Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Diese auffallende, allen in Europa geltenden Rechtsanschauungen wider¬
sprechende Ausnahmestellung fremder Nationalität hat in der Türkei ihre ge¬
schichtliche Begründung in dem Umstände, daß zu der Zeit, als sie vertrags¬
mäßig festgesetzt wurde, die Türkei sich in einem Culturzustande befand, wel¬
cher den fremden Regierungen einen solchen Schutz ihrer Unterthanen zur
Pflicht machte. Die Verträge, unter dem Namen "Capitulationen" bekannt,
wurden um die Mitte des 16. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts abge¬
schlossen, resp, erneuert, und noch in diesem Jahrhundert wurden sie aufs
Neue in allem Wesentlichen bestätigt. Auch diese Verträge fand man unge¬
nügend und ging in praxi weiter. Auf diese Weise bildete sich ein Usus aus,
dem vielleicht der Charakter völliger Legalität fehlte, der aber, als nothwen¬
dig, bis zur Stunde von beiden Seiten anerkannt wurde, so daß selbst die
ägyptische Negierung, so sehr sie auch bemüht ist, jene Verträge zu beseiti¬
gen, doch aus der zweifelhaften Legalität derselben kein Argument gezogen
hat. Die Frage nach der theoretischen Berechtigung der jetzt ausgeübten
Consulatsgerichtsbarkeit ist deshalb ohne Erheblichkeit; genug, daß eine aller¬
seits zugegebene Nothwendigkeit zu dem geltenden Usus führte. Gegen die¬
sen hat die ägyptische Negierung seit etwa 1^/, Jahren einen Feldzug eröff¬
net, in welchem sie ihre besten Kräfte einsetzt, und wenn nicht Alles trügt,
auch ihre letzten Kräfte einzusetzen entschlossen ist. Auch diese Agitation hat
bereits eine Geschichte. Sie ward zum ersten Male ruchbar auf dem Pariser
Congresse von 1856, auf welchem angeregt durch Lord Clarendon die Noth¬
wendigkeit einer Reform der Cvnsulatgerichtsbarkeit anerkannt und der Wunsch
ausgesprochen wurde, daß nach dem Frieden in Konstantinopel sich eine Con-
ferenz zur Reform der Verträge und zur Anbahnung eines einheitlichen Ge¬
richtsverfahrens versammeln möge. Eine Conferenz trat denn auch zusammen,
aber sie ließ die Consulatgerichtsbarkeit ganz unberührt und beschäftigte sich
nur mit der Abfassung eines Handelsgesetzbuchs für die Türkei, das aber in
Aegypten nicht eingeführt wurde.

So blieb in Aegypten, von dem wir hier allein reden, Alles beim Alten.
Auch eine Anregung im Jahre 1862 im Institut as 1'^Moth durch den
Advocaten Calabi blieb ohne Nachwirkung. Dagegen scheint Ismael-Pascha,
der regierende Vicekönig, gleich bei seinem Regierungsantritt die Angelegenheit
ins Auge gesaßt zu haben. Wenigstens ließ er im August 1864 ein Me-
moire darüber ausarbeiten. Dessen Vorschläge aber fanden Gegner und die
Sache blieb wiederum auf sich beruhen. Erst im Jahre 1867, während der
Reise des Vicekönigs nach Frankreich, tauchte sie plötzlich wieder auf. Das
Journal der Suez-Canal-Compagnie hatte die Antwort bekannt gemacht,
welche der Vicekönig auf das Verlangen der Compagnie, zur Schlichtung der
schwebenden Streitigkeiten zwischen ihr und ihm ein Schiedsgericht anzuneh-


Diese auffallende, allen in Europa geltenden Rechtsanschauungen wider¬
sprechende Ausnahmestellung fremder Nationalität hat in der Türkei ihre ge¬
schichtliche Begründung in dem Umstände, daß zu der Zeit, als sie vertrags¬
mäßig festgesetzt wurde, die Türkei sich in einem Culturzustande befand, wel¬
cher den fremden Regierungen einen solchen Schutz ihrer Unterthanen zur
Pflicht machte. Die Verträge, unter dem Namen „Capitulationen" bekannt,
wurden um die Mitte des 16. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts abge¬
schlossen, resp, erneuert, und noch in diesem Jahrhundert wurden sie aufs
Neue in allem Wesentlichen bestätigt. Auch diese Verträge fand man unge¬
nügend und ging in praxi weiter. Auf diese Weise bildete sich ein Usus aus,
dem vielleicht der Charakter völliger Legalität fehlte, der aber, als nothwen¬
dig, bis zur Stunde von beiden Seiten anerkannt wurde, so daß selbst die
ägyptische Negierung, so sehr sie auch bemüht ist, jene Verträge zu beseiti¬
gen, doch aus der zweifelhaften Legalität derselben kein Argument gezogen
hat. Die Frage nach der theoretischen Berechtigung der jetzt ausgeübten
Consulatsgerichtsbarkeit ist deshalb ohne Erheblichkeit; genug, daß eine aller¬
seits zugegebene Nothwendigkeit zu dem geltenden Usus führte. Gegen die¬
sen hat die ägyptische Negierung seit etwa 1^/, Jahren einen Feldzug eröff¬
net, in welchem sie ihre besten Kräfte einsetzt, und wenn nicht Alles trügt,
auch ihre letzten Kräfte einzusetzen entschlossen ist. Auch diese Agitation hat
bereits eine Geschichte. Sie ward zum ersten Male ruchbar auf dem Pariser
Congresse von 1856, auf welchem angeregt durch Lord Clarendon die Noth¬
wendigkeit einer Reform der Cvnsulatgerichtsbarkeit anerkannt und der Wunsch
ausgesprochen wurde, daß nach dem Frieden in Konstantinopel sich eine Con-
ferenz zur Reform der Verträge und zur Anbahnung eines einheitlichen Ge¬
richtsverfahrens versammeln möge. Eine Conferenz trat denn auch zusammen,
aber sie ließ die Consulatgerichtsbarkeit ganz unberührt und beschäftigte sich
nur mit der Abfassung eines Handelsgesetzbuchs für die Türkei, das aber in
Aegypten nicht eingeführt wurde.

So blieb in Aegypten, von dem wir hier allein reden, Alles beim Alten.
Auch eine Anregung im Jahre 1862 im Institut as 1'^Moth durch den
Advocaten Calabi blieb ohne Nachwirkung. Dagegen scheint Ismael-Pascha,
der regierende Vicekönig, gleich bei seinem Regierungsantritt die Angelegenheit
ins Auge gesaßt zu haben. Wenigstens ließ er im August 1864 ein Me-
moire darüber ausarbeiten. Dessen Vorschläge aber fanden Gegner und die
Sache blieb wiederum auf sich beruhen. Erst im Jahre 1867, während der
Reise des Vicekönigs nach Frankreich, tauchte sie plötzlich wieder auf. Das
Journal der Suez-Canal-Compagnie hatte die Antwort bekannt gemacht,
welche der Vicekönig auf das Verlangen der Compagnie, zur Schlichtung der
schwebenden Streitigkeiten zwischen ihr und ihm ein Schiedsgericht anzuneh-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0290" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120977"/>
          <p xml:id="ID_892"> Diese auffallende, allen in Europa geltenden Rechtsanschauungen wider¬<lb/>
sprechende Ausnahmestellung fremder Nationalität hat in der Türkei ihre ge¬<lb/>
schichtliche Begründung in dem Umstände, daß zu der Zeit, als sie vertrags¬<lb/>
mäßig festgesetzt wurde, die Türkei sich in einem Culturzustande befand, wel¬<lb/>
cher den fremden Regierungen einen solchen Schutz ihrer Unterthanen zur<lb/>
Pflicht machte. Die Verträge, unter dem Namen &#x201E;Capitulationen" bekannt,<lb/>
wurden um die Mitte des 16. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts abge¬<lb/>
schlossen, resp, erneuert, und noch in diesem Jahrhundert wurden sie aufs<lb/>
Neue in allem Wesentlichen bestätigt. Auch diese Verträge fand man unge¬<lb/>
nügend und ging in praxi weiter. Auf diese Weise bildete sich ein Usus aus,<lb/>
dem vielleicht der Charakter völliger Legalität fehlte, der aber, als nothwen¬<lb/>
dig, bis zur Stunde von beiden Seiten anerkannt wurde, so daß selbst die<lb/>
ägyptische Negierung, so sehr sie auch bemüht ist, jene Verträge zu beseiti¬<lb/>
gen, doch aus der zweifelhaften Legalität derselben kein Argument gezogen<lb/>
hat. Die Frage nach der theoretischen Berechtigung der jetzt ausgeübten<lb/>
Consulatsgerichtsbarkeit ist deshalb ohne Erheblichkeit; genug, daß eine aller¬<lb/>
seits zugegebene Nothwendigkeit zu dem geltenden Usus führte. Gegen die¬<lb/>
sen hat die ägyptische Negierung seit etwa 1^/, Jahren einen Feldzug eröff¬<lb/>
net, in welchem sie ihre besten Kräfte einsetzt, und wenn nicht Alles trügt,<lb/>
auch ihre letzten Kräfte einzusetzen entschlossen ist. Auch diese Agitation hat<lb/>
bereits eine Geschichte. Sie ward zum ersten Male ruchbar auf dem Pariser<lb/>
Congresse von 1856, auf welchem angeregt durch Lord Clarendon die Noth¬<lb/>
wendigkeit einer Reform der Cvnsulatgerichtsbarkeit anerkannt und der Wunsch<lb/>
ausgesprochen wurde, daß nach dem Frieden in Konstantinopel sich eine Con-<lb/>
ferenz zur Reform der Verträge und zur Anbahnung eines einheitlichen Ge¬<lb/>
richtsverfahrens versammeln möge. Eine Conferenz trat denn auch zusammen,<lb/>
aber sie ließ die Consulatgerichtsbarkeit ganz unberührt und beschäftigte sich<lb/>
nur mit der Abfassung eines Handelsgesetzbuchs für die Türkei, das aber in<lb/>
Aegypten nicht eingeführt wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_893" next="#ID_894"> So blieb in Aegypten, von dem wir hier allein reden, Alles beim Alten.<lb/>
Auch eine Anregung im Jahre 1862 im Institut as 1'^Moth durch den<lb/>
Advocaten Calabi blieb ohne Nachwirkung. Dagegen scheint Ismael-Pascha,<lb/>
der regierende Vicekönig, gleich bei seinem Regierungsantritt die Angelegenheit<lb/>
ins Auge gesaßt zu haben. Wenigstens ließ er im August 1864 ein Me-<lb/>
moire darüber ausarbeiten. Dessen Vorschläge aber fanden Gegner und die<lb/>
Sache blieb wiederum auf sich beruhen. Erst im Jahre 1867, während der<lb/>
Reise des Vicekönigs nach Frankreich, tauchte sie plötzlich wieder auf. Das<lb/>
Journal der Suez-Canal-Compagnie hatte die Antwort bekannt gemacht,<lb/>
welche der Vicekönig auf das Verlangen der Compagnie, zur Schlichtung der<lb/>
schwebenden Streitigkeiten zwischen ihr und ihm ein Schiedsgericht anzuneh-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0290] Diese auffallende, allen in Europa geltenden Rechtsanschauungen wider¬ sprechende Ausnahmestellung fremder Nationalität hat in der Türkei ihre ge¬ schichtliche Begründung in dem Umstände, daß zu der Zeit, als sie vertrags¬ mäßig festgesetzt wurde, die Türkei sich in einem Culturzustande befand, wel¬ cher den fremden Regierungen einen solchen Schutz ihrer Unterthanen zur Pflicht machte. Die Verträge, unter dem Namen „Capitulationen" bekannt, wurden um die Mitte des 16. bis zum Ende des 17. Jahrhunderts abge¬ schlossen, resp, erneuert, und noch in diesem Jahrhundert wurden sie aufs Neue in allem Wesentlichen bestätigt. Auch diese Verträge fand man unge¬ nügend und ging in praxi weiter. Auf diese Weise bildete sich ein Usus aus, dem vielleicht der Charakter völliger Legalität fehlte, der aber, als nothwen¬ dig, bis zur Stunde von beiden Seiten anerkannt wurde, so daß selbst die ägyptische Negierung, so sehr sie auch bemüht ist, jene Verträge zu beseiti¬ gen, doch aus der zweifelhaften Legalität derselben kein Argument gezogen hat. Die Frage nach der theoretischen Berechtigung der jetzt ausgeübten Consulatsgerichtsbarkeit ist deshalb ohne Erheblichkeit; genug, daß eine aller¬ seits zugegebene Nothwendigkeit zu dem geltenden Usus führte. Gegen die¬ sen hat die ägyptische Negierung seit etwa 1^/, Jahren einen Feldzug eröff¬ net, in welchem sie ihre besten Kräfte einsetzt, und wenn nicht Alles trügt, auch ihre letzten Kräfte einzusetzen entschlossen ist. Auch diese Agitation hat bereits eine Geschichte. Sie ward zum ersten Male ruchbar auf dem Pariser Congresse von 1856, auf welchem angeregt durch Lord Clarendon die Noth¬ wendigkeit einer Reform der Cvnsulatgerichtsbarkeit anerkannt und der Wunsch ausgesprochen wurde, daß nach dem Frieden in Konstantinopel sich eine Con- ferenz zur Reform der Verträge und zur Anbahnung eines einheitlichen Ge¬ richtsverfahrens versammeln möge. Eine Conferenz trat denn auch zusammen, aber sie ließ die Consulatgerichtsbarkeit ganz unberührt und beschäftigte sich nur mit der Abfassung eines Handelsgesetzbuchs für die Türkei, das aber in Aegypten nicht eingeführt wurde. So blieb in Aegypten, von dem wir hier allein reden, Alles beim Alten. Auch eine Anregung im Jahre 1862 im Institut as 1'^Moth durch den Advocaten Calabi blieb ohne Nachwirkung. Dagegen scheint Ismael-Pascha, der regierende Vicekönig, gleich bei seinem Regierungsantritt die Angelegenheit ins Auge gesaßt zu haben. Wenigstens ließ er im August 1864 ein Me- moire darüber ausarbeiten. Dessen Vorschläge aber fanden Gegner und die Sache blieb wiederum auf sich beruhen. Erst im Jahre 1867, während der Reise des Vicekönigs nach Frankreich, tauchte sie plötzlich wieder auf. Das Journal der Suez-Canal-Compagnie hatte die Antwort bekannt gemacht, welche der Vicekönig auf das Verlangen der Compagnie, zur Schlichtung der schwebenden Streitigkeiten zwischen ihr und ihm ein Schiedsgericht anzuneh-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/290
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/290>, abgerufen am 04.07.2024.