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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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derer Zeitschriften und Almanachs vom verschiedensten Genre thätigen Bötti¬
ger, welche wenigstens das Verdienst hatten, das Interesse für Kunstwerke
unter dem Publicum anzuregen, das ohne eigene Anstrengung von der Kunst
unterhalten werden will. Das Bedeutendste, was in dieser Zeit die "Abend-
Zeitung" enthielt, waren die geistreichen dramaturgischen Aufsätze von Tieck
in den Jahrgängen 1823 und 1824, wohl die einzigen Spenden der Zeit¬
schrift, welche jetzt noch nicht antiquirt sind. Es nahm sich ganz seltsam aus
und charakterisirte die Harmlosigkeit der Redaction, daß in derselben Zeit¬
schrift, in welcher Clauren, der Verfasser der Mimili und anderer höchst fri¬
voler Erzählungen, fortwährend -- nach seinem Tode in einem durch vier
Nummern sich hinziehenden Nekrologe -- Weihrauch gestreut erhielt. Tieck eine
vernichtende Kritik der Claurenschen Dramen veröffentlichen durfte, in welcher
er sagte, ebenso wie das Drama allmälig von Sophokles zu Jffland herunter¬
gekommen, in demselben Verhältniß sei es in kürzerer Zeit von Jffland auf
Clauren herabgesunken. War nun auch der größtentheils triviale Inhalt der
"Abendzeitung" das Product einer Periode stagnirender Volkskraft, so boten doch
ähnliche Unternehmungen derselben Zeit andere Produktionen, z. B. "die elegante
Zeitung in Leipzig", "der Freimüthige" und "der Gesellschafter in Berlin",
vor Allem das "Morgenblatt in Stuttgart". In letzterem findet man z. B.
Poetische Spenden von Matthisson. Uhland, G. Schwab, Wilh. Müller. Sim-
rock. Mich. Beer. Just. Kerner, Wilh. Hauff, Börne, Heine und Wolfgang
Menzels Kritiken seit 1825 -- kurz viele Namen, die in der Literatur¬
geschichte noch jetzt einen guten Klang haben. --

Ein zweiter ästhetischer. Kreis, welcher zu derselben Zeit in Dresden
Einfluß hatte, war von anderer Art, der Kreis der Verehrer Tiedge's, wel¬
chen die Gräfin Elise von der Recke in ihr Haus aufgenommen hatte und
verhätschelte. Hier war kein Zusammenwirken einander ebenbürtiger Literatur-
sreunde, sondern nur Bewunderung des lichtspendenden Hauptes von Seiten
Derer, welche sich von ihm erleuchten und erwärmen lassen wollten. Aller¬
dings war Tiedge von größerer Bedeutung, als die vorgenannten Dichter,
theils durch seine entschiedene Lebensauffassung, theils durch sein Formtalent.
Auch ist es begreiflich, daß sein ehrlicher und dabei sentimentaler Rationa¬
lismus manchen Stimmungen jener Zeit zusagte, daß namentlich "Edelfrauen
und edle Frauen" in seiner Urania auf eine bequeme und anziehende Weise
ihrer Unsterblichkeit gewiß werden wollten. Dennoch hat Goethe mit seinem
strengen Urtheil über ihn (Eckermann's Gespräche mit Goethe I., S. 120 ff.)
Recht behalten, und abgesehen von der Urania, die noch lange ihr sym¬
pathisches Publicum haben wird, war er wenigstens in seinen älteren Tagen
Persönlich so langweilig und so wenig liebenswürdig, daß die damalige Be¬
liebtheit der Tiedge'schen Gesellschaftsabende in Dresden als ein seltsames


derer Zeitschriften und Almanachs vom verschiedensten Genre thätigen Bötti¬
ger, welche wenigstens das Verdienst hatten, das Interesse für Kunstwerke
unter dem Publicum anzuregen, das ohne eigene Anstrengung von der Kunst
unterhalten werden will. Das Bedeutendste, was in dieser Zeit die „Abend-
Zeitung" enthielt, waren die geistreichen dramaturgischen Aufsätze von Tieck
in den Jahrgängen 1823 und 1824, wohl die einzigen Spenden der Zeit¬
schrift, welche jetzt noch nicht antiquirt sind. Es nahm sich ganz seltsam aus
und charakterisirte die Harmlosigkeit der Redaction, daß in derselben Zeit¬
schrift, in welcher Clauren, der Verfasser der Mimili und anderer höchst fri¬
voler Erzählungen, fortwährend — nach seinem Tode in einem durch vier
Nummern sich hinziehenden Nekrologe — Weihrauch gestreut erhielt. Tieck eine
vernichtende Kritik der Claurenschen Dramen veröffentlichen durfte, in welcher
er sagte, ebenso wie das Drama allmälig von Sophokles zu Jffland herunter¬
gekommen, in demselben Verhältniß sei es in kürzerer Zeit von Jffland auf
Clauren herabgesunken. War nun auch der größtentheils triviale Inhalt der
»Abendzeitung" das Product einer Periode stagnirender Volkskraft, so boten doch
ähnliche Unternehmungen derselben Zeit andere Produktionen, z. B. „die elegante
Zeitung in Leipzig", „der Freimüthige" und „der Gesellschafter in Berlin",
vor Allem das „Morgenblatt in Stuttgart". In letzterem findet man z. B.
Poetische Spenden von Matthisson. Uhland, G. Schwab, Wilh. Müller. Sim-
rock. Mich. Beer. Just. Kerner, Wilh. Hauff, Börne, Heine und Wolfgang
Menzels Kritiken seit 1825 — kurz viele Namen, die in der Literatur¬
geschichte noch jetzt einen guten Klang haben. —

Ein zweiter ästhetischer. Kreis, welcher zu derselben Zeit in Dresden
Einfluß hatte, war von anderer Art, der Kreis der Verehrer Tiedge's, wel¬
chen die Gräfin Elise von der Recke in ihr Haus aufgenommen hatte und
verhätschelte. Hier war kein Zusammenwirken einander ebenbürtiger Literatur-
sreunde, sondern nur Bewunderung des lichtspendenden Hauptes von Seiten
Derer, welche sich von ihm erleuchten und erwärmen lassen wollten. Aller¬
dings war Tiedge von größerer Bedeutung, als die vorgenannten Dichter,
theils durch seine entschiedene Lebensauffassung, theils durch sein Formtalent.
Auch ist es begreiflich, daß sein ehrlicher und dabei sentimentaler Rationa¬
lismus manchen Stimmungen jener Zeit zusagte, daß namentlich „Edelfrauen
und edle Frauen" in seiner Urania auf eine bequeme und anziehende Weise
ihrer Unsterblichkeit gewiß werden wollten. Dennoch hat Goethe mit seinem
strengen Urtheil über ihn (Eckermann's Gespräche mit Goethe I., S. 120 ff.)
Recht behalten, und abgesehen von der Urania, die noch lange ihr sym¬
pathisches Publicum haben wird, war er wenigstens in seinen älteren Tagen
Persönlich so langweilig und so wenig liebenswürdig, daß die damalige Be¬
liebtheit der Tiedge'schen Gesellschaftsabende in Dresden als ein seltsames


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/271>, abgerufen am 24.07.2024.