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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Händlers Arnold, dessen Firma über der bedeutendsten Dresdener Sortiments¬
handlung noch jetzt besteht. Nach dem Kriege 1817 tauchte diese Zeitschrift
zunächst unter Fr. Kind's und Theodor Hell's Leitung wieder auf. wurde
allmälig durch die Industrie Hell's und Arnold's eines der bekanntesten
ästhetischen Blätter und hielt sich, obgleich nach den dreißiger Jahren immer
mehr zurückgehend, nachdem sie Hell noch rechtzeitig 1843 unter sehr günsti¬
gen Bedingungen verkauft hatte, nur noch ein paar Jahre über 1848").
Das verhältnißmäßig Beste, was das Blatt bot, waren die Erzählungen von
van der Velde. G.Schilling. Weißflog. Tromlitz (Oberst v. Witzleben), diese
verschafften ihm in der guten Zeit seine meisten Abonnenten. Fast alles
Andere, was die Zeitschrift enthielt, war sehr mittelmäßig, trivial und ge¬
schmacklos. Neben den Gedichten der Liederkreisler findet man z. B. in den
Jahrgängen 1823 ff. die ernste Poesie vorzugsweise von Ad. v. Hohlfeld und
dem Pastor Trautschold mit religiös-moralischen Liedern, von Fanny Tarnow,
Dr. Nürnberger, das komische Genre von dem um die sächsische Vaterlands¬
kunde sonst verdienten Richard Roos (Engelhardt), von Castelli, dem Han¬
noveraner Harrys u. A. meist fade und spießbürgerlich vertreten. Als Bei¬
spiel, was aus diesem Gebiete möglich war, mag hier der Anfang des
Gedichtes eines sächsischen Patrioten stehen, der seine Rückreise aus Schlesien
in die Heimath beschreibt:


"Sei mir freundlich gegrüßt, du herrliches, freundliches Dresden,
O wie wird mir so wohl, wenn ich bei Reichenbach les' den
Ersten ^uZustug Kex siebzehnhundert und fünfundzwanzig.
Schnell aus dem Wagen heraus, dann sing' ich. dann spring' ich, ^>ann tanz' ich,
Dann umhals' ich den Mann der weiß und grünen Barriere" :c.

wobei man sich erinnern mag. daß Klopstock bereits 1748 in Hexametern ge¬
dichtet hatte. -- Außerdem lieferte Vespertina Anekdoten, Aphorismen und
Räthsel, z. B. "der Verleumder ist ein Dieb, der Schwätzer ein Sieb", "die
wohlfeilsten Verwandten sind die nienen" :c., serner flache Theaterberichte
über die Dresdner Bühne von Hell und Böttiger, welche letztere mit gleicher
breiter lobetrunkener Behaglichkeit und gleicher antiquarischer Gelehrsamkeit
bald über Goethe's Iphigenie, Staberls Hochzeit und die damals beliebten
französischen Verbrecherdramen, bald über Kunstreiter, Seiltänzer und Jongleurs
schwatzte; dann brachte das Blatt viele inhaltslose Correspondenzen, Ueber¬
setzungen aus fremder Literatur, farblose Literaturberichte u. s. w., endlich
Kunstbesprechungen, wieder fast durchweg von dem noch in einer Menge an-



-) Auf dieses Blatt bezog sich ein damals erfreuliches Epigramm:
Hell und Kindlich ertönt das Geklapper auf ledige Fässer.
Und der Böttiger lobt, was der Geselle geschafft.

Händlers Arnold, dessen Firma über der bedeutendsten Dresdener Sortiments¬
handlung noch jetzt besteht. Nach dem Kriege 1817 tauchte diese Zeitschrift
zunächst unter Fr. Kind's und Theodor Hell's Leitung wieder auf. wurde
allmälig durch die Industrie Hell's und Arnold's eines der bekanntesten
ästhetischen Blätter und hielt sich, obgleich nach den dreißiger Jahren immer
mehr zurückgehend, nachdem sie Hell noch rechtzeitig 1843 unter sehr günsti¬
gen Bedingungen verkauft hatte, nur noch ein paar Jahre über 1848").
Das verhältnißmäßig Beste, was das Blatt bot, waren die Erzählungen von
van der Velde. G.Schilling. Weißflog. Tromlitz (Oberst v. Witzleben), diese
verschafften ihm in der guten Zeit seine meisten Abonnenten. Fast alles
Andere, was die Zeitschrift enthielt, war sehr mittelmäßig, trivial und ge¬
schmacklos. Neben den Gedichten der Liederkreisler findet man z. B. in den
Jahrgängen 1823 ff. die ernste Poesie vorzugsweise von Ad. v. Hohlfeld und
dem Pastor Trautschold mit religiös-moralischen Liedern, von Fanny Tarnow,
Dr. Nürnberger, das komische Genre von dem um die sächsische Vaterlands¬
kunde sonst verdienten Richard Roos (Engelhardt), von Castelli, dem Han¬
noveraner Harrys u. A. meist fade und spießbürgerlich vertreten. Als Bei¬
spiel, was aus diesem Gebiete möglich war, mag hier der Anfang des
Gedichtes eines sächsischen Patrioten stehen, der seine Rückreise aus Schlesien
in die Heimath beschreibt:


„Sei mir freundlich gegrüßt, du herrliches, freundliches Dresden,
O wie wird mir so wohl, wenn ich bei Reichenbach les' den
Ersten ^uZustug Kex siebzehnhundert und fünfundzwanzig.
Schnell aus dem Wagen heraus, dann sing' ich. dann spring' ich, ^>ann tanz' ich,
Dann umhals' ich den Mann der weiß und grünen Barriere" :c.

wobei man sich erinnern mag. daß Klopstock bereits 1748 in Hexametern ge¬
dichtet hatte. — Außerdem lieferte Vespertina Anekdoten, Aphorismen und
Räthsel, z. B. „der Verleumder ist ein Dieb, der Schwätzer ein Sieb", „die
wohlfeilsten Verwandten sind die nienen" :c., serner flache Theaterberichte
über die Dresdner Bühne von Hell und Böttiger, welche letztere mit gleicher
breiter lobetrunkener Behaglichkeit und gleicher antiquarischer Gelehrsamkeit
bald über Goethe's Iphigenie, Staberls Hochzeit und die damals beliebten
französischen Verbrecherdramen, bald über Kunstreiter, Seiltänzer und Jongleurs
schwatzte; dann brachte das Blatt viele inhaltslose Correspondenzen, Ueber¬
setzungen aus fremder Literatur, farblose Literaturberichte u. s. w., endlich
Kunstbesprechungen, wieder fast durchweg von dem noch in einer Menge an-



-) Auf dieses Blatt bezog sich ein damals erfreuliches Epigramm:
Hell und Kindlich ertönt das Geklapper auf ledige Fässer.
Und der Böttiger lobt, was der Geselle geschafft.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/270>, abgerufen am 24.07.2024.