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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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wen, gegeben hatte. Er hatte erklärt, auf ein Schiedsgericht nur eingehen
zu wollen, wenn die europäischen Mächte in eine Abänderung der Consulat-
gerichtsbarkeit einwilligten. Die Unklarheit dieser Erklärung, die man aufs
Schlimmste deutete, erregte allgemeine Unruhe, die durch das Bekanntwerden
eines Memoire Nubar-Pascha's. des Ministers des Auswärtigen, an den
Vicekönig nicht gemildert wurde. Diese Note, Grundlage aller weiteren Ope¬
rationen der ägyptischen Regierung, sagte ungefähr Folgendes*):

Die Kapitulationen existiren nur dem Namen nach, in Folge der Pression
der Konsuln und der Nachgiebigkeit der Regierung, nicht rechtlich. Dieser
Zustand nützt nur denjenigen, welche die Regierung ausbeuten wollen. Seit
vier Jahren hat die Regierung 72 Millionen Fras. Entschädigungen an
Europäer zahlen müssen, meist in Folge von Concessionen und Contracten
zu öffentlichen Arbeiten, welche zum Besten des Landes unternommen wur¬
den. Der Eingeborene findet keine Gerechtigkeit bei den Consulatsgerichten,
er wird demoralisirt, indem er den Mißbrauch sieht, den der Europäer offen
begeht, und er verliert alles Vertrauen zu seiner Regierung, deren Schwäche
er wahrnimmt. Nur ein gutes Justizsystem, mit Garantien für den Euro¬
päer, welcher diese zu fordern berechtigt ist, kann hier helfen. Diese Garantien
sind: Unabhängigkeit der Justiz. Das competente, d. h. das fremde Element,
muß hier, wie in der Armee, bei der Eisenbahn u. s. w. die Bildung des
einheimischen bewirken. Es werden zu Alexandria und Cairo gemischte Gerichte
für Civil-, Handels - und Criminalsachen errichtet, welche alle Processe zwischen
Eingeborenen und Europäern, ohne Unterschied ob diese Kläger oder Ver¬
klagte, entscheiden. Sowohl das Handels- als das Civilgericht bestehen aus
zwei europäischen und drei ägyptischen Mitgliedern, unter letzteren der Prä¬
sident. Auch ein Correctionsgericht wird, doch nur andeutungsweise, vorge¬
schlagen. Ueber allen diesen Gerichten aber steht ein Appellhof, bestehend
aus drei in Europa ausgebildeten ägyptischen und drei europäischen, mit
Hülfe der betreffenden Regierungen gewählten Richtern. auch unter ägypti¬
scher Präsidentschaft.

Die Immobilien-Sachen bleiben nach wie vor dem Mehkemeh (einem
ganz muhamedanischen, nach dem Koran urtheilenden Gerichte).

Die Richter sind nicht unabsetzbar, aber sie werden auf fünf Jahre er¬
nannt. Eine vom Vicekönig zu berufende Commission europäischer Rechts-
gelehrter soll in Verbindung mit ägyptischen die Bestimmungen des eoäs
^pol^on mit denen des Landesrechts in Uebereinstimmung bringen.

Ehe wir zur Discussion dieser Vorschläge übergehen, theilen wir in
Kurzem noch den weiteren Verlauf der Entwickelung mit. Die Note wurde



") Wir geben diesen Auszug nach dem "?rogrös", da uns der Wortlaut der Note selbst in
AegMen nicht zugänglich war.
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wen, gegeben hatte. Er hatte erklärt, auf ein Schiedsgericht nur eingehen
zu wollen, wenn die europäischen Mächte in eine Abänderung der Consulat-
gerichtsbarkeit einwilligten. Die Unklarheit dieser Erklärung, die man aufs
Schlimmste deutete, erregte allgemeine Unruhe, die durch das Bekanntwerden
eines Memoire Nubar-Pascha's. des Ministers des Auswärtigen, an den
Vicekönig nicht gemildert wurde. Diese Note, Grundlage aller weiteren Ope¬
rationen der ägyptischen Regierung, sagte ungefähr Folgendes*):

Die Kapitulationen existiren nur dem Namen nach, in Folge der Pression
der Konsuln und der Nachgiebigkeit der Regierung, nicht rechtlich. Dieser
Zustand nützt nur denjenigen, welche die Regierung ausbeuten wollen. Seit
vier Jahren hat die Regierung 72 Millionen Fras. Entschädigungen an
Europäer zahlen müssen, meist in Folge von Concessionen und Contracten
zu öffentlichen Arbeiten, welche zum Besten des Landes unternommen wur¬
den. Der Eingeborene findet keine Gerechtigkeit bei den Consulatsgerichten,
er wird demoralisirt, indem er den Mißbrauch sieht, den der Europäer offen
begeht, und er verliert alles Vertrauen zu seiner Regierung, deren Schwäche
er wahrnimmt. Nur ein gutes Justizsystem, mit Garantien für den Euro¬
päer, welcher diese zu fordern berechtigt ist, kann hier helfen. Diese Garantien
sind: Unabhängigkeit der Justiz. Das competente, d. h. das fremde Element,
muß hier, wie in der Armee, bei der Eisenbahn u. s. w. die Bildung des
einheimischen bewirken. Es werden zu Alexandria und Cairo gemischte Gerichte
für Civil-, Handels - und Criminalsachen errichtet, welche alle Processe zwischen
Eingeborenen und Europäern, ohne Unterschied ob diese Kläger oder Ver¬
klagte, entscheiden. Sowohl das Handels- als das Civilgericht bestehen aus
zwei europäischen und drei ägyptischen Mitgliedern, unter letzteren der Prä¬
sident. Auch ein Correctionsgericht wird, doch nur andeutungsweise, vorge¬
schlagen. Ueber allen diesen Gerichten aber steht ein Appellhof, bestehend
aus drei in Europa ausgebildeten ägyptischen und drei europäischen, mit
Hülfe der betreffenden Regierungen gewählten Richtern. auch unter ägypti¬
scher Präsidentschaft.

Die Immobilien-Sachen bleiben nach wie vor dem Mehkemeh (einem
ganz muhamedanischen, nach dem Koran urtheilenden Gerichte).

Die Richter sind nicht unabsetzbar, aber sie werden auf fünf Jahre er¬
nannt. Eine vom Vicekönig zu berufende Commission europäischer Rechts-
gelehrter soll in Verbindung mit ägyptischen die Bestimmungen des eoäs
^pol^on mit denen des Landesrechts in Uebereinstimmung bringen.

Ehe wir zur Discussion dieser Vorschläge übergehen, theilen wir in
Kurzem noch den weiteren Verlauf der Entwickelung mit. Die Note wurde



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[0291] wen, gegeben hatte. Er hatte erklärt, auf ein Schiedsgericht nur eingehen zu wollen, wenn die europäischen Mächte in eine Abänderung der Consulat- gerichtsbarkeit einwilligten. Die Unklarheit dieser Erklärung, die man aufs Schlimmste deutete, erregte allgemeine Unruhe, die durch das Bekanntwerden eines Memoire Nubar-Pascha's. des Ministers des Auswärtigen, an den Vicekönig nicht gemildert wurde. Diese Note, Grundlage aller weiteren Ope¬ rationen der ägyptischen Regierung, sagte ungefähr Folgendes*): Die Kapitulationen existiren nur dem Namen nach, in Folge der Pression der Konsuln und der Nachgiebigkeit der Regierung, nicht rechtlich. Dieser Zustand nützt nur denjenigen, welche die Regierung ausbeuten wollen. Seit vier Jahren hat die Regierung 72 Millionen Fras. Entschädigungen an Europäer zahlen müssen, meist in Folge von Concessionen und Contracten zu öffentlichen Arbeiten, welche zum Besten des Landes unternommen wur¬ den. Der Eingeborene findet keine Gerechtigkeit bei den Consulatsgerichten, er wird demoralisirt, indem er den Mißbrauch sieht, den der Europäer offen begeht, und er verliert alles Vertrauen zu seiner Regierung, deren Schwäche er wahrnimmt. Nur ein gutes Justizsystem, mit Garantien für den Euro¬ päer, welcher diese zu fordern berechtigt ist, kann hier helfen. Diese Garantien sind: Unabhängigkeit der Justiz. Das competente, d. h. das fremde Element, muß hier, wie in der Armee, bei der Eisenbahn u. s. w. die Bildung des einheimischen bewirken. Es werden zu Alexandria und Cairo gemischte Gerichte für Civil-, Handels - und Criminalsachen errichtet, welche alle Processe zwischen Eingeborenen und Europäern, ohne Unterschied ob diese Kläger oder Ver¬ klagte, entscheiden. Sowohl das Handels- als das Civilgericht bestehen aus zwei europäischen und drei ägyptischen Mitgliedern, unter letzteren der Prä¬ sident. Auch ein Correctionsgericht wird, doch nur andeutungsweise, vorge¬ schlagen. Ueber allen diesen Gerichten aber steht ein Appellhof, bestehend aus drei in Europa ausgebildeten ägyptischen und drei europäischen, mit Hülfe der betreffenden Regierungen gewählten Richtern. auch unter ägypti¬ scher Präsidentschaft. Die Immobilien-Sachen bleiben nach wie vor dem Mehkemeh (einem ganz muhamedanischen, nach dem Koran urtheilenden Gerichte). Die Richter sind nicht unabsetzbar, aber sie werden auf fünf Jahre er¬ nannt. Eine vom Vicekönig zu berufende Commission europäischer Rechts- gelehrter soll in Verbindung mit ägyptischen die Bestimmungen des eoäs ^pol^on mit denen des Landesrechts in Uebereinstimmung bringen. Ehe wir zur Discussion dieser Vorschläge übergehen, theilen wir in Kurzem noch den weiteren Verlauf der Entwickelung mit. Die Note wurde ") Wir geben diesen Auszug nach dem „?rogrös", da uns der Wortlaut der Note selbst in AegMen nicht zugänglich war. 36*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/291>, abgerufen am 24.07.2024.