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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Europäern allerdings, daß der Araber sehr demoralisirt ist, aber auch, daß
niemand mehr Schuld daran hat, als seine eigene Regierung. Wie die
letztere mit der Wahrheit umspringt, mag daraus hervorgehen, daß. nach
officieller Erhebung, auf dem französischen Consulatgericht in Alexandria
im Laufe mehrerer Jahre im Ganzen 64 Klagen von Eingeborenen gegen
Franzosen, die in großer Zahl hier leben, vorkamen, und daß davon nicht
Weniger als 48 zu Gunsten der Eingeborenen entschieden wurden,
darunter 5 zu Gunsten Nubar-Pascha's selbst, der großer Grundeigenthümer
ist. Erhebungen bei dem norddeutschen, englischen, östreichischen Konsulate
würden sicher dieselben, bei den andern europäischen Konsulaten schwerlich
viel ungünstigere Ergebnisse haben.

Die Behauptung Nubar-Puscha's, daß der Eingeborene bei den Consulat-
gerichten kein Recht finde, kann man in ihr contradictorisches Gegentheil umwan¬
deln, um der Wahrheit nahe zu kommen: der Eingeborene findet fast nirgends
Recht, als vor den Consulatgerichtcn, am allerwenigsten vor den Landesgerichten.

Und das ist der Kernpunkt der Sache: die ägyptische Regierung ver¬
schweigt ganz und gar den Zustand ihrer einheimischen Gerichte.

Es giebt in Aegypten außer den Consulatgerichten einheimische Civil¬
gerichte und ein tribrmiü mixte as eommerco, vor welches die Handels¬
streitigkeiten gehören, in welchem Eingeborene Verklagte sind. Dieses
Handelsgericht besteht aus zwei Europäern (Kaufleuten) und drei Arabern,
unter letzteren der Präsident. Endlich existirt für Jmmobiliensachen der
Mehkemeh, ein für Europäer fast unzugängliches Gericht, welches auch heute
noch ausschließlich nach den Bestimmungen des Koran urtheilt, und von
dem durch Abbas-Pascha eingeführten Gesetzbuch nicht berührt wird.

Spricht man schon von den gemischten Handelsgerichten nur mit mit¬
leidigem Lächeln, so schenkt der Europäer den einheimischen Civilgerichten
überhaupt keinerlei Beachtung. Denn es ist bekannt, daß sie im Grunde
gar keine Gerichte, sondern Verwaltungsbehörden sind. Sie geben nur Gut¬
achten und Berichte, die sofort der Entscheidung der Verwaltung unterbreitet
werden. Bei ihnen Recht zu finden und zu hoffen, fällt keinem Europäer ein.
Ist er so unglücklich, einen Proceß vor denselben zu beginnen -- den er
vermeiden wird, wenn es nur irgend angeht, selbst mit beträchtlicher Ein¬
buße -- so ist seine Sache verloren, wenn er nicht des Wohlwollens der
Regierung gewiß ist, oder mehr Mittel als der Gegner aufwenden kann.
Auch die gemischten Handelsgerichte, deren Majorität arabisch ist, haben
keinerlei Kenntniß des Rechts, und sind ganz und gar auf die praktische
Erfahrung ihres Greffiers (Gerichtsactuar) angewiesen. Besser als mit
vielen Worten werden sie durch die Thatsache charakterisirt, daß zu ihrem
Präsident ein Admiral und ein Zollbeamter gemacht worden sind.


Europäern allerdings, daß der Araber sehr demoralisirt ist, aber auch, daß
niemand mehr Schuld daran hat, als seine eigene Regierung. Wie die
letztere mit der Wahrheit umspringt, mag daraus hervorgehen, daß. nach
officieller Erhebung, auf dem französischen Consulatgericht in Alexandria
im Laufe mehrerer Jahre im Ganzen 64 Klagen von Eingeborenen gegen
Franzosen, die in großer Zahl hier leben, vorkamen, und daß davon nicht
Weniger als 48 zu Gunsten der Eingeborenen entschieden wurden,
darunter 5 zu Gunsten Nubar-Pascha's selbst, der großer Grundeigenthümer
ist. Erhebungen bei dem norddeutschen, englischen, östreichischen Konsulate
würden sicher dieselben, bei den andern europäischen Konsulaten schwerlich
viel ungünstigere Ergebnisse haben.

Die Behauptung Nubar-Puscha's, daß der Eingeborene bei den Consulat-
gerichten kein Recht finde, kann man in ihr contradictorisches Gegentheil umwan¬
deln, um der Wahrheit nahe zu kommen: der Eingeborene findet fast nirgends
Recht, als vor den Consulatgerichtcn, am allerwenigsten vor den Landesgerichten.

Und das ist der Kernpunkt der Sache: die ägyptische Regierung ver¬
schweigt ganz und gar den Zustand ihrer einheimischen Gerichte.

Es giebt in Aegypten außer den Consulatgerichten einheimische Civil¬
gerichte und ein tribrmiü mixte as eommerco, vor welches die Handels¬
streitigkeiten gehören, in welchem Eingeborene Verklagte sind. Dieses
Handelsgericht besteht aus zwei Europäern (Kaufleuten) und drei Arabern,
unter letzteren der Präsident. Endlich existirt für Jmmobiliensachen der
Mehkemeh, ein für Europäer fast unzugängliches Gericht, welches auch heute
noch ausschließlich nach den Bestimmungen des Koran urtheilt, und von
dem durch Abbas-Pascha eingeführten Gesetzbuch nicht berührt wird.

Spricht man schon von den gemischten Handelsgerichten nur mit mit¬
leidigem Lächeln, so schenkt der Europäer den einheimischen Civilgerichten
überhaupt keinerlei Beachtung. Denn es ist bekannt, daß sie im Grunde
gar keine Gerichte, sondern Verwaltungsbehörden sind. Sie geben nur Gut¬
achten und Berichte, die sofort der Entscheidung der Verwaltung unterbreitet
werden. Bei ihnen Recht zu finden und zu hoffen, fällt keinem Europäer ein.
Ist er so unglücklich, einen Proceß vor denselben zu beginnen — den er
vermeiden wird, wenn es nur irgend angeht, selbst mit beträchtlicher Ein¬
buße — so ist seine Sache verloren, wenn er nicht des Wohlwollens der
Regierung gewiß ist, oder mehr Mittel als der Gegner aufwenden kann.
Auch die gemischten Handelsgerichte, deren Majorität arabisch ist, haben
keinerlei Kenntniß des Rechts, und sind ganz und gar auf die praktische
Erfahrung ihres Greffiers (Gerichtsactuar) angewiesen. Besser als mit
vielen Worten werden sie durch die Thatsache charakterisirt, daß zu ihrem
Präsident ein Admiral und ein Zollbeamter gemacht worden sind.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/295>, abgerufen am 24.07.2024.