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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.

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Phänomen betrachtet werden muß. Die sich stets bescheiden unterordnende
Gräfin war immer anmuthig und entgegenkommend, der verwöhnte Schütz¬
ling oft trivial, anspruchsvoll und in seinen Stimmungen unduldsam. Res.
erinnert sich noch eines Abends, wo Tiedge aus populair - philosophischen
Betrachtungen seines Leibphilosophen Krug, welcher damals die Leipziger
Musensöhne langweilte, nicht nur das platteste Zeug vorlas, sondern auch
die kurzen Pausen mit Erläuterungen der sehr klaren Entwickelung seines
Meisters und mit Ausrufen der Bewunderung ausfüllte, z. B. bei Be¬
trachtung des Seeadlers, der die Schildkröte, welche er in die Luft geführt
und verspeisen will, aus großer Höhe herabfallen läßt. Und wie strengten
sich die Zuhörer, namentlich die Frauen und Fräulein, an, dem dabei herum¬
schauenden Vorleser ihre begeisterte Zustimmung kund zu geben. Und wie
fuhr er gereizt alle Discussion abschneidend durch, als ein Fremder, durch
die Gräfin aufgefordert von den schönen Stunden zu sprechen, die er
kurz vorher vor dem Katheder des philosophischen Meisters durchlebt habe,
in aller Bescheidenheit und mit aller Anerkennung dessen, was er von Krug
gelernt, auf andere philosophische Richtungen jener Zeit hindeutete. -- Aus
diesem Kreise entwickelte sich in Dresden ein förmlicher Tiedgeeultus. dem
-- und wer wollte dies nicht dem Andenken des Dichters gönnen -- beson¬
ders durch die aufopfernde Thätigkeit des Major Serre eine Stiftung ihr
Dasein verdankt, welche seit längerer Zeit ausgezeichneten Künstlern Ehren¬
gaben und ihren Hinterlassenen Unterstützungen in reicher Fülle zu Theil
werden läßt. Uebrigens braucht wohl kaum erwähnt zu werden, daß die
Verehrer der beiden Richtungen, welche in mancher Beziehung von gleicher
Stimmung waren, mit einander in Frieden lebten.

Nun lebte aber zu derselben Zeit in Dresden -- man kann dies sagen,
ohne für die romantische Schule zu schwärmen -- ein Dichter von Gottes
Gnaden, der diesen Kreisen fern blieb, Ludwig Tieck. Zwar hatte er,
nachdem schon 1821 auf seinen Betrieb der Prinz von Homburg mit günsti¬
gem Erfolge auf der Dresdner Bühne versucht worden war, 1823 und 1824
Kritiken der Dresdener Bühnendarstellungen dem Redacteur der "Abend¬
zeitung" überlassen. Aber eine solche Gemeinschaft konnte nicht von langer
Dauer sein*). Tieck wurde von dem verdienstvollen Intendanten v. Lüttichau
1825 als Dramaturg an der Dresdner Bühne angestellt, welche sich während
seiner Theilnahme zu einer Blüthe entwickelte, deren sie sich auch nach
Tieck's Rücktritt noch unter Gutzkow's und Ed. Devrient's Einwirkung er¬
freute. Bald bildete sich um Tieck ein besonderer Kreis von Verehrern und



*) Deshalb erschienen weitere dramaturgische Beiträge Tieck's 1827 und 1828 in der
Morgenzeitung, mit der Fr- Kind "damals noch vergeblich der Abendzeitung Concurrenz zu
machen suchte.

Phänomen betrachtet werden muß. Die sich stets bescheiden unterordnende
Gräfin war immer anmuthig und entgegenkommend, der verwöhnte Schütz¬
ling oft trivial, anspruchsvoll und in seinen Stimmungen unduldsam. Res.
erinnert sich noch eines Abends, wo Tiedge aus populair - philosophischen
Betrachtungen seines Leibphilosophen Krug, welcher damals die Leipziger
Musensöhne langweilte, nicht nur das platteste Zeug vorlas, sondern auch
die kurzen Pausen mit Erläuterungen der sehr klaren Entwickelung seines
Meisters und mit Ausrufen der Bewunderung ausfüllte, z. B. bei Be¬
trachtung des Seeadlers, der die Schildkröte, welche er in die Luft geführt
und verspeisen will, aus großer Höhe herabfallen läßt. Und wie strengten
sich die Zuhörer, namentlich die Frauen und Fräulein, an, dem dabei herum¬
schauenden Vorleser ihre begeisterte Zustimmung kund zu geben. Und wie
fuhr er gereizt alle Discussion abschneidend durch, als ein Fremder, durch
die Gräfin aufgefordert von den schönen Stunden zu sprechen, die er
kurz vorher vor dem Katheder des philosophischen Meisters durchlebt habe,
in aller Bescheidenheit und mit aller Anerkennung dessen, was er von Krug
gelernt, auf andere philosophische Richtungen jener Zeit hindeutete. — Aus
diesem Kreise entwickelte sich in Dresden ein förmlicher Tiedgeeultus. dem
— und wer wollte dies nicht dem Andenken des Dichters gönnen — beson¬
ders durch die aufopfernde Thätigkeit des Major Serre eine Stiftung ihr
Dasein verdankt, welche seit längerer Zeit ausgezeichneten Künstlern Ehren¬
gaben und ihren Hinterlassenen Unterstützungen in reicher Fülle zu Theil
werden läßt. Uebrigens braucht wohl kaum erwähnt zu werden, daß die
Verehrer der beiden Richtungen, welche in mancher Beziehung von gleicher
Stimmung waren, mit einander in Frieden lebten.

Nun lebte aber zu derselben Zeit in Dresden — man kann dies sagen,
ohne für die romantische Schule zu schwärmen — ein Dichter von Gottes
Gnaden, der diesen Kreisen fern blieb, Ludwig Tieck. Zwar hatte er,
nachdem schon 1821 auf seinen Betrieb der Prinz von Homburg mit günsti¬
gem Erfolge auf der Dresdner Bühne versucht worden war, 1823 und 1824
Kritiken der Dresdener Bühnendarstellungen dem Redacteur der „Abend¬
zeitung" überlassen. Aber eine solche Gemeinschaft konnte nicht von langer
Dauer sein*). Tieck wurde von dem verdienstvollen Intendanten v. Lüttichau
1825 als Dramaturg an der Dresdner Bühne angestellt, welche sich während
seiner Theilnahme zu einer Blüthe entwickelte, deren sie sich auch nach
Tieck's Rücktritt noch unter Gutzkow's und Ed. Devrient's Einwirkung er¬
freute. Bald bildete sich um Tieck ein besonderer Kreis von Verehrern und



*) Deshalb erschienen weitere dramaturgische Beiträge Tieck's 1827 und 1828 in der
Morgenzeitung, mit der Fr- Kind "damals noch vergeblich der Abendzeitung Concurrenz zu
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_120686/272>, abgerufen am 04.07.2024.