Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, I. Semester. II. Band.feindlicher Allianzen über König Friedrich II. von Preußen zusammenzog, Doch in Wahrheit, wir erweisen ihnen zu viel Ehre, wenn wir ihnen feindlicher Allianzen über König Friedrich II. von Preußen zusammenzog, Doch in Wahrheit, wir erweisen ihnen zu viel Ehre, wenn wir ihnen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0253" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/120940"/> <p xml:id="ID_783" prev="#ID_782"> feindlicher Allianzen über König Friedrich II. von Preußen zusammenzog,<lb/> kam der König durch Bestechung in den Besitz diplomatischer Actenstücke und<lb/> ließ dieselben veröffentlichen, um seine Nothlage vor Europa zu constatiren<lb/> und die Schuld der Kriegseröffnung von sich ab auf seine Feinde zu werfen.<lb/> Unzweifelhaft handelte der König unter dem Einfluß der stärksten Motive,<lb/> welche einen Staatsmann bestimmen können; sein Staat war mit Vernich¬<lb/> tung bedroht, und er hatte wohl Ursache, auch verzweifelte Mittel der<lb/> Rettung zu suchen. Die Veröffentlichung der Actenstücke fand statt, als der<lb/> Krieg begann, also in einer Zeit, wo jede diplomatische Rücksicht suspendirt<lb/> wurde. Diese Veröffentlichung fand statt vor 113 Jahren, in einer Zeit, wo<lb/> die politische Moral der Cabinette weit geringer war, wo die Regierung<lb/> auch des freiesten und am meisten fortgeschrittenen Landes in Europa sich<lb/> nur durch massenhafte Bestechung der reichsten und wohlhabendsten Gentlemen<lb/> ihres eigenen Landes die Majorität im Parlament zu sichern wußte. Demunge-<lb/> achtet ist jener Eingriff des großen Königs in das sächsische Archiv bis zur Gegen¬<lb/> wart die diplomatische Handlung seiner Negierung gewesen, welche die abfällig¬<lb/> sten Urtheile der Gegner erfahren hat; sie regte nicht nur in einer Zeit, wo der¬<lb/> gleichen Aneignung von jeder Regierung mit größter Unbefangenheit und Dreistig¬<lb/> keit geübt wurde, die heftigsten Vorwürfe gegen ihn auf. sie ist noch jetzt ein Lieb¬<lb/> lingsthema für Angriffe auf den Charakter des Königs. Was hatten die öst¬<lb/> reichischen Staatsmänner nöthig, uns daran zu erinnern, daß ihre Ansichten<lb/> von politischer Redlichkeit und diplomatischer Sitte mehr als hundert Jahre<lb/> hinter den Forderungen der Gegenwart zurückgeblieben sind?</p><lb/> <p xml:id="ID_784" next="#ID_785"> Doch in Wahrheit, wir erweisen ihnen zu viel Ehre, wenn wir ihnen<lb/> auch nur einen Augenblick gestatten, ihr Thun mit einer nicht vorwurfs¬<lb/> freien Handlung des großen Königs von Preußen zu vergleichen. Denn nicht<lb/> in der Noth des Krieges, sondern lange nach geschlossenem Frieden, nach<lb/> Wiedereintritt der offiziellen freundschaftlichen Beziehungen zu ihrem Nachbar,<lb/> lange nach Wiederherstellung des regelmäßigen diplomatischen Verkehrs haben<lb/> sie ein Schriftstück abdrucken lassen, zu dessen Veröffentlichung sie keinerlei<lb/> Recht hatten. Die Depesche war nicht für sie geschrieben, nicht an sie adressirt,<lb/> sie ist fremdes Eigenthum, und was bei dem unberechtigten Abdruck eines<lb/> discreten Privatbriefes als höchst ungentil verurtheilt, ja gerichtlich bestraft<lb/> werden würde, das gilt vor einer Gesandteninstruction der Diplomatie der<lb/> civilisirten Welt, deren Thätigkeit nur unter strengster Beobachtung würdiger<lb/> Form und bei größter Discretion überhaupt möglich ist, sür ein uner¬<lb/> hörtes Thun. Und wie groß das Befremden des Publicums über diese<lb/> Rücksichtslosigkeit war. weit strenger noch wird die Verurtheilung in der<lb/> gesammten Diplomatie sein. Eine Regierung, bei welcher solche Takt¬<lb/> losigkeiten möglich sind, scheidet sich selbst aus der Reihe der Staaten aus,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0253]
feindlicher Allianzen über König Friedrich II. von Preußen zusammenzog,
kam der König durch Bestechung in den Besitz diplomatischer Actenstücke und
ließ dieselben veröffentlichen, um seine Nothlage vor Europa zu constatiren
und die Schuld der Kriegseröffnung von sich ab auf seine Feinde zu werfen.
Unzweifelhaft handelte der König unter dem Einfluß der stärksten Motive,
welche einen Staatsmann bestimmen können; sein Staat war mit Vernich¬
tung bedroht, und er hatte wohl Ursache, auch verzweifelte Mittel der
Rettung zu suchen. Die Veröffentlichung der Actenstücke fand statt, als der
Krieg begann, also in einer Zeit, wo jede diplomatische Rücksicht suspendirt
wurde. Diese Veröffentlichung fand statt vor 113 Jahren, in einer Zeit, wo
die politische Moral der Cabinette weit geringer war, wo die Regierung
auch des freiesten und am meisten fortgeschrittenen Landes in Europa sich
nur durch massenhafte Bestechung der reichsten und wohlhabendsten Gentlemen
ihres eigenen Landes die Majorität im Parlament zu sichern wußte. Demunge-
achtet ist jener Eingriff des großen Königs in das sächsische Archiv bis zur Gegen¬
wart die diplomatische Handlung seiner Negierung gewesen, welche die abfällig¬
sten Urtheile der Gegner erfahren hat; sie regte nicht nur in einer Zeit, wo der¬
gleichen Aneignung von jeder Regierung mit größter Unbefangenheit und Dreistig¬
keit geübt wurde, die heftigsten Vorwürfe gegen ihn auf. sie ist noch jetzt ein Lieb¬
lingsthema für Angriffe auf den Charakter des Königs. Was hatten die öst¬
reichischen Staatsmänner nöthig, uns daran zu erinnern, daß ihre Ansichten
von politischer Redlichkeit und diplomatischer Sitte mehr als hundert Jahre
hinter den Forderungen der Gegenwart zurückgeblieben sind?
Doch in Wahrheit, wir erweisen ihnen zu viel Ehre, wenn wir ihnen
auch nur einen Augenblick gestatten, ihr Thun mit einer nicht vorwurfs¬
freien Handlung des großen Königs von Preußen zu vergleichen. Denn nicht
in der Noth des Krieges, sondern lange nach geschlossenem Frieden, nach
Wiedereintritt der offiziellen freundschaftlichen Beziehungen zu ihrem Nachbar,
lange nach Wiederherstellung des regelmäßigen diplomatischen Verkehrs haben
sie ein Schriftstück abdrucken lassen, zu dessen Veröffentlichung sie keinerlei
Recht hatten. Die Depesche war nicht für sie geschrieben, nicht an sie adressirt,
sie ist fremdes Eigenthum, und was bei dem unberechtigten Abdruck eines
discreten Privatbriefes als höchst ungentil verurtheilt, ja gerichtlich bestraft
werden würde, das gilt vor einer Gesandteninstruction der Diplomatie der
civilisirten Welt, deren Thätigkeit nur unter strengster Beobachtung würdiger
Form und bei größter Discretion überhaupt möglich ist, sür ein uner¬
hörtes Thun. Und wie groß das Befremden des Publicums über diese
Rücksichtslosigkeit war. weit strenger noch wird die Verurtheilung in der
gesammten Diplomatie sein. Eine Regierung, bei welcher solche Takt¬
losigkeiten möglich sind, scheidet sich selbst aus der Reihe der Staaten aus,
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