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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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an die Regierung gestellt und durchgesetzt wird. Denn leider finden sich
unter den Vertretern fremder Nationen unsaubere Subjecte, deren sich die
bessern ihrer Collegen selber schämen; wie denn z. B. Consulate für Staaten
bestehen, die weder Unterthanen in Aegypten haben, noch auch Handel dahin
treiben. Dies ist eine Schuld und zuweilen eine Schmach der Christen und
nur durch die Staaten Europas zu bessern.

Wir gestehen übrigens unsere Zweifel, ob die genannten 72 Mill. wirk¬
lich alle für diplomatisch vertretene Entschädigungsforderungen gezahlt
wurden. Die Negierung oder der Vicekönig -- zwischen welchen eine feste
Grenze zu ziehen absolute Unmöglichkeit ist -- sind, nach jahrzehntelanger
Tradition, unzählige Mal das Opfer von Betrügereien Privater. Hierüber
ließen sich Bücher schreiben. Der Vicekönig oder die Regierung lassen sich
von einem europäischen Schwindler übertölpeln und bezahlen für Leistungen,
Waaren, Schiffe, Anlagen, einen dreifach höheren Preis, als recht; sie
werden durch Bestechung ihrer eigenen Douane mit den Passirscheinen von
Waarenmcissen betrogen, welche die Douane von Alexandria oder Port Sai'd
nie passirt haben. Die Regierung zählt dergleichen Fälle, die sie in der
Regel viel zu spät erkennt, vermuthlich mit zu jenen 72 Millionen. Sie
unterläßt aber zu erwähnen, daß sie selbst ihre Beamten oft halbe und ganze
Jahre nicht bezahlt, und dadurch der Bestechung, für welche der Eingeborene
ohnehin sehr empfänglich ist, vollends Thür und Thor öffnet, daß sie sich
gern und immer wieder mit hergelaufenen Abenteurern einläßt, anstatt sich
an solide und bekannte Geschäftshäuser zu halten. Sie erwähnt endlich nicht,
daß die Bestechung bis in die höchsten Kreise ihrer Beamten dringt, ja daß
größere Geschäfte in den allermeisten Fällen ohne Bestechung überhaupt nicht
zu machen sind, und daß daher selbst die solidesten Firmen, wenn sie nicht
zu Grunde gehen wollen, in vielen Fällen zur Anwendung dieses Mittels
im Kleinen oder Großen, schreiten müssen. Wir erinnern nur an einen
Fall, den in Aegypten jeder Geschäftsmann kennt, wo man, um die Bei¬
hülfe der Negierung zur Rückzahlung sehr beträchtlicher Aufstände bei Ein¬
geborenen zu erlangen, 10,000 Pfd. sert. als Bakschisch gab. Der betreffende
Beamte steckte die Summe ein, die Compagnie, welche das große Trinkgeld
gegeben Halle, erreichte ihren Zweck aber doch nicht. Diese Art von Unehr-
lichkeit entrüstete hier, Russen und Türken fühlten sich als die bessern Leute.

Die ägyptische Regierung klagt, daß der Eingeborene kein Recht bei den
Consulatsgenchten fände, und daß er durch die Mißbräuche, die er bei den
Europäern wahrnehme, demoralisirt werde. Nubar-Pascha führt als Beispiel
an, daß bei Miethstreitigkeiten der einheimische Hausbesitzer es oft vorziehe,
sein Haus dem Europäer ganz zu überlassen, als daß er sich an die Con-
sulatsgerichte wende, um den Fremden zu verklagen. Bekannt war uns


an die Regierung gestellt und durchgesetzt wird. Denn leider finden sich
unter den Vertretern fremder Nationen unsaubere Subjecte, deren sich die
bessern ihrer Collegen selber schämen; wie denn z. B. Consulate für Staaten
bestehen, die weder Unterthanen in Aegypten haben, noch auch Handel dahin
treiben. Dies ist eine Schuld und zuweilen eine Schmach der Christen und
nur durch die Staaten Europas zu bessern.

Wir gestehen übrigens unsere Zweifel, ob die genannten 72 Mill. wirk¬
lich alle für diplomatisch vertretene Entschädigungsforderungen gezahlt
wurden. Die Negierung oder der Vicekönig — zwischen welchen eine feste
Grenze zu ziehen absolute Unmöglichkeit ist — sind, nach jahrzehntelanger
Tradition, unzählige Mal das Opfer von Betrügereien Privater. Hierüber
ließen sich Bücher schreiben. Der Vicekönig oder die Regierung lassen sich
von einem europäischen Schwindler übertölpeln und bezahlen für Leistungen,
Waaren, Schiffe, Anlagen, einen dreifach höheren Preis, als recht; sie
werden durch Bestechung ihrer eigenen Douane mit den Passirscheinen von
Waarenmcissen betrogen, welche die Douane von Alexandria oder Port Sai'd
nie passirt haben. Die Regierung zählt dergleichen Fälle, die sie in der
Regel viel zu spät erkennt, vermuthlich mit zu jenen 72 Millionen. Sie
unterläßt aber zu erwähnen, daß sie selbst ihre Beamten oft halbe und ganze
Jahre nicht bezahlt, und dadurch der Bestechung, für welche der Eingeborene
ohnehin sehr empfänglich ist, vollends Thür und Thor öffnet, daß sie sich
gern und immer wieder mit hergelaufenen Abenteurern einläßt, anstatt sich
an solide und bekannte Geschäftshäuser zu halten. Sie erwähnt endlich nicht,
daß die Bestechung bis in die höchsten Kreise ihrer Beamten dringt, ja daß
größere Geschäfte in den allermeisten Fällen ohne Bestechung überhaupt nicht
zu machen sind, und daß daher selbst die solidesten Firmen, wenn sie nicht
zu Grunde gehen wollen, in vielen Fällen zur Anwendung dieses Mittels
im Kleinen oder Großen, schreiten müssen. Wir erinnern nur an einen
Fall, den in Aegypten jeder Geschäftsmann kennt, wo man, um die Bei¬
hülfe der Negierung zur Rückzahlung sehr beträchtlicher Aufstände bei Ein¬
geborenen zu erlangen, 10,000 Pfd. sert. als Bakschisch gab. Der betreffende
Beamte steckte die Summe ein, die Compagnie, welche das große Trinkgeld
gegeben Halle, erreichte ihren Zweck aber doch nicht. Diese Art von Unehr-
lichkeit entrüstete hier, Russen und Türken fühlten sich als die bessern Leute.

Die ägyptische Regierung klagt, daß der Eingeborene kein Recht bei den
Consulatsgenchten fände, und daß er durch die Mißbräuche, die er bei den
Europäern wahrnehme, demoralisirt werde. Nubar-Pascha führt als Beispiel
an, daß bei Miethstreitigkeiten der einheimische Hausbesitzer es oft vorziehe,
sein Haus dem Europäer ganz zu überlassen, als daß er sich an die Con-
sulatsgerichte wende, um den Fremden zu verklagen. Bekannt war uns


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[0294] an die Regierung gestellt und durchgesetzt wird. Denn leider finden sich unter den Vertretern fremder Nationen unsaubere Subjecte, deren sich die bessern ihrer Collegen selber schämen; wie denn z. B. Consulate für Staaten bestehen, die weder Unterthanen in Aegypten haben, noch auch Handel dahin treiben. Dies ist eine Schuld und zuweilen eine Schmach der Christen und nur durch die Staaten Europas zu bessern. Wir gestehen übrigens unsere Zweifel, ob die genannten 72 Mill. wirk¬ lich alle für diplomatisch vertretene Entschädigungsforderungen gezahlt wurden. Die Negierung oder der Vicekönig — zwischen welchen eine feste Grenze zu ziehen absolute Unmöglichkeit ist — sind, nach jahrzehntelanger Tradition, unzählige Mal das Opfer von Betrügereien Privater. Hierüber ließen sich Bücher schreiben. Der Vicekönig oder die Regierung lassen sich von einem europäischen Schwindler übertölpeln und bezahlen für Leistungen, Waaren, Schiffe, Anlagen, einen dreifach höheren Preis, als recht; sie werden durch Bestechung ihrer eigenen Douane mit den Passirscheinen von Waarenmcissen betrogen, welche die Douane von Alexandria oder Port Sai'd nie passirt haben. Die Regierung zählt dergleichen Fälle, die sie in der Regel viel zu spät erkennt, vermuthlich mit zu jenen 72 Millionen. Sie unterläßt aber zu erwähnen, daß sie selbst ihre Beamten oft halbe und ganze Jahre nicht bezahlt, und dadurch der Bestechung, für welche der Eingeborene ohnehin sehr empfänglich ist, vollends Thür und Thor öffnet, daß sie sich gern und immer wieder mit hergelaufenen Abenteurern einläßt, anstatt sich an solide und bekannte Geschäftshäuser zu halten. Sie erwähnt endlich nicht, daß die Bestechung bis in die höchsten Kreise ihrer Beamten dringt, ja daß größere Geschäfte in den allermeisten Fällen ohne Bestechung überhaupt nicht zu machen sind, und daß daher selbst die solidesten Firmen, wenn sie nicht zu Grunde gehen wollen, in vielen Fällen zur Anwendung dieses Mittels im Kleinen oder Großen, schreiten müssen. Wir erinnern nur an einen Fall, den in Aegypten jeder Geschäftsmann kennt, wo man, um die Bei¬ hülfe der Negierung zur Rückzahlung sehr beträchtlicher Aufstände bei Ein¬ geborenen zu erlangen, 10,000 Pfd. sert. als Bakschisch gab. Der betreffende Beamte steckte die Summe ein, die Compagnie, welche das große Trinkgeld gegeben Halle, erreichte ihren Zweck aber doch nicht. Diese Art von Unehr- lichkeit entrüstete hier, Russen und Türken fühlten sich als die bessern Leute. Die ägyptische Regierung klagt, daß der Eingeborene kein Recht bei den Consulatsgenchten fände, und daß er durch die Mißbräuche, die er bei den Europäern wahrnehme, demoralisirt werde. Nubar-Pascha führt als Beispiel an, daß bei Miethstreitigkeiten der einheimische Hausbesitzer es oft vorziehe, sein Haus dem Europäer ganz zu überlassen, als daß er sich an die Con- sulatsgerichte wende, um den Fremden zu verklagen. Bekannt war uns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/294>, abgerufen am 04.07.2024.