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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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welchem sie die Gefährdung ihrer Interessen darlegte und um den Schutz der
Regierung bat. Die Vorstellung wurde von Lord Stanley mit der Be¬
merkung angenommen, daß die Regierung die Rechte ihrer Angehörigen nicht
außer Acht lassen werde. Aber fast gleichzeitig brachte Mr. Layard die Sache
im Parlament zur Sprache und zwar in einer für die ägyptische Regierung
äußerst günstigen Darstellung, die leider voll von Unrichtigkeiten ist, wie sich
im Folgenden zeigen wird.

Nubar-Pascha hat seitdem die Höfe der Großmächte besucht und neue¬
ster Zeit seinem Gebieter persönlich Bericht abgestattet; der Zusammen¬
tritt einer europäischen Commission in dieser Sache bald als nahe bevor¬
stehend, bald als zweifelhaft erklärt.

Sicher ist es durchaus kein normaler Zustand eines Landes, wenn in
demselben sechszehnerlei verschiedene Gerichtsbarkeiten bestehen und sechs-
zehnerlei Rechte gelten. Denn in der That, jede der in Aegypten vertrete¬
nen Nationen hat ihren eigenen Consulatgerichtshof und ihr eigenes Ge¬
setzbuch. Allein es fragt sich, ob nicht die beabsichtigte Reform, wenn sie
nach den Vorschlägen der ägyptischen Regierung erfolgte, Uebelstände herbei¬
führen würde, welche weit größer wären, als die jetzt bestehenden?

Die ägyptische Regierung klagt darüber, daß sie innerhalb weniger Jahre
an Europäer 72000.000 Fras. Entschädigungen habe zahlen müssen. Es ist
ihr wahrlich nicht zu verdenken, daß sie Abhülfe dieser Calamität sucht. Sie
sieht den Grund ihrer Opfer in dem Umstände, daß die Forderung um
Schadenersatz, willkürlich aufgestellt, aber von den Consuln der fremden
Mächte unterstützt, aus einer Privatangelegenheit sofort eine diplomatische
werde; weshalb die Negierung sich meistens zur Zahlung entschließe, um
Verwickelungen vorzubeugen.

In dieser Klage ist noch heut einige Wahrheit, sie war noch in neuer
Zeit sehr gerechtfertigt. Bis vor wenigen Jahren konnte dem Europäer
kaum etwas Besseres zustoßen, als eine kleine Vergewaltigung seitens der
ägyptischen Behörden, oder ein Unglück, wofür er unter irgend einem Vor-
wande Schadenersatz forderte. Man pflegte in diesem Punkte nicht blöde
zu sein, und bewegte sich mit Vorliebe in großen Summen. Allein die
Zeiten haben sich geändert, heute sind diese Ersatzforderungen nicht mehr
eine Goldgrube, vielmehr meist eine Quelle unendlicher Quälerei und es
hält z. B. oft sehr schwer, den rückständigen Gehalt eines Europäers ein¬
zutreiben, eine contractwidrige Absetzung rückgängig zu machen oder Ersatz
dafür zu erhalten. Auch sind die Consulate sehr viel vorsichtiger in der Be¬
rücksichtigung von Forderungen geworden: die gerechteren weisen gar manche
Sache ab, die vor einigen Jahren ihre Unterstützung gefunden hätte. Trotz¬
dem gibt jeder Billigdenkende zu, daß auch jetzt manche unbillige Forderung


welchem sie die Gefährdung ihrer Interessen darlegte und um den Schutz der
Regierung bat. Die Vorstellung wurde von Lord Stanley mit der Be¬
merkung angenommen, daß die Regierung die Rechte ihrer Angehörigen nicht
außer Acht lassen werde. Aber fast gleichzeitig brachte Mr. Layard die Sache
im Parlament zur Sprache und zwar in einer für die ägyptische Regierung
äußerst günstigen Darstellung, die leider voll von Unrichtigkeiten ist, wie sich
im Folgenden zeigen wird.

Nubar-Pascha hat seitdem die Höfe der Großmächte besucht und neue¬
ster Zeit seinem Gebieter persönlich Bericht abgestattet; der Zusammen¬
tritt einer europäischen Commission in dieser Sache bald als nahe bevor¬
stehend, bald als zweifelhaft erklärt.

Sicher ist es durchaus kein normaler Zustand eines Landes, wenn in
demselben sechszehnerlei verschiedene Gerichtsbarkeiten bestehen und sechs-
zehnerlei Rechte gelten. Denn in der That, jede der in Aegypten vertrete¬
nen Nationen hat ihren eigenen Consulatgerichtshof und ihr eigenes Ge¬
setzbuch. Allein es fragt sich, ob nicht die beabsichtigte Reform, wenn sie
nach den Vorschlägen der ägyptischen Regierung erfolgte, Uebelstände herbei¬
führen würde, welche weit größer wären, als die jetzt bestehenden?

Die ägyptische Regierung klagt darüber, daß sie innerhalb weniger Jahre
an Europäer 72000.000 Fras. Entschädigungen habe zahlen müssen. Es ist
ihr wahrlich nicht zu verdenken, daß sie Abhülfe dieser Calamität sucht. Sie
sieht den Grund ihrer Opfer in dem Umstände, daß die Forderung um
Schadenersatz, willkürlich aufgestellt, aber von den Consuln der fremden
Mächte unterstützt, aus einer Privatangelegenheit sofort eine diplomatische
werde; weshalb die Negierung sich meistens zur Zahlung entschließe, um
Verwickelungen vorzubeugen.

In dieser Klage ist noch heut einige Wahrheit, sie war noch in neuer
Zeit sehr gerechtfertigt. Bis vor wenigen Jahren konnte dem Europäer
kaum etwas Besseres zustoßen, als eine kleine Vergewaltigung seitens der
ägyptischen Behörden, oder ein Unglück, wofür er unter irgend einem Vor-
wande Schadenersatz forderte. Man pflegte in diesem Punkte nicht blöde
zu sein, und bewegte sich mit Vorliebe in großen Summen. Allein die
Zeiten haben sich geändert, heute sind diese Ersatzforderungen nicht mehr
eine Goldgrube, vielmehr meist eine Quelle unendlicher Quälerei und es
hält z. B. oft sehr schwer, den rückständigen Gehalt eines Europäers ein¬
zutreiben, eine contractwidrige Absetzung rückgängig zu machen oder Ersatz
dafür zu erhalten. Auch sind die Consulate sehr viel vorsichtiger in der Be¬
rücksichtigung von Forderungen geworden: die gerechteren weisen gar manche
Sache ab, die vor einigen Jahren ihre Unterstützung gefunden hätte. Trotz¬
dem gibt jeder Billigdenkende zu, daß auch jetzt manche unbillige Forderung


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[0293] welchem sie die Gefährdung ihrer Interessen darlegte und um den Schutz der Regierung bat. Die Vorstellung wurde von Lord Stanley mit der Be¬ merkung angenommen, daß die Regierung die Rechte ihrer Angehörigen nicht außer Acht lassen werde. Aber fast gleichzeitig brachte Mr. Layard die Sache im Parlament zur Sprache und zwar in einer für die ägyptische Regierung äußerst günstigen Darstellung, die leider voll von Unrichtigkeiten ist, wie sich im Folgenden zeigen wird. Nubar-Pascha hat seitdem die Höfe der Großmächte besucht und neue¬ ster Zeit seinem Gebieter persönlich Bericht abgestattet; der Zusammen¬ tritt einer europäischen Commission in dieser Sache bald als nahe bevor¬ stehend, bald als zweifelhaft erklärt. Sicher ist es durchaus kein normaler Zustand eines Landes, wenn in demselben sechszehnerlei verschiedene Gerichtsbarkeiten bestehen und sechs- zehnerlei Rechte gelten. Denn in der That, jede der in Aegypten vertrete¬ nen Nationen hat ihren eigenen Consulatgerichtshof und ihr eigenes Ge¬ setzbuch. Allein es fragt sich, ob nicht die beabsichtigte Reform, wenn sie nach den Vorschlägen der ägyptischen Regierung erfolgte, Uebelstände herbei¬ führen würde, welche weit größer wären, als die jetzt bestehenden? Die ägyptische Regierung klagt darüber, daß sie innerhalb weniger Jahre an Europäer 72000.000 Fras. Entschädigungen habe zahlen müssen. Es ist ihr wahrlich nicht zu verdenken, daß sie Abhülfe dieser Calamität sucht. Sie sieht den Grund ihrer Opfer in dem Umstände, daß die Forderung um Schadenersatz, willkürlich aufgestellt, aber von den Consuln der fremden Mächte unterstützt, aus einer Privatangelegenheit sofort eine diplomatische werde; weshalb die Negierung sich meistens zur Zahlung entschließe, um Verwickelungen vorzubeugen. In dieser Klage ist noch heut einige Wahrheit, sie war noch in neuer Zeit sehr gerechtfertigt. Bis vor wenigen Jahren konnte dem Europäer kaum etwas Besseres zustoßen, als eine kleine Vergewaltigung seitens der ägyptischen Behörden, oder ein Unglück, wofür er unter irgend einem Vor- wande Schadenersatz forderte. Man pflegte in diesem Punkte nicht blöde zu sein, und bewegte sich mit Vorliebe in großen Summen. Allein die Zeiten haben sich geändert, heute sind diese Ersatzforderungen nicht mehr eine Goldgrube, vielmehr meist eine Quelle unendlicher Quälerei und es hält z. B. oft sehr schwer, den rückständigen Gehalt eines Europäers ein¬ zutreiben, eine contractwidrige Absetzung rückgängig zu machen oder Ersatz dafür zu erhalten. Auch sind die Consulate sehr viel vorsichtiger in der Be¬ rücksichtigung von Forderungen geworden: die gerechteren weisen gar manche Sache ab, die vor einigen Jahren ihre Unterstützung gefunden hätte. Trotz¬ dem gibt jeder Billigdenkende zu, daß auch jetzt manche unbillige Forderung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/293>, abgerufen am 04.07.2024.