen Richtern ein selbstständiges Einstehen für eine rechtliche
Ueberzeugung unmöglich. Die eingeborene Bevölkerung hat zur Zeit schwerlich
auch nur einen einzigen Mann aufzuweisen, der nur den Muth hätte, gegen
den Willen seiner Regierung zu stimmen. Denn der Unglückliche, welcher es
wagte, selbstständig zu sein, riskirte Vermögen und bürgerliche Existenz und
wenn diese durch irgend welche Garantien der Unabsetzbarkeit gesichert werden
könnten, so hätte er mit Wahrscheinlichkeit ein "zufälliges Unglück" zu er¬
warten, das ihn über alle Schmerzen hinwegsetzte. Im besten Falle würde
ein widerspenstiger eingeborener Richter in kürzester Frist dahin gebracht sein,
freiwillig sein dornenvolles Amt aufzugeben. Aber bei dem Charakter dieses
Volkes ist es ganz undenkbar, daß er nicht vorziehen sollte, sich dem Willen
der Regierung zu fügen, anstatt Ungemach über sich ergehen zu lassen.

Wie leicht es aber gelingt, eine einzige Stimme eines Collegs zu diffe-
rirender Ansicht zu bestimmen, weiß Jeder. Der Fall kann eintreten bei
einer ganz ehrlichen Verschiedenheit der Ansichten über eine Sache. Er kann
auch durch andere Mittel herbeigeführt werden. Die emopäischen Richter
werden aus den verschiedensten Nationalitäten gewählt werden. Nicht alle


geborenen schwerlich auch nur eine mäßigere Anzahl, die nicht von der kläg¬
lichen Beschaffenheit und von der absoluten Unzuverlässigkeit der einheimischen
Gerichte überzeugt wären. Jedermann hier weiß, daß Rechtssicherheit ein
Begriff ist. den in Aegypten einzig und allein die Europäer, und zwar in
ihren Consulatsgerichten haben, daß Recht dagegen überall, wo die Macht
der Consuln nicht hinreicht, ganz und gar sehlt. Die Regierung spricht
von einheimischen Gerichten. Aber es ist schlechterdings noch kein Fall vor-
gekommen, daß ein Eingeborener in einem Processe mit der Regierung, dem
Vicekönig, oder auch nur einem der höheren Beamten oder Paschas, Recht
gefunden hätte. Ja, der Betroffene giebt lieber freiwillig her. so lange er
etwas besitzt, wenn er es nicht verbergen kann, als daß er eine Klage vor¬
brachte — weil in letzterem Falle nicht nur sein Hab und Gut sicherlich,
sondern auch seine bürgerliche Existenz, sehr wahrscheinlich sein Leben ver¬
loren sind.

Völlig rechtslos würde auch der Europäer, wenn die Pläne Ismael.
Pescha's durchgeführt würden — man täusche sich darüber nicht. Die
Negierung hat die Majorität des europäischen Elementes nachträglich in
ihren Gerichten zugegeben, weil sie einsah, daß ohne dieselbe keine Großmacht
auf ihre Vorschläge eingegangen sein würde. Aber was bedeutet diese
Majorität? Eine einzige Stimme der europäischen Richter gewonnen — und
alle Processe werden unweigerlich nach den Wünschen der Regierung ent¬
schieden. Denn die ägyptischen Mitglieder der Gerichte sind nichts als
Werkzeuge des Vicekönigs. Nationalcharakter und sociale Zustände machen
diesen eingeborenen Richtern ein selbstständiges Einstehen für eine rechtliche
Ueberzeugung unmöglich. Die eingeborene Bevölkerung hat zur Zeit schwerlich
auch nur einen einzigen Mann aufzuweisen, der nur den Muth hätte, gegen
den Willen seiner Regierung zu stimmen. Denn der Unglückliche, welcher es
wagte, selbstständig zu sein, riskirte Vermögen und bürgerliche Existenz und
wenn diese durch irgend welche Garantien der Unabsetzbarkeit gesichert werden
könnten, so hätte er mit Wahrscheinlichkeit ein „zufälliges Unglück" zu er¬
warten, das ihn über alle Schmerzen hinwegsetzte. Im besten Falle würde
ein widerspenstiger eingeborener Richter in kürzester Frist dahin gebracht sein,
freiwillig sein dornenvolles Amt aufzugeben. Aber bei dem Charakter dieses
Volkes ist es ganz undenkbar, daß er nicht vorziehen sollte, sich dem Willen
der Regierung zu fügen, anstatt Ungemach über sich ergehen zu lassen.

Wie leicht es aber gelingt, eine einzige Stimme eines Collegs zu diffe-
rirender Ansicht zu bestimmen, weiß Jeder. Der Fall kann eintreten bei
einer ganz ehrlichen Verschiedenheit der Ansichten über eine Sache. Er kann
auch durch andere Mittel herbeigeführt werden. Die emopäischen Richter
werden aus den verschiedensten Nationalitäten gewählt werden. Nicht alle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/301>, abgerufen am 04.07.2024.